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Heisenbergs Traum



Seit mehreren Jahren stellen Jürgen Mlynek und seine Kollegen an der Universität Konstanz Beugungsexperimente mit Atomstrahlen an, um fundamentale Quantenphänomene zu untersuchen (siehe auch Spektrum der Wissenschaft, September 1991, Seite 20, und Oktober 1991, Seite 28). Nun ist es dieser Forschergruppe sogar gelungen, den Rückstoß nachzuweisen, den ein Atom bei der Emission eines einzelnen Lichtquants erfahrt ("Physical Review Letters", Band 73, Seiten 1223 bis 1226, 1994).

In dem Versuch passiert ein praktisch perfekt parallel ausgerichteter Teilchenstrahl von Heliumatomen einen Bereich, in dem die Forscher eine stehende Welle aus Laserstrahlung erzeugt haben. Dort tauschen Licht und Materie auf einmal ihre klassischen Rollen: Die räumlich periodische Laserstrahlung wirkt wie ein Beugungsgitter auf die Atome, die ihren quantenmechanischen Wellencharakter offenbaren und interferieren. Das Beugungsmuster zeichnet ein Detektor auf.

Die Laserstrahlung wird nun exakt so abgestimmt, daß sie einer Anregungsfrequenz der Heliumatome entspricht. Auf diese Weise geraten viele von ihnen beim Durchgang durch das immaterielle Beugungsgitter in einen angeregten Zustand. Manche – oft auch nur ein einziges kehren, noch bevor sie den Detektor erreichen, in den Grundzustand zurück und emittieren dafür unterwegs ein Photon.

Der bei der Emission des Lichtquants erzeugte Rückstoß wirft das emittierende Atom ein wenig aus der Bahn; er stört die exakt parallele Ausrichtung des Teilchenstrahls, und das macht sich am Detektor als leichtes Verschmieren des Beugungsmusters bemerkbar. Dieser Effekt läßt sich indirekt bestätigen, indem man das Experiment bei einer leicht veränderten Laserfrequenz – das heißt ohne Anregung der Atome wiederholt: Dann ist das Beugungsmuster entsprechend schärfer.

Die Versuchssituation ähnelt dem Gedankenexperiment, mit dem Werner Heisenberg (1901 bis 1976) die nach ihm benannte Unbestimmtheitsrelation illustriert hat (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1992, Seite 92). ESr stellte sich ein Gammastrahl-Mikroskop vor, mit dem jemand ein einzelnes Elektron beobachten möchte. Man kann nun durch Streuung immer kurzwelligerer Gammastrahlung an Elektronen zwar deren Ort immer exakter messen, stößt sie dafür aber (weil im Teilchenbild ein hochenergetisches Gammaquant mit dem ruhenden Elektron kollidiert) immer stärker an, so daß der Elektron-Impuls immer unbestimmter wird.

Nun schlägt Christopher Foot vom Clarendon-Laboratorium der Universität Oxford (England) vor, den Konstanzer Versuch zu einem Heisenberg-Mikroskop zu erweitern ("Nature", Band 371, Seiten 744 bis 745, 27. Oktober 1994). Man müßte ihm zufolge mit einem zweiten Detektor die von den angeregten Heliumatomen emittierten Photonen registrieren und über eine Koinzidenzschaltung mit dem ersten Detektor dafür sorgen, daß dieser nur noch das Beugungsmuster der angeregten Heliumatome aufzeichnet. So würde man durch Beobachtung der Photonen den Ort der Atome messen können – und zugleich anhand ihrer Beugungsmuster ihren seitlichen Impuls.

Wenn man nun beispielsweise den Öffnungswinkel des Photonen-Detektors verkleinerte (und somit die Ortsunschärfe erhöhte), müßte gemäß Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation die Impuls-Unschärfe abnehmen: Das Beugungsmuster des Heliumatomstrahls würde schärfer werden. Von einer derart präzisen Messung der Unbestimmtheitsrelation hätten die Begründer der Quantenmechanik, so Foot, nur träumen können.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1995, Seite 23
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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