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Himmlischer Fußball

Eine Kuriosität im All hat ein Tübinger Astronom entdeckt: einen planetarischen Nebel mit Fullerenstruktur.


Sphärische Gebilde aus Fünf- und Sechsecken haben auf verschiedenen Gebieten schon ihre besondere Stabilität bewiesen. Richard Buckminster Fuller (1895 bis 1983) baute daraus seine geodätischen Dome, und auch im Mikrokosmus kennt man seit gut zehn Jahren Kohlenstoff-Moleküle mit Polyederstruktur, die sich durch ungewöhnliche Beständigkeit auszeichnen und nach dem amerikanischen Architekten als Fullerene bezeichnet wurden. Prototyp ist ein fußballartiges Gebilde aus 12 Fünf- und 20 Sechsecken ("Fullerene", Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1991, Seite 88). Daß nun auch ein Fulleren von kosmischen Ausmaßen entdeckt wurde, spricht für die Universalität dieses Strukturprinzips.

Bei dem himmlischen Fußball handelt es sich um einen sogenannten planetarischen Nebel. Dieser Name ist allerdings irreführend: Er bezeichnet nicht etwa ein Planetensystem in der Bildungsphase, sondern eine vergleichsweise alte expandierende Gashülle, die ein heißer, blauer Stern im Spätstadium seiner Entwicklung abgestoßen hat. Der Ausdruck wurde im 19. Jahrhundert eingeführt, weil bestimmte kleine, runde Nebel äußeren Planeten wie Uranus ähnlich sehen. In der Milchstraße hat man bisher etwa 1000 planetarische Nebel nachgewiesen – zwei Prozent der geschätzten Zahl von 50000. Der scheinbare Durchmesser dieser Objekte reicht von nur einigen Bogensekunden bis zu etwa einem Grad beim Helix-Nebel NGC7293.


Entstehung planetarischer Nebel


Wenn Sterne mittlerer Masse ihren gesamten Wasserstoffvorrat in Helium umgewandelt haben und nun aus der Fusion dieses Edelgases ihre Energie beziehen, werden sie meist instabil. Während einige dann zu pulsieren beginnen, blasen andere ihre gesamte äußere Atmosphäre in den Raum ab: Zurück bleibt nur der 50000 bis 100000 Kelvin heiße Kern des ursprünglichen Sterns.

Seine Ultraviolettstrahlung ionisiert die abgestoßene Gashülle und bringt sie durch Anregung zum Leuchten. Beispielsweise sendet zweifach ionisierter Sauerstoff Licht mit Wellenlängen von 495,9 und 500,7 Nanometern aus und ruft so die grüne Farbe der Zentralregion des bekannten Ringnebels in der Leier (M57) hervor, während Emissionslinien des Wasserstoffs und des ionisierten Stickstoffs die Randbereiche rot erscheinen lassen.

Die abgeblasene Atmosphäre dehnt sich schnell aus – mit Geschwindigkeiten von 20 bis 30 Kilometern pro Sekunde. Aus diesem Grunde hat sich M57 zum Beispiel in den letzten 50 Jahren sichtbar vergrößert. Zugleich macht die hohe Expansionsrate planetarische Nebel zu extrem kurzlebigen Erscheinungen: In einigen zehntausend Jahren verschwinden sie in der interstellaren Materie, während ihre Zentralsterne abkühlen und zu Weißen Zwergen werden.


Nebel mit Polyederstruktur


Planetarische Nebel sind oft auch optisch eindrucksvoll. Ein ausnehmend schönes Exemplar mit ungewöhnlich hoher Symmetrie hat nun Thomas Rauch vom Institut für Astronomie und Astrophysik der Universität Tübingen mit dem dänischen 1,54-Meter-Teleskop der Europäischen Südsternwarte in La Silla (Chile) aufgenommen (Bild). Es handelt sich um das schon länger bekannte, aber noch nie so detailliert dargestellte Ob-jekt Abell43, dessen Zentralstern mit 110.000 Kelvin ungewöhnlich heiß ist.

Dieser Nebel weist eine deutliche Polyederstruktur auf, die sofort an ein galaktisches Fulleren denken läßt: Die hellen Strukturen verlaufen an den Nähten eines überdimensionalen Fußballs entlang. Offenbar haben sich in der ursprünglich weitgehend homogenen Gashülle, während sie mit einer Geschwindigkeit von etwa 25 Kilometern pro Sekunde expandierte, kleine lokale Dichteschwankungen unter dem Einfluß der Gravitation verstärkt. Das muß so gleichmäßig geschehen sein, daß dabei die beobachtete hochsymmetrische Polyederstruktur entstanden ist.

Im Detail erklären läßt sich dieser Vorgang bislang nicht. Genauere Aufschlüsse erwarten die Astronomen von Vergleichen mit dreidimensionalen hydrodynamischen Modellrechnungen; wichtig ist auch, die Ausdehnungsgeschwindigkeit von Abell43 genauer zu bestimmen. Dann könnte der Fußball-Nebel nicht nur durch seine Schönheit beeindrucken, sondern auch unvermutete Ordnungsphänomene in den Weiten des Universums offenbaren.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1999, Seite 22
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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