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Im Namen der Natur. Der Weg zum ökologischen Rechtsstaat


Klaus Bosselmann zieht mit diesem Buch eine Art Bilanz seines beruflichen Engagements: Er war Rechtsanwalt in Umweltverfahren, wirkte an umweltrechtlichen Forschungsprojekten internationaler Organisationen mit und ist seit 1988 Professor für Umwelt- und Völkerrecht an der Universität Auckland (Neuseeland). Der Klappentext verkürzt diese Bilanz auf die Formel, daß es wegen der vom Menschen verursachten Naturkatastrophen höchste Zeit für eine Wendezeit des Rechts sei.

Bosselmann dokumentiert anschaulich die Indienstnahme, Ausbeutung und Zerstörung der Natur durch den Menschen (ab Seite 77). Bissig kritisiert er die gängige Umweltpolitik mit ihrer anthropozentrischen Grundeinstellung (Seite 137). Krisenbewältigung erwartet er von einer „ökozentrischen Wende“ (Seite 250), die zum einen die Einheit der Natur wiederherstellt, den Menschen also einbezieht, und zum anderen die Natur als evolutionäres und selbstorganisierendes System begreift (Seite 320).

Man wird dem Verfasser gern attestieren, daß seine Katastrophenszenarien Fehlentwicklungen zutreffend spiegeln, seine These vom Politikversagen plausibel scheint und sein Aufruf zur Umkehr Gehör verdient. Den Sachbuchautor Bosselmann, der Zustände beschreibt und Zustandsanalysen kompiliert, kann man für seine eindringlichen Bilder, seine pointierten Zusammenfassungen oder seine engagierten Appelle nur loben. Tadel kommt auf, wo der Wissenschaftler Bosselmann die Feder führt.

Wissenschaftliche Prämisse seiner „ökozentrischen Politischen Ökologie“ soll ein ganzheitlich-ökologisches Denken sein, das er unter Bezugnahme auf den amerikanischen Wissenschaftssoziologen Thomas Kuhn als neues Paradigma etikettiert (Seite 49). Das wäre in der Begriffswelt Kuhns, der Wissenschaftsentwicklung als Abfolge intellektueller Revolutionen und verstetigter paradigmatischer Phasen auffaßt, eine klassische wissenschaftliche Leistung, die in der Wissenschaftsgemeinschaft zum Vorbild und zur Tradition geworden ist; davon kann hier keine Rede sein.

Mit einem Hinweis auf den Sozialphilosophen Jürgen Habermas glaubt Bosselmann aus der gesellschaftlichen Bedingtheit von wissenschaftlicher Erkenntnis dann wenigstens auf eine Konsensgemeinschaft ökologisch denkender Wissenschaftler schließen zu können; Habermas behauptet dagegen die gesellschaftliche Bedingtheit von Erkenntnisinteressen (und damit nicht zwangsläufig Erkenntnissen) und schließt daraus auf Konsensgemeinschaften zur Beförderung notwendig unterschiedlicher Wissenssorten.

Schließlich verschwimmt Bosselmanns Begriff von Ganzheitlichkeit im Nebel, wenn sie einmal als wechselseitiger Bezug empirischer und normativer Bemühungen, weiter als wissenschaftliche Erkenntnis im Lichte ihrer gesellschaftlichen Verwendung und drittens als universale Vernetzung von Vorgängen verstanden wird (Seite 54). Wie das angemessene wissenschaftliche Verfahren seiner ökozentrischen Politischen Ökologie aussehen, wie eine unerwünschte Instrumentalisierung der Forschungsergebnisse vermieden und wie ein Kausalnetz modelliert werden soll, bleibt offen.

Die gleichen Fragen stellen sich an die neuartige Politische Ökologie, die – zur Sicherung des Überlebens der Menschheit – die Einheit der Wissenschaften, die Gleichberechtigung rationaler mit anderen Erkenntnisprozessen und die Zusammenschau aller Methoden postuliert (Seite 62). Eine derartige Grand Unified Theory der Wissenschaft ist leider in weiter Ferne, und auch der Autor gibt keine Antwort etwa auf die naheliegende Frage, wie er denn wissenschaftliche von unwissenschaftlichen Aussagen bei seinem „anything goes“ unterscheiden will.

Der Königsweg aus der Misere soll der ökologische Rechtsstaat sein (Seite 351). Dazu bedarf es, so Bosselmann, einerseits einer ökologischen Rechtstheorie, wonach die nichtmenschliche Natur den individuellen Freiheitsrechten Grenzen zieht, eine selbstgesetzte Umweltethik zum Maßstab allen Rechts wird oder die Natur Eigenrechte erhält, andererseits einer ökologischen Rechtsordnung mit Elementen wie einer allgemeinen ökozentrischen Umweltverträglichkeitsprüfung, einer Beweislastumkehr bei ökologischen Risiko-Ereignissen oder einer Institutionalisierung von ökologischer Interessenwahrnehmung.

Bosselmann gebraucht hier den Rechtsstaatsbegriff – gängigerweise ein Synonym für checks and balances – im Sinne eines „staatlichen Vorrangs für ökologisches Recht“; er setzt Rechtstheorie mit Rechtsethik und Rechtsordnung mit Rechtsinstitut gleich. Aber davon abgesehen dürfte sich kaum jemand solchen abstrakten Forderungen verschließen. Der Teufel steckt im Konkreten, wenn sich beispielsweise die Frage stellt, wer wem solche Umweltethik (vor-)setzt. Es ist sicherlich nicht das geringste Verdienst von Utopien, derartige Konfliktlinien zu eröffnen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1993, Seite 120
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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