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Innovativer Mittelstand - Gemeinschaftsforschung kleiner und mittlerer Unternehmen


Das Kürzel KMU umfaßt 99,6 Prozent aller Unternehmen in der Bundesrepublik: die kleinen und mittleren mit jeweils maximal 500 Beschäftigten. Rund 70 Prozent aller Arbeitnehmer unseres Landes sind in ihren Betrieben tätig. Allein in der Zeit von März 1994 bis März 1995 haben KMU 287000 neue Stellen eingerichtet, während bei den größeren Unternehmen im gleichen Zeitraum 329000 Stellen abgebaut wurden. Ihre offenkundige Funktion als Rückgrat der deutschen Wirtschaft kann die mittelständische Industrie jedoch in Zukunft nur dann ausfüllen, wenn sie auch weiterhin ihre nationale – und im Zuge der Globalisierung der Wirtschaft zunehmend auch internationale – Wettbewerbsfähigkeit durch innovative Ideen zu erhalten und zu steigern vermag.

Beim Thema Industrieforschung denkt man trotzdem vornehmlich an Großunternehmen, die (nicht selten massiv öffentlich gefördert) in eigenen FuE-Abteilungen neue Verfahren und Produkte entwickeln. Das mag darin begründet sein, daß gerade KMU erhebliche Schwierigkeiten haben, solche Grundlagen des Fortschritts aus eigener Kraft zu erarbeiten und spektakuläre Ergebnisse etwa auch der institutionalisierten öffentlichen Forschung in ihre Praxis umzusetzen. Den Unternehmen dieser Größenordnung fehlt es dafür schlichtweg an Mitarbeitern und Ressourcen. Zu diesen strukturbedingten Nachteilen kommen relativ höhere FuE-Kosten als bei Großunternehmen hinzu, außerdem schwer überschaubare FuE-Risiken und der große Aufwand bei der Umsetzung verwertbarer technologischer Konzepte.

In der Bundesrepublik gibt es jedoch ein hochwirksames Instrument, mit dem mittelständische Unternehmen diesem gravierenden Wettbewerbsnachteil entgegenwirken können: Rund 50000 KMU haben in den verschiedenen Branchen und Technologiefeldern der Wirtschaft Gruppierungen gebildet, die gemeinsam forschen. Mittlerweile entstanden 109 derartige Verbünde; ihre Dachorganisation ist die bereits 1954 gegründete Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen "Otto von Guericke" (AiF).

Damit bietet sich auch kleinen und mittleren Unternehmen die Chance, kritische Schwellen bei einzelnen FuE-Vorhaben zu überwinden und bestimmte technologische Entwicklungslinien mit zu verfolgen. Weil dabei vielfach Konkurrenten zusammenarbeiten, ist Wettbewerbsneutralität ein wesentliches Merkmal der Kooperation.

Die Grundlage dieses Systems bilden freilich die einzelnen Unternehmen selbst. Aus ihrer täglichen Arbeit sind die konkreten Probleme, die es zu lösen gilt, am besten bekannt. Sie können im Rahmen der jeweiligen Vereinigung Ziele und Schwerpunkte der Projekte bestimmen; das garantiert größtmögliche Praxisrelevanz, Anwendungsnähe und rasche Nutzung der Ergebnisse. Von anderer Seite, zum Beispiel von wissenschaftlichen Instituten, werden die Vorhaben lediglich beratend begleitet.

Der Bundesminister für Wirtschaft fördert diese industrielle Gemeinschaftsforschung mit einem jährlich festgesetzten Betrag. Gegenwärtig – für 1997 – sind es 170 Millionen Mark. Dafür fordert das Ministerium allerdings den Einsatz von Eigenmitteln in mindestens gleicher Höhe; sie sind jedoch nicht als anteilige Übernahme von Ausgaben für die öffentlich geförderten Vorhaben zu erbringen, sondern können von den Mitgliedsvereinigungen der AiF flexibel und nach eigenem Ermessen verwendet werden – zum Beispiel für Forschungsvorhaben in eigener Regie oder zum Unterhalt von Branchenforschungsinstituten.

Die Bedeutung des Netzwerks für die Leistungsfähigkeit des deutschen Mittelstandes zeigt sich deutlich im zunehmenden Engagement der beteiligten Industrie. Ihre finanziellen Aufwendungen dafür sind nämlich nicht nur erheblich höher als nach den Förderungsbedingungen erforderlich, sondern werden seit geraumer Zeit sogar um durchschnittlich rund zehn Prozent jährlich gesteigert. Bei einem gesamtwirtschaftlichen Anstieg der industriellen FuE-Ausgaben von 1,8 Prozent in diesem Jahr ist dies ein höchst überproportionales Wachstum.

Insgesamt ist das Verhältnis von industrieeigenen und öffentlichen Mitteln mittlerweile besser als 2 zu 1, denn im zuletzt ausgewerteten Jahr 1995 brachten die Partner der Kooperativen mehr als 400 Millionen Mark auf. Trotzdem schieben die AiF und ihre Mitgliedsvereinigungen bereits rund 400 FuE-Projekte, die für die Förderung durch das Wirtschaftsministerium bewilligungsreif sind, vor sich her: Sie können mangels öffentlicher Mittel nicht durchgeführt werden, obwohl ihre technologische Relevanz für den Mittelstand unbestritten ist. Zwar sind 170 Millionen Mark Fördermittel insbesondere zu Zeiten knapper öffentlicher Haushalte viel Geld, aber bei 50000 Mitgliedern der AiF-Forschungsvereinigungen eben auch nur durchschnittlich 3400 Mark pro Unternehmen im Jahr.

Da große Konzerne mehr und mehr Produktionsbetriebe und zunehmend auch FuE-Abteilungen ins Ausland verlagern, sollte Wirtschaftspolitik hierzulande mehr denn je Mittelstandspolitik sein, denn kleine und mittlere Unternehmen bleiben dem Standort Deutschland treu. Effektive Hilfe zur Selbsthilfe muß sie zu existenzsichernden Innovationen befähigen. Die industrielle Gemeinschaftsforschung im Rahmen des AiF-Systems bietet dazu das geeignete Instrumentarium.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1997, Seite 46
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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