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Irren ist männlich. Weibliche Körpersprache und ihre Wirkung auf Männer


Christiane Tramitz, Verhaltensforscherin und Psycholinguistin, arbeitet an der Forschungsstelle für Humanethologie der Max-Planck-Gesellschaft in Andechs. In diesem Buch versucht sie aufzuzeigen, daß Männer weibliche nonverbale Signale häufig mißverstehen und daß solche Mißverständnisse Ursache für aggressives männliches Verhalten bis hin zur Vergewaltigung sein könnten.

Die Frage, wie gut jemand nonverbale Signale zu erfassen vermag, ist schwierig zu beantworten, weil auch dieses Verständnis normalerweise nicht in Worte gefaßt wird. Wir reagieren auf diese Signale, wir benennen sie nicht. So betont auch die Autorin, daß man sich während eines Zusammentreffens mit einem anderen Menschen beinahe dauernd in Bewegung befindet und es darum kaum möglich ist, alle körperlichen Regungen mit Worten zu erfassen.

Gleichwohl arbeiten – mit wenigen Ausnahmen – die meisten Untersuchungen zur Wahrnehmung nonverbaler Signale in realen Interaktionen mit der ver-balen Benennung. Wissenschaftler, die vor allem auf experimentelle Kontrollier- und Replizierbarkeit bedacht sind, versuchen, die Komplexität des Phänomens zu reduzieren: Sie konfrontieren die Versuchspersonen mit einer isoliert dar-gebotenen Ausdruckskomponente (etwa einem Gesichtsausdruck) in Form eines statischen Bildes oder einer kurzen Videosequenz und lassen sie diese anhand vorgegebener Kategorien wie "ängstlich", "wütend", "freundlich" oder "interessiert" einschätzen.

Christiane Tramitz schildert nun eine Reihe von Experimenten, die sich erfreulich von diesen eher künstlichen Situationen abheben. Sie untersuchte die Interaktionen zwischen einer ahnungslosen männlichen Versuchsperson und einer Komplizin der Experimentatorin in einer versteckt gefilmten Wartezimmersituation. Der weibliche Lockvogel verhielt sich dabei gegenüber den Probanden einer Gruppe in der ersten Hälfte des fünf Minuten dauernden Experiments jeweils freundlich, zugewandt und aktiv, in der zweiten unfreundlich, abweisend und passiv, den anderen gegenüber in der umgekehrten Reihenfolge.

Im Gegensatz zu gängigen experimentellen Situationen untersuchte Christiane Tramitz also wirkliche Sequenzen nonverbaler Signale und deren Wirkung auf Männer; und zwar konzentrierte sie sich darauf, wann und in welchem Maße die Männer das Gefühl hatten, daß die ihnen vermeintlich zufällig begegnende Frau an ihnen interessiert sei oder aber sie zurückweise. Außer mit einem der üblichen Fragebögen sollten die Probanden beim anschließenden Betrachten der aufgenommenen Situation ihre Einschätzung über das von der Komplizin gezeigte Interesse mit einer Art Joystick zum Ausdruck bringen; so sollten die Wirkung weiblicher Signale und die männlichen Reaktionen darauf auch nonverbal erfaßt werden. Christiane Tramitz ließ ihre Versuchspersonen zudem einen Film betrachten und mit diesem Hebel eine Reihe von Flirtsignalen einschätzen, die – ebenfalls nach Drehbuch – eine unbekannte Schöne in einer Bar zeigt.

So ansprechend und originell die Versuchssituationen sind, so unbefriedigend bleibt die Darstellung der Ergebnisse.

Außer eher formalen Mängeln sind vor allem Zweifel anzumelden, ob die Interpretation der Resultate Bestand hat. So stimmen die in den Abbildungen gezeigten Verhaltenssequenzen und deren Beschreibung teilweise nicht überein; und die oftmals deutlich wertenden Interpretationen der Autorin sind nicht immer nachvollziehbar. Mitunter beschreibt sie widersprüchliche Ergebnisse, erwähnt jedoch abschließend nur diejenigen, die ihr ins Bild passen. So gibt sie zu, daß weibliche und männliche Beobachter – abgesehen von zwei Ausnahmen – hinsichtlich ihrer Einschätzung, ab wann bei einer Frau der Wunsch nach Kontakt vermutet werden dürfe, sich nicht merklich unterscheiden. Einige Seiten später stellt sie jedoch die Frage, wie die "eklatanten Geschlechtsunterschiede" zu erklären seien.

Sie bezeichnet Männer als schlechte Dekodierer, die nur sähen, was sie sehen wollen, und unüberlegt und signalbezogen reagierten. Aber diese Verurteilung wird durch ihre eigenen Resultate immer wieder in Frage gestellt; dort zeigen sich die Männer oftmals sensibler und feinfühliger als die Frauen.

Wie sich zudem bei genauerer Betrachtung zeigt, gibt es keine Ergebnisse, die für alle Männer gelten und diese generelle Verurteilung rechtfertigen würden. Da brauchten gerade diejenigen, die eine unbekannte Schöne sehr erotisch fanden, am längsten, um von ihrer Kontaktbereitschaft überzeugt zu sein; und die Männer, die starke Hemmungen hatten, eine Frau anzusprechen, schätzten Körpersignale, die andere als auffordernd oder zumindest neutral beurteilten, als negativ und abweisend ein. Zudem hatten einige der von den Verhaltensforschern postulierten Flirtsignale für die Mehrheit der männlichen Probanden überhaupt keinen oder aber einen negativen Signalcharakter. Christiane Tramitz selbst zieht darum den Schluß: "Was den einen begeistert, stößt den anderen zurück. Signale wirken situationsabhängig... Flirtsignale sind nicht uneingeschränkte Flirtsignale!"

Erwähnenswert ist, daß wohl mehr als die Hälfte derjenigen Männer, die von der Komplizin in der zweiten Phase der Wartezimmersituation abrupt abweisend behandelt worden waren, diese gleichwohl als freundlich einschätzten und nicht daran zweifelten, daß sie an einem Wiedersehen mit ihnen interessiert sei. Aus diesem interessanten Resultat gewinnt Christiane Tramitz die Hypothese, daß die Wurzeln für date rapes (Vergewaltigungen bei verabredeten Treffen) im Nichterkennen weiblicher nonverbaler Zurückweisung liegen könnten.

Die Autorin erweist sich selbst und ihrer Arbeit keinen guten Dienst, wenn sie versucht, den interessierten Leser durch Polemik zu überzeugen. Die Ergebnisse ihrer Arbeit wären interessant genug. Schade nur, daß man sich diese selbst rekonstruieren muß.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1995, Seite 122
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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