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Wirkungsgrad: Immer noch ein Quäntchen besser

Mit allen Tricks erhöhen Ingenieure die Effizienz der Brennstoffnutzung konventioneller Kraftwerke.


Wie ein riesiger Öltanker liegt das Gebäude des RWE-Braunkohlekraftwerks Niederaußem in der Landschaft. 200 Meter reicht der weltgrößte Kühlturm in den Himmel. Drinnen ebenfalls nur Superlative: In der Halle rotiert die stärkste mit fossilen Brennstoffen befeuerte Dampfturbine der Welt mit einer Leistung von 950 Megawatt im Probebetrieb. Sie wird voraussichtlich einen Bruttowirkungsgrad von rund fünfzig Prozent erzielen. Das bedeutet, dass etwa die Hälfte der im Brennstoff enthaltenen Energie in Strom umgewandelt wird. Auch das ist ein Weltrekord.

Ein hoher Wirkungsgrad ist gleichbedeutend mit Ressourcenschonung und Schadstoffreduzierung. So setzt ein 500-Megawatt-Steinkohlekraftwerk heute beispielsweise 36 Prozent der chemischen ­Energie der Kohle in Strom um, ein Prozent mehr Effizienz würden den Brennstoffverbrauch um 16000 Tonnen und den Kohlendioxidausstoß um 43000 Tonnen pro Jahr senken.

Im Brennpunkt der Entwicklung stehen die Turbinen, also jene Bauteile, deren Schaufeln vom heißen Dampf in Rotation versetzt werden, einen Generator antreiben und so Wärmeenergie in Strom verwandeln. In der Anlage von Niederaußem sind es wahre Giganten, jede mehrere hundert Tonnen schwer. Hergestellt werden sie von Siemens Power Generation in Mülheim an der Ruhr. Rustikale Werkshallen täuschen darüber hinweg, dass die handtellergroßen bis armlangen Turbinenschaufeln auf Millimeterbruchteile gefertigt und mit entsprechender Präzision ineinander gefügt werden müssen. Moderne Fünfachsen-Fräsmaschinen zaubern bizarr geformte, dreidimensional gedrehte Hochleistungsschaufeln.

Gas und Dampf im Kombipack

Die ungewöhnliche Form ist das Ergebnis aufwendiger Computersimulationen. Die Ingenieure simulieren am Rechner die Strömung des Dampfes an jedem Punkt der Turbine und errechnen so die optimale Kontur der Schaufeln. Damit lassen sich dann Strömungsverluste minimieren und der Gesamtwirkungsgrad der verschiedenen Turbinenstufen maximieren. Dazu kommen diverse Tricks: So lassen dünne Lamellen zwischen Schaufelende und Gehäuse keinen Dampf ungenutzt entweichen. Ein isolierender Mantel garantiert zudem, dass sich das Turbinengehäuse beim Erhitzen gleichmäßig und rotationssymmetrisch verformt, denn schon geringste Abweichungen verringern den Wirkungsgrad.

Wer noch weiter an der Effizienzschraube drehen will, muss die Dampftemperatur erhöhen. Denn die Physik gibt vor: Je höher die Temperaturdifferenz zwischen einströmendem und ausströmendem Dampf, desto größer ist der Wirkungsgrad. In Niederaußem strömt der Dampf mit 600 Grad Celsius und einem Druck von knapp 300 Bar in die Hochdruckturbine. Das Problem: "Bei Temperaturen über 620 Grad Celsius wird es schwierig mit konventionellen Werkstoffen", sagt Uwe Hoffstadt, bei Siemens für das Turbinendesign zuständig.

Im Projekt Komet 650, das Ende 2002 beendet wurde, suchten mehrere deutsche Firmen, darunter VEW Energie, RWE, Babcock, und etliche Uni-Institute deshalb nach Werkstoffen, die eine noch um fünfzig Grad höhere Dampftemperatur aushalten. Bewährt haben sich dabei vor allem Werkstoffe auf Nickelbasis. Im neuen europäischen Projekt AD700 haben sich die Teilnehmer nun bis zum Jahr 2010 sogar Dampftemperaturen von 720 Grad und einen Druck bis 350 Bar vorgenommen.

Die höchsten Wirkungsgrade erreichen zurzeit die erdgasbetriebenen kombinierten Gas- und Dampfturbinenkraftwerke (kurz: GuD), bei denen die Abwärme der Gasturbinen nicht verpufft, sondern zusätzlich zur Dampferzeugung und zum Antrieb einer Dampfturbine genutzt wird. Der Weltrekord liegt derzeit bei 58,4 Prozent, gehalten von Siemens im Kraftwerk Mainz-Wiesbaden. Ein großer Vorteil: Diese Kombikraftwerke emittieren nur ein Drittel der Kohlendioxidmenge, die ein Braunkohlekraftwerk gleicher Leistung ausstößt. Laut Hans-Joachim Ziesing, ­Leiter der Abteilung "Energie, Verkehr, Umwelt" beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, sind GuD-Kraftwerke – möglichst in Kraft-Wärme-Kopplung ausgelegt – ideale Kandidaten für die Energieversorgung der nächsten Jahre und die Übergangsphase zur Energieversorgung aus regenerativen Quellen.

Die Gasturbinen in den GuD-Kraftwerken fordern die Werkstoffe am stärksten, denn das Gas strömt mit 1550 Grad Celsius in die Turbinen. Insbesondere müssen die sich drehenden Schaufeln neben der extremen Hitze noch enorme Fliehkräfte vom 10000fachen der Erdbeschleunigung aushalten. Sie werden heute aus Einkristallen mit Nickelbasislegierungen gefertigt. Eine 0,3 bis 0,5 Millimeter dünne Keramikschicht aus Yttriumoxid oder Zirkonoxid schützt das Metall.

Doch diese Keramikschicht steuert höchstens 150 Grad zur Temperaturreduktion bei. Nun darf die Temperatur an der Metalloberfläche aber 950 Grad Celsius nicht übersteigen, denn nur zwanzig bis dreißig Grad mehr würde die Lebensdauer der Schaufeln halbieren. Deshalb strömt aus kleinen Löchern in den Schaufeln zusätzliche Luft zur Kühlung, die die Schaufeln wie ein Schleier umhüllt. Der Nachteil: Diese Art der Kühlung kostet leider Wirkungsgrad.

Hätte man einen Werkstoff, der 1550 Grad Celsius aushielte, wäre die Effizienz wesentlich höher und der Wirkungsgrad könnte theoretisch bis auf siebzig Prozent hochschnellen. Deshalb versuchen die Ingenieure Werkstoffe zu finden, die den hohen Verbrennungstemperaturen ohne Luftkühlung standhalten. In der engeren Wahl sind Siliziumnitride und -carbide, doch diese verbrennen mit der Zeit und brechen zu leicht. Der Traum der Turbinenkonstrukteure wären deshalb Schaufeln aus faserverstärkter Keramik, für die es aber noch keine geeigneten Fertigungsverfahren gibt.

Vier deutsche Hersteller von Gas- und Flugzeugturbinen sowie zwanzig Hochschulen haben sich zum Verbundforschungsprojekt AGTurbo zusammengeschlossen. Sie peilen einen Wirkungsgrad von 65 Prozent an, was nur durch eine Vielzahl von Maßnahmen zu erreichen ist. Die Projektpartner wollen zudem mit Kohle experimentieren, die durch Vergasung auch für GuD-Kraftwerke genutzt werden soll. Hier liegt das Ziel der AGTurbo bei 55 Prozent und damit höher als bei den besten Dampfturbinen.

Der Formel "heißere Gastemperatur gleich höherer Wirkungsgrad" sind allerdings Grenzen gesetzt. Bei 1550 Grad Celsius dürfte vermutlich Schluss sein, selbst wenn man noch hitzefestere Materialien fände. Der Grund: Bei so hohen Temperaturen steigt der Ausstoß von Stickoxiden rasant an, pro hundert Grad um den Faktor fünf.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2003, Seite 89
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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