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Hydroakustische Überwachung der Weltmeere


Das Verfahren, verbotene Kernsprengungen mit Wasserschall aufzuspüren, ist von der Geophysik erheblich mehr begünstigt als die anderen Systeme zur Verifikation des Teststoppabkommens, die auf Transportmechanismen in den gasförmigen beziehungsweise festen Medien Atmosphäre und Erdboden beruhen: Im Meer sind Explosionen weit unterhalb der geforderten Nachweisgrenze von einer Kilotonne TNT-Äquivalent ozeanweit detektierbar; sie lassen sich mit der weitaus geringsten Anzahl von Meßstationen nahezu problemlos und genau genug lokalisieren und überdies mit den einfachsten Kriterien von den meisten natürlichen Vorgängen unterscheiden.

Freilich müssen die hydroakustischen Sensoren ungefähr tausend Meter unter dem Meeresspiegel positioniert werden. Die Installation dieser Meßgeräte und der Datentransfer über ein Unterseekabel sind viel aufwendiger und schwieriger als für Seismometer, Infraschall-Barometer und Detektoren für Radioaktivität an Land. Zudem muß der Unterwasserteil der hydroakustischen Empfangsstationen wegen der schlechten Zugänglichkeit jahrzehntelang ohne Wartung funktionsfähig sein. Um die hohe Qualität der Weltmeerüberwachung nutzen zu können, ist demnach ein erheblicher technischer Aufwand in Kauf zu nehmen.


Der globale ozeanische Schallkanal

Als Frankreich am 27. Oktober 1995 in einer Tiefbohrung seines Testgeländes auf dem Mururoa-Atoll einen nuklearen Sprengsatz zündete, breitete sich der Knall im gesamten Pazifischen Ozean aus. Etwa 75 Minuten später wurde er an der 6600 Kilometer entfernten kalifornischen Küste registriert.

Das Signal des Unterwasser-Mikrophons, des sogenannten Hydrophons, ähnelt einer Seismometer-Registrierung, doch verlaufen die Schwankungen sehr viel schneller, die Frequenzen sind also höher als bei einer Schallwelle, die sich im Gestein fortpflanzt: Der Vorgang ist ein hörbarer, anschwellender und abklingender Donner.

Die äußerst hohe akustische Leitfähigkeit der Tiefsee – wie geschaffen für ein weltweites Überwachungssystem – beruht nur zum Teil auf den geringen molekularen Verlusten im Schallfeld. Entscheidend ist eine besondere Eigenschaft des Wassers: Die Schallgeschwindigkeit steigt mit der Temperatur an. Dadurch wirkt die Tiefsee wie ein Wellenleiter, in dem sich der Wasserschall über große Entfernungen ausbreitet, ohne den Boden oder die Oberfläche des Ozeans zu berühren; folglich kann die Schallwelle an diesen Grenzflächen auch keine Energie verlieren.

Zum Meeresboden hin steigt die Schallgeschwindigkeit – wie in anderen Flüssigkeiten auch – wegen des zunehmenden statischen Drucks an, zur wärmeren Meeresoberfläche hingegen nur wegen der anomalen Temperaturabhängigkeit. Als Folge davon erreicht sie in einer bestimmten Tiefe, die in mittleren geographischen Breiten bei etwa 1000 Metern liegt, ein Minimum (Bild 1 oben links). Dieses Tiefenprofil bedingt nun, daß eine Wellenfront, die sich leicht schräg zu dieser Achse nach oben ausbreitet, sich in ihrem höher gelegenen Bereich schneller fortpflanzt, als im tieferen, so daß sie wieder zurückgebrochen wird. Analog ist die Situation, wenn der Schall schräg nach unten abgestrahlt wird. Schallwellen im Meer werden folglich immer wieder zum Horizont mit der niedrigsten Ausbreitungsgeschwindigkeit – der sogenannten Achse des Schallkanals – zurückgebrochen, so daß sie girlandenartig entlang dieses Schallkanals verlaufen (Bild 1 oben rechts); absorbiert werden sie über große Distanzen nur infolge der geringen inneren Verluste im Seewasser selbst.

Der ozeanische Wellenleiter führt den Schall – wie eine technische Glasfaser das Licht – auch auf gekrümmten Wegen, also um den Erdball herum und je nach den Temperaturverhältnissen sogar auf und ab. Der größte Teil der Schallenergie bleibt damit in einer – im Vergleich zum Durchmesser der Erde – äußerst dünnen Schicht eingeschlossen. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zu seismischen Wellen, die den gesamten Globus durchlaufen: Während die Schallenergie einer seismischen Welle sich im Raum ausbreitet, bleibt diejenige einer Wasserschallwelle quasi auf eine Fläche beschränkt; demzufolge ist auch die geometrische Dämpfung erheblich kleiner. Für die Übertragungsdistanz von 6600 Kilometern beispielsweise ist allein wegen dieser unterschiedlichen Ausbreitungsgeometrie die Energiedichte am Empfänger im Vergleich zu seismischen Wellen 1000fach höher.

Die Absorption des Wasserschalls ist allerdings von der Frequenz und auch von klimabedingten Unterschieden im Tiefenprofil der Schallgeschwindigkeit abhängig. Für Werte unterhalb von 100 Hertz ist sie minimal; zu höheren Frequenzen steigt sie annähernd mit dem Quadrat der Frequenz an (Bild 2). Für Wasserschallwellen zwischen 10 und 100 Hertz sind erst nach etwa 10000 Kilometern 90 Prozent der Energie dissipiert; für solche mit 10 Kilohertz ist dies bereits nach 10 Kilometern der Fall. Über große Distanzen hinweg wirkt der ozeanische Schallkanal also wie ein Tiefpaßfilter mit einer Grenzfrequenz von 100 Hertz. Auf diesen oberen Wert werden auch die hydroakustischen Überwachungsstationen ausgelegt.

Die Eigenschaften des globalen akustischen Wellenleiters in den Ozeanen – SOFAR-Kanal genannt nach englisch sound fixing and ranging (etwa: schalleinfangend und -leitend) – werden sogar von den größten Meeressäugern, den Blauwalen, genutzt: Sie erzeugen Töne im Frequenzbereich unterhalb von 100 Hertz und können damit trotz der geringen Schallenergie über mehrere hundert Kilometer hinweg kommunizieren; sie tauchen dazu meist auf die Tiefe der Kanalachse ab. Bevor es Seenotfunk gab, konnte ein Schiff seine Havarieposition mit abgeworfenen Sprengkapseln von akustischen Empfangsstationen an der Küste bestimmen lassen. Die Differenz der Ankunftszeiten des Schallsignals an zwei Stationen ergibt eine Hyperbel als Ortskurve für die Position der Schallquelle. Mit einer dritten Station erhält man insgesamt drei Hyperbeln, die sich am Detonationsort schneiden. Nach diesem einfachen Prinzip wird auch das globale Überwachungsnetz in den Weltmeeren zur Verifikation des Teststopp-Vertrages arbeiten.

Experimente, die zum Teil bereits in den sechziger Jahren durchgeführt wurden, zeigten, daß unterseeische Sprengungen von nur 100 Kilogramm TNT selbst auf der entgegengesetzten Seite der Erde leicht nachzuweisen sind: Die Schallintensität des Empfangssignals ist dann immer noch zehnfach so hoch wie die des Hintergrundrauschens. Befindet sich die Schallquelle oder der Empfänger unterhalb der Kanalachse am Meeresboden, sind zwar die Laufzeiten der Schallweggirlanden weiter auseinandergezogen, doch die Detonation ist auch dann genau genug lokalisierbar.


Detektion unterirdischer Signale

Nur wenige Kernsprengsätze wurden in der Vergangenheit direkt im Meerwasser gezündet. Auch die sechs Versuchsexplosionen, die Frankreich zwischen September 1995 und Januar 1996 noch vor Unterzeichnung des Abkommens über einen umfassenden Teststopp durchführte, erfolgten im Sockel des Mururoa-Korallenriffs. Bei solchen unterirdischen Sprengungen werden – je nach Beschaffenheit des Untergrunds – einige Promille der Explosionsenergie in seismische Energie umgewandelt. Wegen der großen Nähe zur Küste wird jedoch ein ausreichend hoher Anteil davon wiederum in Wasserschall transferiert, so daß eine ozeanweite Detektion möglich ist. Wieviel der SOFAR-Kanal davon einfängt, hängt von der Geometrie der Schalleinstrahlung ab: Nur bei flachen Winkeln von wenigen Grad reicht die Rückbrechung der Schallwege zur Kanalachse aus; Schall aus steileren Winkeln verliert die Energie bereits nach wenigen Reflexionen am Meeresboden und an der Oberfläche.

Die geometrische Einstrahlungsbedingung erfüllen zwar auch Signale großer unterirdischer Explosionen auf den Kontinenten; doch auf dem langen Weg, den die seismischen Wellen bis zur Küste zurückzulegen haben, werden die Anteile des Frequenzspektrums im Bereich von etwa zehn bis hundert Hertz, die der ozeanische Wellenleiter effektiv transportieren könnte, bereits unter die Nachweisgrenze absorbiert. Die niederfrequenten seismischen Schwingungen, die noch an der Küste ankommen, vermag der SOFAR-Kanal nicht über große Distanzen weiterzuleiten, weil sich die hohe Absorption des Meeresbodens bemerkbar macht. Insofern lassen sich die Kontinente nicht mit hydroakustischen Verfahren auf Kernsprengungen überwachen. Umgekehrt können aber küstennahe seismische Stationen umgewandelte Wasserschallenergie empfangen, weil Wasserschall beim Auftreffen auf die Küstenböschung wiederum seismische Wellen anregt. (Dies sind sogenannte tertiäre oder T-Wellen, die erst nach den P- und S-Wellen am Seismographen eintreffen, weil die seismische Energie einen Teil des Weges mit relativ langsamer Geschwindigkeit im Wasser zurückgelegt hat.)

Identifizierungmerkmale

Der Knall, der durch eine Kernexplosion im Wasser oder in Küstennähe ausgelöst wird, enthält in der Nähe des Detonationsortes Frequenzen bis in den Megahertzbereich. Von diesem anfänglichen Spektrum bleiben nach ozeanweiter Ausbreitung des Wasserschalls zwar nur die Frequenzen bis etwa 100 Hertz übrig, aber dies ist immer noch ein entscheidender Unterschied zu den häufigsten natürlichen Vorgängen mit ebenfalls großem Energieumsatz im Meer, den Seebeben. Diese lösen nämlich nur selten seismische Wellen mit solch relativ hoher Frequenz aus, und zusätzlich wird ihr Frequenzspektrum auf dem Weg vom Bebenort durch die Erdkruste bis in die Wassersäule durch Absorption weiter beschnitten. Insofern liefert das Spektrum eines Wasserschallereignisses ein wichtiges und vor allem einfaches Kriterium, um starke Explosionen von Seebeben, die global rund 80 Prozent aller Erdbeben ausmachen, zu unterscheiden.

Weitere charakterisierende Merkmale zeigen sich im zeitlichen Verlauf der Spektren. Sie sind zusammen mit den Frequenzunterschieden in einem Sonogramm darstellbar, indem man ähnlich wie in der Sprachanalyse den Vorgang in kurze Zeitabschnitte unterteilt, aus denen jeweils die Spektren berechnet werden (Bild 3). Augenfällig sind drei wesentliche Unterschiede: Anstiegszeit und Gesamtdauer der Explosionssignatur sind wesentlich kürzer als bei einem Seebeben, typischerweise um den Faktor drei bis zehn; statt dessen ist die Ausdehnung im Frequenzbereich deutlich größer.

Das geophysikalische Meßnetz zur globalen Überwachung wird im Endausbau aus 170 seismischen und elf hydroakustischen Meßstationen bestehen. Diese werden täglich mehrere hundert oder gar mehrere tausend Ereignisse verschiedenster Art registrieren, die nach geeigneten Kriterien zu untersuchen sind. Solch enorme Datenströme vermag keine Auswertergruppe mehr zu handhaben. Erforderlich ist demnach sowohl für die Seismik als auch für die Hydroakustik ein automatisches System, das die registrierten Signale nach vorgegebenen Parametern untersucht, offensichtlich unbedeutende Ereignisse verwirft und die restlichen vorläufig klassifiziert; die erfahrenen Auswerter brauchen dann nur relativ wenige Zweifelsfälle näher zu begutachten.

Analysen, die Lothar Ginzkey und Dieter Brecht an unserem Institut erarbeitet haben, zeigen, daß die drei Merkmale im Sonogramm – Anstiegszeit, Ereignisdauer und Breite des Spektrums – sich für eine automatische Vorklassifizierung der Wasserschallereignisse eignen und zusammen eine hohe Trefferrate ergeben. Allerdings ist die Anzahl der Wasserschallsignale ausreichender Qualität, die das Vorläufige Internationale Datenzentrum in Arlington bisher zur Verfügung gestellt hat, noch zu gering, um Detektionswahrscheinlichkeiten für das aufzubauende Hydroakustik-Netz zu berechnen. Gerade wegen dieser Erfahrungen halten wir es für unerläßlich, daß sich die Wasserschall-Experten auf internationaler Ebene zusammentun, um die für eine automatische Merkmalserkennung erforderliche Parametrisierung von Ereignissignalen nach optimal eingestellten Kenngrößen zu diskutieren und festzulegen.

Eines wird das Meßnetz freilich nicht können: zu entscheiden, ob ein als Explosion erkanntes Schallereignis auf eine nukleare oder auf eine chemische Detonation mit vergleichbarer Energieumsetzung zurückzuführen ist. Allerdings gibt es im Meer keine technische Anwendung für chemische Explosionen in dieser Größenordnung. Die in großer Zahl produzierten Knallsignale für die Lagerstättenprospektion in See entsprechen einem TNT-Äquivalent von weniger als einem Kilogramm. Demnach kann die Rekonstruktion der Explosionsenergie aus dem Empfangssignal ein wichtiges zusätzliches Unterscheidungskriterium liefern, wenngleich der Teststopp-Vertrag diese Kennzahl nicht fordert. Die Explosionsenergie läßt sich aus der Amplitude des Empfangssignals und der Entfernung zum Detonationsort ermitteln, die sich bei der Lokalisierung mit mindestens drei Stationen ohnehin ergibt. Insofern vermag auch eine relativ grobe Abschätzung der umgesetzten Energie zur Klassifizierung der Ereignisse beizutragen.

Allerdings kann auch die Eruption eines unterseeischen Vulkans im Energieumsatz mit einer nuklearen Explosion vergleichbar sein. Signale solcher natürlichen Ereignisse standen uns bisher nicht zur Verfügung. Wir hoffen, daß sich aus ihrem Zeitverlauf Unterscheidungskriterien ableiten lassen.


Geographie des SOFAR-Kanals und Einfluß auf die Lokalisierung

Die Lokalisierung von Nukleartests und anderen Ereignissen basiert, wie gesagt, auf den Differenzen der Signalankunftszeiten an mindestens drei Meßstationen. Dies erfordert, daß man die Schallgeschwindigkeit und deren Variabilität längs des Ausbreitungsweges kennt. Zudem muß man sich für alle vorkommenden Signalwege vergewissern, daß sie nicht von Inseln oder unterseeischen Gebirgen abgeschattet sind, die den Schallkanal unterbrechen.

Im Gegensatz zur Seismik, in der die globale Verteilung der Signalgeschwindigkeiten aus Laufzeitmessungen über Modelle rekonstruiert werden muß, deren Validierung noch nicht abgeschlossen ist, kann sich die Hydroakustik auf direkt gemessene Grunddaten stützen: Seit Anfang des Jahrhunderts haben zahlreiche ozeanographische und hydrographische Expeditionen in allen Weltmeeren systematisch Temperatur und Salzgehalt mit hoher Ortsauflösung gemessen. Anhand dieses Datenmaterials, das die wichtigste wissenschaftliche Grundlage der hydroakustischen Überwachung der Weltmeere darstellt, hat Michael Unger von unserem Institut verschiedene Karten erstellt, in denen die maßgeblichen Informationen wie Schallgeschwindigkeit auf dem Kanalhorizont und Tiefe des Schallkanals für jeden Ort auf See und für unterschiedliche Signalwege abzulesen sind.

Es zeigte sich, daß die Schallgeschwindigkeit auf dem SOFAR-Horizont weltweit nur um wenige Prozent variiert. In den kalten Nord- und Südpolarmeeren ist sie mit 1440 Metern pro Sekunde am geringsten, im Pazifik beträgt sie mit hoher räumlicher Konstanz 1485 und im Mittelmeer mit seinem relativ hohen Salzgehalt sowie in einigen küstennahen tropischen Gewässern bis zu etwa 1510 Meter pro Sekunde. Das Meer beschert den Überwachern also nicht nur den globalen Schallkanal an sich, sondern liefert ihn auch noch homogen in zweifacher Hinsicht: Die Variabilität ist sehr klein und macht sich außerdem nur großräumig bemerkbar.

Ähnliches gilt für die Tiefe des Schallkanals. In äquatorialen Breiten verläuft seine Achsenfläche etwa 1000 bis 1300 Meter unterhalb der Wasseroberfläche. In den Polarregionen wölbt sie sich nach oben und in den Gebieten mit höherer Schallgeschwindigkeit wie ein flaches Tal nach unten. Dennoch ist der ozeanische Wellenleiter global gesehen eine sehr glatte Fläche, weit weniger uneben als der Meeresboden und gar die Kontinentalflächen. Weil aber die Zone, in der die Schallgeschwindigkeit ein Minimum annimmt, ohnehin sehr breit ist, brauchen die hydroakustischen Meßstationen nicht exakt in der Tiefe der Kanalachse plaziert zu sein.

Um die Unterbrechungen und Störungen des Schallkanals durch unterseeische Erhebungen zu bestimmen, die zur Berechnung der abgeschatteten Flächen erforderlich sind, haben wir alle Bodenerhebungen, die näher als 300 Meter – entsprechend zehn Wellenlängen für eine Schallfrequenz von 50 Hertz – an die Schallkanalfläche heranreichen, als Störung gekennzeichnet. Das Ergebnis überrascht: In den Zentralbereichen der drei großen Becken des Pazifischen, Atlantischen und Indischen Ozeans wird die Kanalausbreitung nur vereinzelt gestört; selbst der mittelatlantische Rücken, der sich wie ein riesiges, zerklüftetes Gebirge über den Atlantikboden zieht, reicht nicht an den Kanalhorizont heran. Im wesentlichen sind es die Schelfgebiete, welche die Kanaltiefe unterschreiten und die Signalausbreitung behindern.

In den nicht abgeschatteten Bereichen ist die Genauigkeit, mit der Detonationen lokalisiert werden können, durch die Unschärfe der Signallaufzeit bestimmt, die sich aus der Laufzeitverbreiterung der verschiedenen Strahlenwege ergibt (Bild 1 unten). Für die Signatur der Mururoa-Explosion vom 27. Oktober 1995 zum Beispiel beträgt die relative Laufzeitunschärfe etwa 0,2 Prozent. Der absolute Ortsfehler bei gut bestimmbaren Hyperbelschnitten entspricht damit einer Fläche von weniger als 200 Quadratkilometern, also knapp einem Fünftel des vertraglich zugelassenen Wertes.

Um den Einfluß verschiedener Faktoren – wie Tiefenprofil der Schallgeschwindigkeit, Tiefe der zu identifizierenden Detonation sowie Länge des Signalweges – auf die Laufzeitunschärfe zu untersuchen, haben wir die Empfangssignalstruktur aus einem Einzelimpuls mit zwei voneinander unabhängigen Schallausbreitungsmodellen berechnet. Diese Simulationen, die Dirk Tielbürger an unserem Institut durchgeführt hat, zeigen, daß die Entfernungsbestimmung robust gegenüber gänzlich verschiedenen Zündtiefen und Profiltypen ist und selbst in ungünstigen Fällen einen Fehler von nur wenigen Promille aufweist. Sofern also der Explosionsknall von mindestens drei hydroakustischen Sensoren auf direktem Wege empfangen wird, kann die vertraglich verlangte Lokalisierungstoleranz eingehalten werden, auch ohne daß zusätzliche Informationen von dem seismischen Meßnetz vorliegen.


Das unterseeische Überwachungsnetz

Das Experten-Gremium für Hydroakustik der Genfer Abrüstungskonferenz, dem Fachleute aus den fünf etablierten Kernwaffenstaaten sowie aus Kanada, Deutschland, Australien und Neuseeland angehörten, hatte Einzelheiten des aufzubauenden Meßnetzes diskutiert und festgelegt. Trotz unterschiedlicher politischer Ziele ihrer Herkunftsländer ließen sich die Gremiumsmitglieder unübersehbar von der gemeinsamen Absicht leiten, ein wirklich arbeitsfähiges und verläßliches Überwachungssystem zu konzipieren. Die konsensbildenden Beiträge waren ausschließlich geophysikalische, technische und wirtschaftliche Argumente.

Die rasche Einigung auf ein einheitliches hydroakustisches Meßnetzkonzept als integrierter Bestandteil eines globalen Verifikationssystems kam nach den jahrzehntelang stagnierenden Teststopp-Verhandlungen einem Durchbruch gleich. Sicherlich hatten die von Forschungsinstituten mehrerer Länder durchgeführten Modellrechnungen, mit denen sich die Leistung des Überwachungssystems erstmals quantifizieren ließ, erheblich dazu beigetragen, auch Skeptiker schließlich zu überzeugen.

Wegen der relativ hohen Anzahl seismischer Stationen auf der nördlichen Hemisphäre, die auch unterseeische Detonationen lokalisieren können, muß im wesentlichen nur die Südhalbkugel mit hydroakustischen Sensoren überwacht werden. Als Minimum sind je drei Stationen im Pazifischen, Atlantischen und Indischen Ozean erforderlich, hinzu kommt jeweils eine weitere, um gegebenenfalls den Ausfall einer Station kompensieren zu können. Von den dann zwölf Einrichtungen läßt sich noch eine einsparen, weil der Abstand zwischen Südafrika und der Antarktis groß genug ist, um mit einer Station den Indischen Ozean und den Südatlantik gleichzeitig abdecken zu können. Alle elf hydroakustischen sowie die 170 seismischen, 60 Infraschall- und 80 Radioaktivitäts-Meßstationen sind mit ihren geographischen Koordinaten im Teststopp-Vertrag festgelegt.

Zur weiteren Kostenersparnis werden voraussichtlich fünf der elf Einrichtungen seismische Küstenstationen sein, die das Wasserschallsignal als konvertiertes, seismisches T-Wellen-Signal empfangen. Ein solches gemischtes Netz schränkt die Lokalisierungsfähigkeit nur unwesentlich ein (Bild 4 links); allerdings wird dann eines der Identifikationsmerkmale, nämlich der höherfrequente Signalanteil, nicht erfaßt. Aber auch dies ist akzeptabel, weil sich Explosionen von natürlichen Ereignissen bereits dann unterscheiden lassen, wenn der Wasserschall eine einzige hydroakustische Station auf direktem Wege erreicht (Bild 4 rechts).


Aufbau der hydroakustischen Stationen

Im Laufe der Verhandlungen wurden zwei Varianten für die Meßeinrichtungen selbst diskutiert: einerseits unterseeische Stationen mit Kabelverbindung zu einer Basis an Land für Stromversorgung und Signalweiterleitung, andererseits autonome bodenverankerte, batteriebetriebene Stationen mit Datenübertragung über Satelliten. Aus Gründen der Planungssicherheit und wegen der guten Langzeiterfahrungen mit verkabelten Stationen wurde diese Version gewählt – trotz der hohen Installationskosten von ungefähr 10 Millionen Mark pro Station und der Beschränkung auf Insel- oder Küstennähe, denn nur mit externer Stromversorgung und Meßwerterfassung läßt sich ein weitgehend wartungsfreier Betrieb über Jahrzehnte erreichen.

Das eigentliche Empfangselement, das Hydrophon, wird an einem Haltekabel befestigt und durch Auftriebskörper in der Tiefe des Schallkanals fixiert (Bild 5). Die empfangenen Signale werden bereits am Hydrophon digitalisiert und dann über ein armiertes Stromversorgungs- und Datenübertragungskabel an die Landstation übermittelt. Um im Falle von Inseln Abschattungseffekte zu vermeiden, sind in ihrer Nähe jeweils zwei Meßeinrichtungen vorzusehen.

Eine autonome Meßstation wäre im Prinzip genauso aufgebaut; anstelle des Unterseekabels würde sie über eine Batterie verfügen sowie über einen Antennenkopf, der auf der Meeresoberfläche schwimmt. Eine solche Einrichtung könnte an jeder beliebigen Stelle im Meer binnen kurzem installiert und bei Defekten einfach aufgenommen werden. Erfahrungen mit ozeanographischen Meßstationen zeigen jedoch, daß die Haltbarkeit der Kabelverbindung zum Überwasserteil ein Problem darstellt – mehr noch als der Batteriewechsel innerhalb weniger Jahre. In der Forschungsanstalt für Wasserschall und Geophysik in Kiel konstruiert Lothar Ginzkey gegenwärtig eine neuartige Oberflächeneinheit, damit autonome Stationen mit Signalvorverarbeitung zur Verfügung stehen, die beim Ausfall einer Kabelstation eingesetzt werden könnten oder mit denen sich das Meßnetz auf noch abgeschattete Meeresgebiete erweitern ließe.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1997, Seite 104
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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