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Hochgenaue Vermessung des Grundzustands von Wasserstoff als Test der Quantenelektrodynamik

Fortschritte in der hochauflösenden Laser-Spektroskopie am einfachen Wasserstoffatom, das nur aus einem Elektron und einem Proton besteht, erlauben die präzise Überprüfung grundlegender Theorien des Atomaufbaus. Die durch quantenelektrodynamische Effekte verursachte Lamb-Verschiebung des Grundzustandes von Wasserstoff konnte nun erstmals mit einer Präzision bestimmt werden, die derjenigen von theoretischen Voraussagen entspricht.


Der dänische Physiker Niels Bohr (1885 bis 1962) begründete 1913 die modernen Vorstellungen vom Aufbau der Atome. Demnach sollten Elektronen auf bestimmten – durch Hauptquantenzahlen bezeichneten – stabilen Bahnen den Atomkern umkreisen. Übergänge zwischen diesen Bahnen, die zugleich Zustände verschiedener Energie repräsentieren, sind von der Aufnahme oder Abgabe eines Photons begleitet, dessen Wellenlänge der Energiedifferenz zwischen den beteiligten Bahnen entspricht. Solche Übergänge sind die Ursache der Absorptions- oder Emissionslinien im Spektrum von Wasserstoff.

Schon mehrmals in der Vergangenheit erzwangen genauere Untersuchungen des Wasserstoff-Spektrums Modifikationen des einfachen Bohrschen Atommodells. So war zu Anfang des Jahrhunderts bereits bekannt, daß die sogenannte Halpha-Linie, die Bohrs Modell zufolge dem Übergang zwischen den Energieniveaus mit den Hauptquantenzahlen 2 und 3 entspricht, aus zwei Komponenten besteht. Eine befriedigende Erklärung dieser Aufspaltung gab 1928 Paul Dirac (1902 bis 1984), indem er das Bohrsche Atommodell mit den Forderungen der speziellen Relativitätstheorie von Albert Einstein (1879 bis 1955) in Einklang brachte. Aus Diracs Theorie ergab sich, daß das Elektron einen Eigendrehimpuls – den sogenannten Spin – haben muß, der in Kombination mit dem Bahndrehimpuls die beobachtete Aufspaltung hervorruft.

Die Lamb-Verschiebung


Im Jahre 1947 fanden Willis E. Lamb jr. und Robert C. Retherford bei noch genaueren Messungen wiederum eine – sehr viel feinere – Aufspaltung der Halpha -Linie: Mit 1060 Megahertz (Millionen Hertz) betrug sie nur etwa zwei Millionstel der Frequenz der Halpha -Linie von 457 Terahertz (Billionen Hertz). Aus ihr folgte eine entsprechende Energiedifferenz zwischen den beiden Feinstrukturniveaus, die in der quantenmechanischen Nomenklatur als 2S1/2 und 2P1/2 bezeichnet werden (die Ziffer am Anfang gibt die Hauptquantenzahl an, der Buchstabe den Bahndrehimpuls und der Index die Summe aus Bahndrehimpuls und Spin). Dies stand im Widerspruch zur Diracschen Theorie, wonach die beiden Niveaus identische Energien haben sollten.

Angeregt durch diese Diskrepanz, wurde die noch heute gültige Theorie der Quantenelektrodynamik entwickelt. Sie berücksichtigt unter anderem, daß eine gewisse natürliche Unschärfe des elektromagnetischen Feldes (sogenannte Nullpunktsfluktuationen) eine Zitterbewegung des Elektrons verursacht. Weil dadurch ihm gegenüber die Kernladung verschwommen erscheint, wird es in Kernnähe etwas weniger stark angezogen, so daß es eine etwas höhere Energie hat. Nun hält sich das Elektron in den kugelsymmetrischen S-Zuständen (mit der Nebenquantenzahl 0) im zeitlichen Mittel näher am Kern auf als in P-Zuständen (mit der Nebenquantenzahl 1), in denen sein Aufenthaltsraum hantelförmig ist. Daher haben S-Zustände eine etwas höhere Energie als P-Zustände mit gleicher Hauptquantenzahl.

Will man die 1947 entdeckte 2S-2P-Lamb-Verschiebung experimentell messen, tritt allerdings das Problem auf, daß der 2P-Zustand eine natürliche Energieunschärfe von etwa 100 Megahertz aufweist, was die Genauigkeit solcher Messungen begrenzt. Trotz dieser großen Unschärfe konnten Stephen R. Lundeen und Francis M. Pipkin an der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) die 2S-2P-LambVerschiebung mittels Radiofrequenz-Spektroskopie im Jahre 1981 bis auf ein hundertstel Promille genau bestimmen.

Bei dem 1S-2S-Übergang, dessen Energie im ultravioletten Bereich des elektromagnetischen Spektrums liegt, beträgt die natürliche Energieunschärfe dagegen nur ein Hertz. Im Prinzip bietet er also eine noch bessere Möglichkeit für den Vergleich mit der Theorie. Allerdings erfordert seine genaue Vermessung eine eigene Technik, die erst durch jüngste Fortschritte bei der hochauflösenden Laser-Spektroskopie in der Arbeitsgruppe von Theodor W. Hänsch am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München möglich wurde.

Zur Bestimmung der Lamb-Verschiebung muß dieser Übergang mit einem zweiten im Wasserstoffatom verglichen werden. Meine Kollegen und ich verwendeten hierzu den 2S-4S-Übergang, dessen Energieunschärfe von etwa einem Megahertz zwar wesentlich größer, aber immer noch um den Faktor 100 geringer als beim 2S-2P-Radiofrequenz-Übergang ist. Der Trick dieser Doppelmessung ist, daß die Frequenzen der beiden Übergänge nach dem Bohrschen Atommodell wie auch nach der Diracschen Theorie in dem ganzzahligen Verhältnis von vier zu eins zueinander stehen sollten (Spektrum der Wissenschaft, Mai 1979, Seite 58). Die Abweichung des tatsächlichen Frequenzverhältnisses von diesem Idealwert ist ein Maß für die Lamb-Verschiebung und läßt sich sehr genau auf direktem Wege bestimmen.

Das Experiment


Bei unserem Experiment verwendeten wir extrem monochromatisches Licht von durchstimmbaren Lasern, deren Frequenz so eingestellt war, daß die einzelnen Photonen jeweils nur halb so viel Energie hatten, wie zur Anregung des jeweiligen Übergangs nötig war (Bild). Dadurch fand der Übergang lediglich dann statt, wenn gleichzeitig zwei aus entgegengesetzten Richtungen kommende Photonen absorbiert wurden. Diese Zwei-Photonen-Absorption ist ein erst jüngst entwickeltes Verfahren, um die von der Eigenbewegung der Atome und dem damit verbundenen Doppler-Effekt herrührende Unschärfe auszuschalten (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1993, Seite 19).

Zur Anregung des 1S-2S-Übergangs diente blaues Licht eines Farbstoff-Lasers, dessen Wellenlänge von 486 Nanometern mit einem Kaliumniobat-Kristall halbiert wurde. Vor dieser Halbierung, die einer Frequenzverdopplung entspricht, lenkte ein Strahlteiler einen Teil des Lichts zu einer Photodiode um. Das zur Anregung des 2S-4S-Übergangs benötigte Infrarot-Licht lieferte ein Titan-Saphir-Laser (die Wasserstoffatome waren zuvor durch Elektronenstoßanregung in den 2S-Zustand überführt worden). Ein Teil des Strahls wurde wiederum auf die Photodiode umgelenkt und auf dem Weg dorthin frequenzverdoppelt.

Um das Ausmaß der Anregung zu bestimmen, registrierten wir mit einem Detektor jeweils die Menge der Wasserstoffatome im 2S-Zustand. Die Frequenz der beiden Laser wurde so lange variiert, bis die Anregung maximal war. Anschließend maßen wir an der Photodiode die Überlagerung der beiden dort eintreffenden Strahlen. Die Versuchsanordnung war so konzipiert, daß diese Strahlen gleiche Frequenz hätten, sofern die Anregungsenergien der beiden Übergänge genau im Verhältnis eins zu vier stünden; bei einer Abweichung von diesem Verhältnis dagegen ergäbe sich durch Überlagerung eine Schwebung, deren Frequenz ein Maß für die Lamb-Verschiebung wäre. Da quantenelektrodynamische Verschiebungen annähernd mit dem Reziproken der dritten Potenz der Hauptquantenzahl anwachsen, ist die Lamb-Verschiebung des 1S-Zustands etwa achtmal so groß wie die des 2S-Zustands.

Das Ergebnis


Als Resultat erhielten wir für diese Verschiebung einen Wert von 8172,86 Megahertz mit einer Genauigkeit von 0,08 Megahertz. Er stimmt mit dem theoretischen Wert von 8172,94 Megahertz (Genauigkeit 0,06 Megahertz) im Rahmen der Fehlergrenzen überein. Allerdings geht auch in den theoretischen Wert ein experimentell zu bestimmender Parameter ein, nämlich der Radius des Protons. Er wurde durch Streuung hochenergetischer Elektronen ermittelt.

Nun hat eine neuere Messung einen etwas größeren Protonenradius ergeben. Dadurch erhöht sich der theoretische Wert für die Lamb-Verschiebung des 1S-Zustands um 0,15 Megahertz, und die Übereinstimmung mit unserem experimentellen Befund wird schlechter. Diese Diskrepanz sollte sich durch eine genauere Bestimmung des Protonenradius an Wasserstoff klären lassen, bei dem das Elektron durch ein schwereres Teilchen – ein sogenanntes Myon – ersetzt ist.

Messungen von Lamb-Verschiebungen in wasserstoffähnlichen Atomen zählen derzeit zu den besten Tests der Quantenelektrodynamik an gebundenen Systemen. Alle bisher gemessenen Werte dieser Verschiebung sowie weitere Effekte – beispielsweise eine kleine Abweichung im magnetischen Moment des Elektrons von dem nach Dirac erwarteten Wert – stimmten bemerkenswert genau mit den Vorhersagen der Quantenelektrodynamik überein.

Bei unserem Experiment konnte nun auch die Lamb-Verschiebung des 1S-Zustands an Wasserstoff durch Spektroskopie im optischen Wellenlängenbereich erstmals auf ein hundertstel Promille genau bestimmt werden – und damit ebenso präzise wie die des 2S-2P-Übergangs. Auch hier ergab sich eine befriedigende Übereinstimmung mit der Theorie.

Im übrigen läßt sich die Genauigkeit dieser Messung vermutlich sogar noch deutlich verbessern, wenn es gelingt, den 2S-4S-Übergang an langsameren Atomen anzuregen; denn wegen der verlängerten Flugzeit der Atome wäre eine geringere Laserleistung zur Anregung ausreichend, und die Atome würden weniger durch das Lichtfeld gestört. Außer der Überprüfung grundlegender Theorien würde dies ermöglichen, fundamentale Konstanten wie das Massenverhältnis zwischen Elektron und Proton mit bislang ungekannter Genauigkeit zu bestimmen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1993, Seite 22
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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