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Hot Zone. Tödliche Viren aus dem Regenwald. Ein Tatsachen-Thriller


Die meisten Virusarten sind dem menschlichen Organismus seit langem vertraut. Mit einigen hat er sich regelrecht angefreundet. Unser Körper dient ihnen eine Zeitlang mit seiner biochemischen Infrastruktur, dann schreitet das Immunsystem ein, vertreibt die ungebetenen Gäste – und die Erkältung ist vorbei. Gegen andere, gefährlichere Arten schützen wir uns mittels Impfungen: gegen Masern, Röteln, Mumps, Gelbfieber und infektiöse Gelbsucht beispielsweise. So können wir diese Viren zwar nicht – wie den Pockenerreger – ausrotten, aber uns vor schweren Krankheitsverläufen bewahren. Pharmakonzerne in aller Welt verdienen Milliarden mit dieser medizinischen Pattsituation.

Und dann gibt es noch Viren, die urplötzlich aus bislang unbekannten ökologischen Nischen auftauchen und die Menschheit des 20. Jahrhunderts in Angst und Schrecken versetzen. Der AIDS-Erreger HIV gehört dazu, und neuerdings beunruhigen uns Filoviren, jene Mikroorganismen, die Hämorrhagien – generalisierte unstillbare Blutungen – verursachen (siehe "Neue Seuchen durch hämorrhagische Viren" von Bernard Le Guenno, Spektrum der Wissenschaft, August 1995, Seite 38). Sie sind in der Tat geeignet, der Öffentlichkeit die Ohnmacht der modernen Medizin gegenüber Viruserkrankungen bewußt zu machen.

Wer also einen wirklichen Wissenschafts-Thriller schreiben will, in dem die Tatsachen oft grauenvoller sind als jede Fiktion, der braucht sich nur den Filoviren – so genannt wegen ihres fadenförmigen Aussehens im Elektronenmikroskop – zuzuwenden und ihre blutigen Spuren nachzuzeichnen, die sie seit dreißig Jahren immer wieder einmal hinterlassen (zuletzt im Frühsommer dieses Jahres in der zairischen Stadt Kikwit). Genau das hat Richard Preston gemacht.

Der promovierte Naturwissenschaftler, in den USA ein anerkannter Fachjournalist, zeichnet die Geschichte der Filoviren von ihrem ersten Auftreten vor 30 Jahren im äquatorialen Afrika bis zu einer Beinahe-Epidemie in der Nähe von Washington 1989 so minutiös und packend nach, als wäre er persönlich dabeigewesen. Dieses Sachbuch liest sich über weite Strecken wie ein Roman mit Handlungssträngen in Afrika, in Deutschland und in den USA, die immer wieder von detailgetreuen Schilderungen virologischer Forschungsarbeiten in einem Hochsicherheitslabor unterbrochen werden.

Es beginnt mit der Geschichte des Franzosen Charles Monet, der im Bergregenwald im Osten Kenias vom Marburg-Virus infiziert wurde, und endet mit einem langen (mehr als die Hälfte des Buches umfassenden), dramaturgisch ge- konnt gestalteten Kapitel über eine Ebola-Epidemie in einem Affenhaus in einem Vorort von Washington.

Dort lebten Affen, zumeist asiatische Makaken, die – von einer pharmazeutischen Firma importiert – für kurze Zeit in Quarantäne gehalten und dann an Forschungsinstitute in den USA weiterverkauft werden sollten. Als sich die verdächtigen Krankheitszeichen bei einigen Tieren nicht mehr verheimlichen ließen, rief die Firmenleitung das Militär zur Hilfe. Experten des in der Nähe liegenden US Army Research Institute of Infectious Diseases in Fort Detrick, in dem die USA – man mag es kaum glauben – bis in die siebziger Jahre an Filoviren experimentierten mit dem Ziel, absolut tödliche biologische Kampfstoffe herzustellen, drangen in Astronautenanzügen in das Gebäude ein und töteten in einer generalstabsmäßig geplanten Aktion alle Tiere. Anschließend wurde das Affenhaus versiegelt und von einer Desinfektionsabteilung der Armee ausgeräuchert, bis keine Spur von Leben mehr wahrzunehmen war.

Der neue, Ebola-Reston genannte Stamm unterschied sich nur in winzigen Teilen seiner Erbinformation von den aus sudanesischen und zairischen Patienten isolierten Ebola-Varianten (Bild). Diese Mutante war imstande, Affen über die Atemluft zu infizieren, und hatte sich über die Klimaanlage im gesamten Affenhaus verbreitet – etwa ein Drittel der mehr als 600 Tiere war im Laufe von zwei Wochen infiziert worden; sie er-wies sich aber als für den Menschen nicht gefährlich. Ein glücklicher Zufall oder eine bislang unerklärbare Laune der Natur?

Was sind die Lehren aus den Fanalen, welche die Filoviren aus dem Regenwald seit etlichen Jahrzehnten immer wieder auf verschiedenen Kontinenten aufleuchten lassen? Für Preston, einen ökologisch orientierten Naturwissenschaftler, ist die Schlußfolgerung klar: Das Auftreten des HIV, des Ebola-Virus und eines Dutzends anderer exotischer Viren aus dem Regenwald sei eine natürliche Folge der Vernichtung tropischer Lebensräume.

Tatsächlich sind alle bislang in Afrika bekanntgewordenen Filovirus-Erkrankungen auf Infektionen im Grenzgebiet von Savanne und Regenwald zurückzuführen. Man vermutet deshalb, daß das Ebola- und das Marburg-Virus ihren eigentlichen Lebensraum im tropischen Regenwald haben. Menschen der Region mußten also schon immer mit dem Infektionsrisiko leben. Mit zunehmendem Straßenbau, fortschreitender Brandrodung und der Ansiedlung immer neuer Zuwanderer wächst jedoch die Gefahr, daß die Viren häufiger von ihren ursprünglichen Wirten auf den Menschen überspringen.

Ich habe dieses ungemein packende Buch von Anfang bis Ende gelesen, ohne es einmal beiseite zu legen. Gleichwohl bleibt, wenn die innere Spannung etwas abgeklungen ist, ein leicht fader Nachgeschmack. Zum einen wirkt die Masse der grauenvollen Krankengeschichten einzelner Patienten ebenso wie der häufig dramatisierende Schreibstil unnötig sensationslüstern.

Auch streift Preston nur am Rande die eigentliche Ursache der Epidemien, nämlich die mangelnde Ausrüstung der Krankenhäuser im afrikanischen Hinterland, die in weiten Teilen des Kontinents allen Prinzipien von Hygiene hohnsprechen. Wenn wie im Missionskrankenhaus von Yambuku nur fünf Spritzen und ein Dutzend Kanülen zur Verfügung stehen, mit denen Tag für Tag mehrere Dutzend Patienten Injektionen verabreicht bekommen, so begünstigt das die Übertragung aller möglichen Krankheiten in höchstem Maße. Das Ebola-Virus ist dann nur die Spitze eines medizinisch verursachten Eisbergs.

Zum anderen geht Preston mit keinem Wort auf ein Problem ein, das eigentlich uns allen die Haare zu Berge stehen lassen müßte. Die gefährlichsten Mikroorganismen aller Zeiten werden nach wie vor in den Tiefkühltruhen just jener militärischen Institution aufbewahrt, die noch vor nicht allzulanger Zeit mit der Entwicklung von biologischen Kampfstoffen durchaus ähnlichen Kalibers beschäftigt war.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1995, Seite 122
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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