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Information, Macht und gesellschaftliche Rationalität. Das Dilemma kommunikativen Handelns, dargestellt am Beispiel eines internationalen Vergleichs der Kernenergiepolitik


In diesem Buch geht es um die Folgen asymmetrischer Information bei politischen und wirtschaftlichen Wechselbeziehungen. Schon der Sozialökonom Max Weber (1864 bis 1920) hatte das als Problem klar erkannt. In einem ausführlichen Zitat, das als Motto am Anfang steht, stellt Weber dem Souverän eine Staatsverwaltung gegenüber, die diesem zwar unterworfen ist, aber mit ihrer überlegenen Sachkenntnis stets eine eigene Machtstellung gegen ihn aufbauen kann. Ein ähnliches Verhältnis besteht zwischen der Staatsverwaltung (anstelle des Souveräns) und Vertretern privatwirtschaftlicher Interessen (anstelle der Verwaltung), wo überlegenes Expertenwissen gegen eine mehr formaljuristische Denkweise ausgespielt wird.

Das erste Kapitel "Wissen und Macht" bringt außer Webers theoretischem Ansatz noch weitere: die politische Kybernetik von Karl Deutsch, der bereits den Gedanken erwogen, aber wieder verworfen hatte, die mathematische Spieltheorie als theoretisches Instrument einzusetzen, sowie die sogenannte Neue Institutionelle Ökonomie und die Informationsökonomie, als deren Vertreter Oliver E. Williamson, John von Neumann und Oskar Morgenstern zu nennen sind. Letztere operiert mit dem Begriff des Spieles (oder auch der Entscheidung) bei unvollständiger Information, dessen logische Grundlagen in einem Anhang ausführlich dargelegt werden.

Otto Keck, der sich mit diesem Werk am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin habilitiert hat, macht zugleich aber auch deutlich, daß Spiele dieser Art die empirischen Situationen, die gerade für seine Studie entscheidend sind, nur unzulänglich beschreiben. Er propagiert deshalb einen neuen Typ von Spielen, die sogenannten Sender-Empfänger-Spiele, als "einfache und realitätsnahe Modelle rationalen kommunikativen Handelns", "die den Denkprozeß von Akteuren bei der Wahl zwischen verschiedenen möglichen Signalen modellieren". Das Grundmuster eines solchen Spiels besteht darin, daß der Spieler entscheidet, welches von verschiedenen möglichen Signalen er an den Empfänger sendet. Dieser entscheidet daraufhin, welche von verschiedenen möglichen Handlungen er vollführt.

Für mathematisch nicht geschulte Leser wird in Kapitel 2 der Spielablauf sehr klar und einleuchtend am Beispiel der Subvention neuer Technologien mit asymmetrischer Information dargestellt. Immer dann, wenn aus der Sicht des Staates ein Projekt Erfolg verspricht, die Betreiberfirma hingegen auf Grund ihrer besseren Informationen zur gegenteiligen Auffassung gelangt, tritt ein Dilemma auf. Nach einem englischen Ausdruck für große, schöne und nutzlose Projekte werden solche Unternehmungen "weiße Elefanten" genannt. Im Rahmen eines Sender-Empfänger-Spiels kann die Situation überzeugend rational analysiert werden. Dagegen wird der Begriff des Spiels mit unvollständiger Information der Sache nicht gerecht.

In der Praxis kommt es auch zu Wiederholungen des Sender-Empfänger-Spieles (auch kurz Informationsspiel genannt). Hier zeigt sich nun, daß im Unterschied zum vieldiskutierten Gefangenendilemma (einem Spiel, mit dem sich zum Beispiel die Rüstungsspirale der beiden Großmächte USA und Sowjetunion rational beschreiben läßt) das Prinzip "Wie du mir, so ich dir" sich als problematisch erweist, da der Staat zum Beispiel ein defektives Verhalten der Firma nicht wahrnehmen kann.

In Kapitel 3, das den theoretischen Teil der Studie abschließt, faßt Keck das System der an einer Politik beteiligten und von ihr betroffenen Akteure in ein begriffliches Modell, in welchem deren wechselseitige Abhängigkeiten graphisch dargestellt werden.

Mit Kapitel 4 beginnt der empirische Teil, in dem die Theorie der Informationsspiele auf die Kernenergiepolitik in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und Deutschland angewandt wird. Anhand einer profunden Untersuchung arbeitet Keck heraus, daß in Ländern mit ähnlichen institutionellen Strukturen wie den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik einerseits sowie Großbritannien und Frankreich andererseits sich ähnliche Informationsasymmetrien herausbilden und daß sich die Akteure so verhalten, wie die Theorie es vorhersagt. Insbesondere erklärt er, wie "weiße Elefanten" jahrelange Fehlentwicklungen mit verlorenen Investitionen in Milliardenhöhe verursacht haben, die größtenteils der Steuerzahler aufzubringen hatte. In einem dritten Teil ordnet Keck die Ergebnisse in den Kontext einiger weiterer politikwissenschaftlicher, soziologischer und ökonomischer Theorieansätze ein.

Es folgen vier Anhänge, die einer mathematischen Analyse der Spiele mit unvollständiger Information und dem Informationsspiel mit asymmetrisch begrenzter Rationalität gewidmet sind, sowie ein Literaturverzeichnis von mehr als 800 Titeln.

Für mich als Mathematiker ist diese Studie ein überzeugendes Beispiel für die Modellierung eines Sachverhalts, bei der die Mathematik der Empirie angepaßt und nicht diese in ein mathematisches Korsett gezwängt wird. Der Typ des Informationsspiels, wie er hier beschrieben wird, ist meines Wissens in der mathematischen Spieltheorie noch nicht systematisch untersucht worden. Nach diesem Buch zu urteilen, wäre das ein lohnendes Unterfangen.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1995, Seite 113
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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