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Anthropologie: Verkannte Neandertaler

Neue archäologische, anatomische und genetische Befunde zeigen: Unsere nächsten Verwandten hatten unerwartet hohe geistige Fähigkeiten.
Gehirn Neandertaler

An klaren Tagen erscheinen die zerklüfteten, hohen Felsen der Küste Marokkos von der Gorham-Höhle Gibraltars aus fast zum Greifen nah. Diese Gegend mit ihrem günstigen Klima und den starken, nährstoffreichen Meeresströmungen hat Menschen seit jeher angezogen. Eine Gruppe von ihnen lebte hier über Zehntausende von Jahren, wo sie auch widrige Phasen der Eiszeit überstand. Heute ist die engste Stelle der Straße von Gibraltar 14 Kilometer breit. In Kaltzeiten, wenn der Meeresspiegel tiefer lag, erstreckte sich vor der Gorham-Höhle, die östlich von der Spitze Gibraltars liegt, eine weite Küstenebene mit verschiedensten Tieren und Pflanzen. Damals erlegten die Menschen, die hier lebten, Großwild wie Steinböcke und Robben sowie kleinere Tiere wie Tauben und Kaninchen. Sie aßen Fische, Muscheln und Napfschnecken. In den umliegenden Wäldern beschafften sie sich Pinienkerne. Manchmal erbeuteten sie Raben oder Adler und schmückten sich mit den schillernden Federn. Auf eine flache Erhöhung in ihrer Höhle ritzten sie Zeichen von längst vergessener Bedeutung.

In solchen Dingen verhielten sich die Höhlenbewohner nicht viel anders als der Homo sapiens –  unsere eigene Art, die in Afrika entstand. Nur waren dies keine anatomisch modernen Menschen, sondern Neandertaler, die viele Anthropologen für eine eigene Art halten. Ihre und unsere Evolu­tionslinie waren vor mindestens einer halben Million Jahren auseinandergegangen. Die stämmigen Vettern mit den kräftigen, vorstehenden Brauen entwickelten sich aus Frühmenschen in Europa. Nach Ansicht mancher Forscher traten die ersten Neandertaler vor rund 350 000 Jahren in Erscheinung. Andere Forscher setzen ihren Auftritt eher vor 230 000 Jahren an, den des klassischen Neandertalers erst vor 130 000 Jahren. Bis vor etwas über 39 000 Jahren lebten sie vermutlich noch vielerorts in Europa und im westlichen Asien. Wann die letzten Gruppen von ihnen verschwanden, ist noch strittig. Jedoch sprechen neuere Datierungen dafür, dass dies vor knapp 40 000 Jahren überall fast zeitgleich geschah.

Die Neandertaler hatten lange als tapsige, grobe Kraft­pakete gegolten, als eher ungeschickte, minderbemittelte ­Affenmenschen. Insbesondere das 1908 im französischen La Chapelle-aux-Saints entdeckte erste vollständige Skelett trug zu diesem Bild wesentlich bei. Es handelte sich dabei aber um einen älteren Mann, der bereits an verschiedenen Knochendeformationen litt. ...

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  • Quellen

Gunz, P. et al.: Brain Development after Birth Differs between Neanderthals and Modern Humans. In: Current Biology 20, S. R921 – R922, 2010

Hardy, B. L. et al.: Impossible Neanderthals? Making String, Throwing Projectiles and Catching Small Game during Marine Isotope Stage 4 (Abri du Maras, France). In: Quaternary Science Reviews 82, S. 23 – 40, 2013

Higham, T. et al.: The Timing and Spatiotemporal Patterning of Neanderthal Disappearance. In: Nature 512, S. 306 – 309, 2014

Rodríguez-Vidal, J. et al.: A Rock Engraving Made by Neanderthals in Gibraltar. In: Proceedings of the National Academy of Sciences USA 111, S. 13301 – 13306, 2014

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