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Kernspaltung: Interview: 'Die Kernenergie ist nur begrenzt beherrschbar'

Der Diplom-Ingenieur Michael Sailer vom Öko-Institut e.V., Gutachter in Sachen Kerntechnik und Vorsitzender der Reaktor-Sicherheitskommission des Bundesumweltministeriums, gibt der Kernspaltung ­keine Zukunft.


Spektrum der Wissenschaft: Trotz Ihrer negativen Einschätzung zur Atomkraft werben Sie für das Studienfach Kerntechnik. Wie passt das zusammen?

Michael Sailer: Auch wenn weltweit wohl nicht mehr viele Kernkraftwerke gebaut werden, müssen die bestehenden Anlagen in Deutschland noch bis zu zwanzig Jahren betrieben, abgerissen und samt Abfällen entsorgt werden. Das schafft Arbeit für eine Generation von Kerntechnikern.

Spektrum: Einige Energieversorger befürchten aber Versorgungslücken, wenn in zehn oder 15 Jahren alte Kernkraftwerke abgeschaltet werden müssen.

Sailer: Ich denke, die Vorstände, die in fünf oder zehn Jahren über die Investitionen zu entscheiden haben, sind sicher wenig gewillt, sich erneut für die Kerntechnik zu entscheiden. Die Unternehmen müssen nämlich am Anfang sehr viel Kapital reinstecken, und sie bekommen ihre Investitionen erst im Lauf von bis zu zwanzig Jahren zurück. Das ist sehr viel ungünstiger als bei anderen Formen der Energieerzeugung. Außerdem gibt es die öffentliche Diskussion mit allen Begleiterscheinungen.

Spektrum: Stichwort Sicherheit und Risikofaktor Mensch – halten Sie die Kernkraft für technisch beherrschbar?

Sailer: Das ist seit vielen Jahren mein Hauptbedenken. Es müssen bei dieser komplexen Technik ganz viele Einzelheiten stimmen, damit es nicht zur Katastrophe kommt. Auch bei modernen Reaktorkonzepten bleibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit für schwer wiegende Unfälle. Beherrschbar – ja, aber nur begrenzt.

Spektrum: Zeichnet sich eine Lösung Standortfrage über ein Endlager ab?

Sailer: Bis Ende 2004 müssen die Spielregeln gesellschaftlich und politisch festgelegt werden, wie danach gesucht wird. Bis 2010 müssen dann zwei unterirdisch zu erkundende Standorte feststehen, von denen dann einige Jahre später der geeignetere ausgewählt wird.

Spektrum: Wie sicher kann ein solches Endlager sein?

Sailer: Das hängt von zwei Faktoren ab. Es muss gewährleistet sein, dass die geologische Entwicklung des Standorts für mindestens eine Million Jahre stabil verläuft. Außerdem muss das Bergwerk nach Ende der Einlagerung auch hermetisch verschlossen werden.

Spektrum: Im Zusammenhang mit Endlagerung wird viel über Transmutation diskutiert, die Umwandlung langlebiger Isotope in kurzlebige. Ist das eine denkbare Lösung für die Abfallproblematik?

Sailer: Es gibt derzeit keine Maschine, die das großtechnisch durchführen könnte. Das Grundproblem aber ist, dass es die Transmutation nicht schafft, hundert Prozent der langlebigen Isotope umzuwandeln, sondern eher fünfzig, Optimisten meinen achtzig Prozent. Man braucht also dennoch ein Endlager. Und in jedem Fall bedeutet das Verfahren einen zusätzlichen finanziellen Aufwand.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2003, Seite 88
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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