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Industrieforschung - düstere Zahlen und ein kleiner Hoffnungsschimmer

Vorsichtiger Optimismus, aber keine Trendwende so wird das neueste Ergebnis der Wissenschaftsstatistik bewertet. Die Forschung und Entwicklung in deutschen Unternehmen läßt nicht weiter nach; vielmehr wird für 1996 und 1997 eine positive Entwicklung registriert. Freilich müssen sowohl die Wirtschaft als auch die Wissenschaftseinrichtungen und -förderer sich mächtig anstrengen, soll die Industrieforschung in Deutschland wieder zukunftsträchtig werden.

Die Tabellen, Graphiken und Erläuterungen zur Forschung und Entwicklung (FuE) in der Wirtschaft, die der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft alle zwei Jahre vorlegt, sind kompliziert und genießen im allgemeinen wenig öffentliches Interesse. Dieses Jahr könnte das Datenwerk jedoch mehr Beachtung finden, denn es verzeichnet das zumindest vorläufige Ende einer mehrjährigen Stagnation: Mit 58,8 Milliarden Mark gaben die Unternehmen in der Bundesrepublik sowie die hier tätigen wirtschaftsnahen Forschungsinstitutionen und Verbände 1996 insgesamt 1,8 Prozent mehr für FuE aus als im Jahr zuvor; noch 1995 waren diese Aufwendungen um 0,8, 1993 sogar um 1,3 Prozent gegenüber dem jeweiligen Vorjahr gesunken. Diese jüngste Erhebung über die FuE-Aktivitäten des Wirtschaftssektors belegt damit – so der Wissenschaftsstatistik-Geschäftsführer im Stifterverband, Christoph Grenzmann – "ein Grundvertrauen in den Standort Deutschland".

Grenzmann liest aus der Publikation einen "vorsichtigen Optimismus" heraus, der auch die Planungen der Unternehmen für 1997 kennzeichne. Er schränkte aber sogleich ein: "Von einem Durchbruch oder einer Trendwende zu sprechen scheint allerdings überzogen zu sein." Die Erhebungen betreffen nämlich nur die nominalen Zahlen; die realen Aufwendungen hingegen, in denen Kaufkraft und Inflation berücksichtigt werden, sind seit Jahren rückläufig. Die sogenannten internen FuE-Ausgaben, also die Mittel, welche die Unternehmen nicht für Aufträge an Dritte vergeben, sind seit 1991 kontinuierlich von 1,8 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesunken.


Immer weniger Platz für Forscher

Noch viel dramatischer ist das Verschwinden jedes sechsten FuE-Arbeitsplatzes in den Industrielabors und Institutionen der industriellen Gemeinschaftsforschung. Die Anzahl der in diesem Sektor Beschäftigten (umgerechnet auf Vollzeitbeschäftigte) nahm seit 1991 von 322000 auf 274000 ab, und nichts weist darauf hin, daß kurzfristig neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. In den achtziger Jahren hingegen waren sowohl die Aufwendungen als auch die Personalstärke stetig angestiegen.

Die aktuellen Daten über FuE in der Wirtschaft, die Grenzmann und der Generalsekretär des Stifterverbands, Manfred Erhardt, am 20. Februar in Bonn vorstellten, offenbaren freilich noch mehr als nur nackte Zahlen. Sie geben auch einen Einblick in die Bedingungen der Industrieforschung. Unter den in FuE tätigen Branchen sind beträchtliche Unterschiede zu verzeichnen. In der chemischen Industrie beispielsweise haben die Gesamtaufwendungen für FuE erst 1996 mit 11,1 Milliarden Mark wieder den Stand von 1991 erreicht. Aber das FuE-Personal ist zwischen 1993 und 1995 um zehn Prozent zurückgegangen, stärker als im Mittel der Wirtschaft – eine besonders bittere Situation angesichts der ungefähr 5000 arbeitslosen promovierten Chemiker, zu denen sich bis zum Jahre 2000 noch weitere 10000 Absolventen des Chemiestudiums gesellen werden.

"Die verlorene Generation", "Investitionsdesaster Chemiestudium" – so charakterisiert denn auch das Bochumer Institut für angewandte Innovationsforschung die Lage. Heute fänden nur noch 10 bis 15 Prozent der Chemie-Hochschulabsolventen einen Job in den Forschungslaboratorien der chemischen Industrie. Im Maschinenbau und in der Elektroindustrie ist demnach für 1997 ebenfalls kein besonderes FuE-Engagement zu erkennen. Die Kfz-Branche indes sei ein "Hoffnungsträger": Die Gesamtausgaben und die Beschäftigtenzahl für FuE dürften in diesem Sektor wie bisher auch 1997 weiter ansteigen.


Vorbild: Kleine und mittlere Unternehmen

Eine besondere Position nehmen die kleinen und mittleren Unternehmen ein. Bei ihnen stiegen die Gesamtaufwendungen für FuE seit 1993 kontinierlich an, und sie bauten das Personal längst nicht so stark ab wie die Großunternehmen. Vor allem die ganz kleinen Firmen weisen eine hohe FuE-Intensität auf. In Zahlen ausgedrückt: Während im gesamten Wirtschaftssektor in Deutschland der Anteil des Umsatzes, der für FuE aufgewendet wurde, von 4,0 Prozent im Jahre 1993 auf 3,7 Prozent im Jahre 1995 sank, stieg er bei Firmen mit weniger als 500 Beschäftigten von 3,5 auf 3,8 Prozent an. In allen Unternehmen zusammengenommen ging die Zahl der insgesamt Beschäftigten stärker zurück als die des FuE-Personals, so daß dieses sogar seinen relativen Anteil von 5,5 auf 5,9 Prozent erhöhen konnte; am deutlichsten war dieser Effekt mit einer Steigerung von 6,3 auf 7,7 Prozent wiederum bei den Firmen mit weniger als 250 Beschäftigten.

Von allen europäischen Staaten hat Deutschland den stärksten Rückgang der internen FuE-Aufwendungen des Wirtschaftssektors zu verzeichnen: Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt sank von 1991 bis 1994 von 1,8 auf 1,54 Prozent. Die Bundesrepublik liegt damit nur noch knapp vor Großbritannien und Frankreich, wo dieser Wert in diesem Zeitraum etwa 1,45 Prozent betrug. In Japan und in den USA hat dieser Anteil zwar ebenfalls abgenommen, liegt dort aber noch immer höher als 1,8 Prozent.

Auch unerwartete Aspekte sind aus den Daten des Stifterverbands herauszulesen. Beispielsweise sind die FuE-Aufwendungen ausländischer Unternehmen in Deutschland etwa gleich groß – und nicht, wie oft behauptet, geringer – als diejenigen deutscher Unternehmen im Ausland.


Osthilfe mit FUTOUR und FUEGO

In den neuen Bundesländern sind die Aussichten der Industrieforschung offensichtlich immer noch schlechter als in den alten. Unverändert gegenüber 1993 entfielen auch 1995 lediglich 7,5 Prozent des gesamtdeutschen Personals des Wirtschaftssektors und 4,1 Prozent der internen FuE-Aufwendungen auf Forschung und Entwicklung in Ostdeutschland. Für 1997 planen nur 19 Prozent der Unternehmen im Osten eine Zunahme ihrer FuE-Aktivitäten, gegenüber 24 Prozent im Westen; 14 Prozent im Osten und 12 Prozent im Westen wollen ihre FuE-Aufwendungen verringern. Im Jahre 1995 waren nur noch 20000 Personen im Wirtschaftssektor Ostdeutschlands in FuE beschäftigt – 15000 weniger als vier Jahre zuvor.

Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) hat in den vergangenen Jahren mit einigen vorher im Westen bewährten Instrumenten versucht, die Industrieforschung auch im Osten zu beleben: durch Förderung für zusätzlich eingestellte Wissenschaftler und Ingenieure, durch an ostdeutsche Klein- und Mittelbetriebe vergebene Auftragsforschung, durch Vergabe von Aufträgen westdeutscher und ausländischer Unternehmen an FuE-Einrichtungen in Ostdeutschland sowie mit dem für kleine und mittlere Unternehmen ausgelegten Programm "Forschungskooperation". Dafür wurden für 1990 bis 1996 mehr als 580 Millionen Mark bewilligt. Hinzu kommen noch Programme des Bundeswirtschaftsministeriums sowie solche, die früher nur für Westdeutschland galten und nun auf die neuen Bundesländer ausgeweitet wurden.

Ende 1996 wurde das BMBF-Programm für Ostdeutschland neu konzipiert: Seit 1. Januar 1997 können im Programm FUTOUR (Förderung und Unterstützung technologieorientierter Unternehmensgründungen) bis zum Ende des Jahrzehnts Gründungen entsprechender Betriebe mit rund 500 Millionen Mark gefördert werden. Das BMBF erwartet rund 250 zusätzliche dynamische Hochtechnologieunternehmen sowie zwischen 2500 und 3000 neue Arbeitsplätze.

Während FUTOUR von der Europäischen Kommission genehmigt wurde, steht deren Zustimmung für das zweite Programm FUEG (Förderung von Forschungs- und Entwicklungsgemeinschaftsvorhaben Ost) noch aus. Das BMBF will damit bis 1999 ungefähr 200 Millionen Mark bereitstellen, um 400 bis 600 innovative Gemeinschaftsvorhaben von Unternehmen und Forschungseinrichtungen zu ermöglichen.


Lücken bei den Dienstleistungen, Chancen bei der Biotechnologie

Im Bereich der Dienstleistungen hat die Statistik des Stifterverbands eine weitere Forschungslücke ausgemacht: Ihr Anteil an den FuE-Gesamtaufwendungen ist trotz stetiger Zunahme mit etwa fünf Prozent im Jahre 1995 relativ gering. Dies stehe nicht mit der volkwirtschaftlichen Entwicklung dieser Branche in Einklang.

Der Stifterverband führt dies vor allem auf definitorische Gründe zurück. Zum Beispiel werden FuE-Aktivitäten von Banken, die auf neue Finanzierungs- und Anlagenmodelle ausgerichtet sind, oder der Verkehrsforschung, die auf die organisatorische Integration unterschiedlicher Verkehrsträger orientiert ist, von der Statistik nicht erfaßt und oft auch in der Praxis nicht als Forschung anerkannt. Bis zu seiner nächsten Erhebung will der Stifterverband einen neuen sogenannten Dienstleistungsansatz finden, der die Mängel beseitigt; dann dürfte auch die Informationstechnik mit einbezogen werden, auf deren Software-Produkte ebenfalls ein nennenswerter Anteil der insgesamt geleisteten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten entfällt.

Ein ähnlich aussichtsreiches Gebiet für die Industrieforschung ist die Biotechnologie. Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers sagt ihr auch in Deutschland eine gute Entwicklung voraus. Nachdem im Herbst 1996 das BMBF vier von 17 Regionen in Deutschland zu sogenannten Bioregionen erkoren hatte (München, Rheinland, Rhein-Neckar-Dreieck sowie Jena), ist Rüttgers mit deren Vertretern Mitte Februar zu einer Art Werbereise in die USA geflogen, um ihre Chancen durch internationale Zusammenarbeit zu verbessern.

Das Potential der Biotechnologie für Deutschland hat jetzt das prognos-Institut Basel in einer Untersuchung für das Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen herausgestellt. Demnach sind zwar in der pharmazeutischen Industrie seit 1993 etwa 20000 Arbeitsplätze verlorengegangen; aber betrachte man den gesamten Bereich der kommerziellen Biotechnologie – Therapeutika, Diagnostika, Nahrungsmittel, Agrobiotechnologie, Umweltbiotechnologie, Vitamine und Enzyme –, könnten hier nach Angaben der befragten Unternehmen bis zum Jahre 2000 zwischen 23000 und 40000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Sofern die Rahmenbedingungen – also die gesetzlichen Regelungen und die Akzeptanz in der Bevölkerung – es zulassen, wäre es demnach gut möglich, daß die Industrieforschung in Deutschland von der Biotechnologie einen bedeutenden Schub erfährt.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1997, Seite 110
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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