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Hochwirksame Elektrotherapie gegen Schuppenflechte



Mehr als zwei Millionen Deutsche leiden unter Schuppenflechte (Psoriasis). Auf ihrer Haut bilden sich an bestimmten Stellen juckende rötliche Flecken, die mit silbrigen, leicht abkratzbaren Schuppen bedeckt sind. Ursache ist eine zehnfach erhöhte Teilungsaktivität der Zellen in der Basalschicht der Haut. Die Tochterzellen wandern unter Verhornung an die Oberfläche und rufen durch ihre große Zahl die charakteristische massive Schuppung hervor. Ein großflächig erkrankter Patient kann an einem Tag bis zu einer Kehrschaufel voller Schuppen produzieren. Außerdem bildet sich in dem Bindegewebe unter der Haut ein Ödem (eine Wasseransammlung), begleitet von einem Entzündungsherd. Die Erkrankung verläuft in der Regel chronisch oder in Schüben. Obwohl sie nicht lebensbedrohend ist, schränkt sie die Lebensqualität der Betroffenen stark ein.

Bisherige Therapien sind vielfach sehr aufwendig, teuer und mit unerwünschten Nebenwirkungen verbunden, aber allesamt nur begrenzt wirksam. Die einfachste Behandlung besteht im Erweichen und Ablösen der Schuppen sowie im Einreiben mit entzündungshemmenden Salben. Oft hilft aber nur das Auftragen problematischer Stoffe wie teerhaltiger Substanzen oder Dithranol (einem potenziell tumorfördernden Abkömmling von Anthracen). Meist sind zusätzlich UV-Bestrahlungen erforderlich, teils in Verbindung mit lichtsensibilisierenden Stoffen. In schweren Fällen muss mit Retinoiden (zu dieser Substanzklasse gehört Vitamin-A) oder Zytostatika – ebenfalls potenziell krebsfördernden Stoffen – das Zellwachstum gehemmt werden. Gewöhnlich sind Krankenhausaufenthalte unvermeidlich. Zudem sprechen einige Formen der Psoriasis auf die herkömmlichen Therapien kaum oder gar nicht an.

Geradezu wundersam muss da ein Behandlungsverfahren anmuten, das meine Mitarbeiter und ich am Institut für Medizintechnik und Biophysik des Forschungszentrums Karlsruhe in den letzten Jahren wissenschaftlich begründet haben und das in einer ersten klinischen Studie erfolgreich getestet wurde – und zwar an der besonders hartnäckigen Psoriasis palmaris, die die Hände befällt und gegen herkömmliche Therapien weitgehend resistent ist. Dabei tauchen die Patienten einfach die befallenen Hände in wassergefüllte Plastik-Wännchen, durch die ein pulsierender niederfrequenter Wechselstrom geringer Stärke fließt.

Die Teilnehmer der klinischen Studie, die wir zusammen mit der Universitäts-Hautklinik des Klinikums Mannheim durchführten, unterzogen sich dieser simplen Prozedur über einen Zeitraum von drei Monaten zweimal täglich für sechs Minuten. Nach Anleitung konnten sie die Behandlung zu Hause selbst durchführen.

Die Ergebnisse waren bestechend (Bild). Bei allen zwölf Patienten hatte die Erkrankung seit mindestens einem Jahr bestanden; übliche Therapien waren ohne Erfolg geblieben. Nach der vierteljährigen Wechselstrom-Behandlung jedoch war bei elf der Probanden die Schuppenflechte völlig abgeheilt oder deutlich gebessert. Nur bei einem Patienten schlug die Therapie nicht an, weshalb er sie vorzeitig abbrach.

Wie ist dieser ungewöhnliche Therapie-Erfolg zu erklären? Wer schon einmal eine Elektromassage gegen Muskelverspannung oder Rückenschmerzen erhalten hat, weiß um deren zuverlässige Wirkung. Schon seit langem wird Strom in vielfältigen Formen in der Physiotherapie und in der Rehabilitation eingesetzt. Dabei hat sich der so genannte Interferenzstrom als besonders hautverträglich und frei von Nebenwirkungen erwiesen. Er entsteht durch Überlagerung zweier schwacher Wechselströme leicht unterschiedlicher Frequenz und entspricht damit beispielsweise einer Schwebung in der Musik (siehe Einschub im Kasten auf Seite 14). Der periodisch an- und abschwellende Strom löst bei entsprechender Stärke in dem Gebiet, welches er zwischen den aufgelegten Haut-Elektroden durchfließt, Muskelkontraktionen aus.

Interferenzstrom kann aber nicht nur mit erregbaren Zellen in Muskeln und Nerven wechselwirken, sondern beeinflusst – ebenso wie niederfrequente elektrische Felder und Ströme allgemein – offenbar Zellen jeglichen Typs. Dies haben Untersuchungen in meinem Labor am Forschungszentrum Karlsruhe untermauert.

Klar ist, dass sich die direkte Wirkung niederfrequenter elektrischer Felder weitgehend auf die Zelloberfläche beschränkt. Dies rührt daher, dass die Zellmembran – im Gegensatz zum Cytoplasma, das von ihr umschlossen wird, und zum flüssigkeitsgefüllten Raum zwischen den Zellen eines Gewebes – einen sehr hohen elektrischen Widerstand aufweist. Deshalb schirmt sie das Zellinnere gegenüber einem elektrischen Wechselfeld ab. Lediglich Oberflächenstrukturen der Zellmembran sind dem Feld ausgesetzt und können beeinflusst werden.

Im Einklang damit ergaben unsere Versuche, dass sich das Wechselfeld vor allem auf Prozesse auswirkt, die durch Rezeptoren auf der Zellmembran vermittelt werden. In erster Linie handelt es sich um die chemische Übermittlung von Informationen zwischen Zellen, bei der sich ein Signalstoff – etwa ein Hormon – an einen passenden Rezeptor anlagert und dadurch eine bestimmte Reaktion in der betreffenden Zelle auslöst.

Wirkung über zellinternen Botenstoff

Meist bewirkt das Andocken des Signalstoffs an den Rezeptor, dass auf der Membran-Innenseite ein so genannter sekundärer Botenstoff freigesetzt wird. Dieser stößt seinerseits eine zellinterne Signalkette an, deren Endpunkt vielfach das Erbgut im Zellkern ist. Aus diesem Grund lassen sich mit einem elektrischen Wechselfeld indirekt auch Prozesse beeinflussen, die mit einer Aktivierung oder Abschaltung von Genen im Zellkern zusammenhängen – etwa die Differenzierung einer Zelle, das heißt ihre Spezialisierung auf eine bestimmte Aufgabe im Organismus, oder die Freisetzung von Stoffen, die die Immunabwehr steuern.

Bei unseren Untersuchungen setzten wir verschiedene Zelltypen wie Bindegewebs- oder Immunzellen in Kultur unter streng kontrollierten Bedingungen bestimmten Strömen aus. Dadurch wollten wir vor allem feststellen, wie die Wirkung des Interferenzstroms von der Stromdichte und der Schwebungsfrequenz abhängt. Als Indikator dieser Wirkung maßen wir die Änderung der intrazellulären Konzentration des sekundären Botenstoffs cAMP (cyclisches Adenosinmonophosphat), der an vielen Signalübertragungen in Zellen beteiligt ist, direkt nach einer fünfminütigen Behandlung.

Intuitiv würde man erwarten, dass das Ausmaß der biologischen Wirkung mit der Stromdichte zunimmt. Doch das ist keineswegs der Fall. Unseren Messungen zufolge geschieht bis zu einem Schwellenwert von etwa fünf Mikroampere pro Quadratzentimeter gar nichts. Danach ändert sich die cAMP-Konzentration schlagartig um einen Betrag, den wir durch weitere Erhöhung der Stromdichte bis zum 1000fachen nicht mehr steigern konnten – im Gegenteil: Der Effekt nahm sogar wieder leicht ab. Demnach beruht die biologische Wirkung offenbar nicht primär auf einem Energieübertrag zwischen Stromfeld und Zelle.

Ein wesentlich komplexeres Muster zeigte sich, als wir die cAMP-Menge in Abhängigkeit von der Schwebungsfrequenz untersuchten. So nahm bei 10 und 100 Hertz die Konzentration des Botenstoffes jeweils zu, während sie bei 50 Hertz sank und bei 20 Hertz konstant blieb (Kasten auf Seite 14). Interessanterweise galt das übereinstimmend für Bindegewebszellen der Maus wie für bestimmte weiße Blutkörperchen (Granulocyten) des Menschen – offenbar weil in beiden Fällen ähnliche Rezeptoren betroffen sind.

Schließlich experimentierten wir statt mit zusammengesetzten Interferenz- auch mit einfachen Wechselströmen. Dabei fanden wir gleichfalls biologisch wirksame Frequenzen oder Frequenzbereiche ("Fenster"). Tatsächlich ergaben sich regelrechte Resonanz-Profile mit mehreren Wirkungs-Maxima.

Noch verstehen wir nicht alle Aspek-te der Feld-Zelle-Wechselwirkung; so bleibt vorerst unklar, warum die Resonanzen genau bei den erwähnten Frequenzen auftreten. Sicher scheint jedoch, dass es sich im Wesentlichen um eine "entropische" Wechselwirkung handelt, also eine, die auf Informationsübertragung beruht. Die biologisch wirksame Information steckt dabei im Frequenz- und/oder Modulationsmuster des Feldes. Ähnlich wie ein Rundfunkempfänger arbeitet die Zelle frequenzselektiv und kann sogar ein zusammengesetztes Signal demodulieren, es also in seine Frequenzkomponenten zerlegen. (Die gleiche Fähigkeit hat übrigens auch das menschliche Ohr: Es nimmt unterschiedlich hohe Töne, die gleichzeitig erklingen, getrennt wahr.)

Diese Ergebnisse legten es nahe, wissenschaftlich zu untersuchen, inwieweit sich Interferenzstrom zur medizinischen Behandlung von Erkrankungen eignet, die auf Störungen der Zellfunktion beruhen. Dabei fungiert der Strom nicht als unmittelbares Therapeutikum; vielmehr übermittelt er den betroffenen Zellen am Erkrankungsort nur die gewünschte biologische Information, die als Frequenz- oder Schwebungsmuster codiert ist. Er leistet ihnen also gewissermaßen "Hilfe zur Selbsthilfe", so dass sich ihre Funktion bei regelmäßiger Behandlung allmählich normalisiert.

Dieser Ansatz bietet unbestreitbare Vorteile. So lässt sich die weitgehend unkritische Stromdichte so einstellen, dass die Information sicher am Krankheitsherd ankommt, dem Patienten aber keine Unannehmlichkeiten entstehen. Außerdem kann lokal behandelt werden. Jede unnötige Belastung oder gar die Überschwemmung des Patienten mit nebenwirkungsbehafteten Therapeutika wird so vermieden. Schließlich genügen Kurzzeitbehandlungen von wenigen Minuten Dauer, die nur über einen gewissen Zeitraum regelmäßig durchzuführen sind.

Dass dieses Therapiekonzept funktioniert, hat das Beispiel der Schuppenflechte bewiesen. Es war bekannt, dass die übermäßig teilungsaktiven Zellen der Basalschicht weniger cAMP enthalten als normal. Daher lag es nahe, Interferenzstrom mit Schwebungsfrequenzen von abwechselnd 10 und 100 Hertz anzuwenden, der die intrazelluläre cAMP-Konzentration steigen lässt. Dieser Anstieg reduziert offenbar die Teilungsaktivität der Hautzellen. Noch nicht endgültig geklärt ist, ob der Interferenzstrom auch der Entzündung entgegenwirkt.

Abgesehen von ihrer Effizienz, besticht die Interferenzstrom-Behandlung durch Nebenwirkungsfreiheit und geringe Kosten. Sobald die Hürden der klinischen Erprobung und Zulassung genommen sind, dürfte ihr deshalb ein fester Platz im Arsenal der antipsoriatischen Therapieverfahren zukommen. Außerdem könnte sie zur Behandlung anderer entzündlicher Erkrankungen, die mit gestörten Zellfunktionen verbunden sind, weiterentwickelt werden.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2000, Seite 14
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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