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Ist der Raum endlich?

Alles spricht dafür, daß das Universum unendlich ist. Oder unterliegen wir vielleicht nur einer Illusion? Der Raum jedenfalls könnte durchaus endlich sein und uns seine Grenzenlosigkeit nur vortäuschen. Messungen könnten diese uralte Frage beantworten.


Beim Anblick des klaren Nachthimmels scheint sich die Unendlichkeit des Raumes zu eröffnen: Sterne und Galaxien, egal wohin und wie weit man schaut. Gleich, wie groß unser Teleskop ist – immer erweist sich das Universum auch dort mit leuchtenden Objekten erfüllt, wo man mit kleineren Instrumenten nur Dunkelheit wahrgenommen hat. In Wirklichkeit ist die Größe des beobachtbaren Raumes begrenzt durch das Alter des Universums und die Geschwindigkeit des Lichtes. Das heißt, von noch ferneren Gebieten des Kosmos konnte uns bislang kein Licht erreichen, weil es noch nicht genügend Zeit hatte, die Weiten des Alls zu durchdringen.

Aber müßten wir dann nicht, wenn wir nur genügend lange warteten, immer fernere Galaxien und andere neue Phänomene entdecken können? Nicht unbedingt. Der Kosmos könnte durchaus endlich sein und uns seine Unendlichkeit nur wie in einem Spiegelkabinett vortäuschen – etwa, indem sich das Licht ein- oder mehrmals um den Raum herumwindet, so daß uns das Bild jeder Galaxie mehrfach vorgespiegelt wird. Unser Milchstraßensystem wäre dabei keine Ausnahme. Irgendwo am Firmament könnten sogar mehrere Kopien der Erde in früheren Entwicklungsstadien verborgen sein. Im Laufe der Zeit könnten die Astronomen die Galaxien sich entwickeln sehen und neue Spiegelbilder entdecken. Irgendwann schließlich würden sie keine neuen Raumgebiete mehr finden; sie hätten bereits alles gesehen.

Die Frage, ob das Universum endlich oder unendlich sei, gehört zu den ältesten der Philosophie – und sie ist keineswegs schon zugunsten der Unendlichkeit entschieden, wie manche Bücher glauben lassen, weil in ihnen ein unzulässiger Schluß aus der Allgemeinen Relativitätstheorie gezogen wird. Dieser Theorie von Albert Einstein zufolge ist der Raum ein dynamisches Medium, das auf drei verschiedene Arten gekrümmt sein kann, je nach der Verteilung von Masse und Energie darin. Da wir selbst in den Raum eingebettet sind, können wir diese Krümmung nicht direkt sehen, sondern nehmen sie als Gravitationsanziehung und Ablenkung von Lichtstrahlung wahr. Um herauszufinden, welche der drei möglichen Geometrien unser Universum hat, haben die Astronomen die Dichte der Materie und der Energie im Kosmos gemessen. Nach gegenwärtiger Kenntnis ist diese Größe zu gering, als daß der Raum geschlossen sein und somit eine "sphärische" Geometrie aufweisen könnte. Folglich muß der Raum entweder die gewohnte "euklidische" Geometrie haben wie eine Ebene, oder eine "hyperbolische" Geometrie wie eine Sattelfläche (Bild Seite 52). Auf den ersten Blick scheint ein solches Universum unendlich ausgedehnt zu sein.

Ein Problem mit dieser Schlußfolgerung besteht darin, daß das Universum durchaus sphärisch sein könnte, aber doch so riesig groß, daß uns die beobachtbaren Teile euklidisch erschienen – so wie auch ein kleines Stück der Erdoberfläche eben erscheint. Noch schwerer wiegt, daß die Relativitätstheorie eine rein lokale Theorie ist. Sie sagt die Raumkrümmung – also die Geometrie – eines kleinen Raumausschnittes anhand der darin befindlichen Masse und Energie voraus. Doch weder die Relativitätstheorie noch die üblichen kosmologischen Beobachtungen geben einen Hinweis darauf, wie diese kleinen Raumstücke zur gesamten Gestalt des Universums – seiner Topologie – beitragen. Die drei Standard-Geometrien sind mit vielen unterschiedlichen Topologien konsistent. Beispielsweise würde die Relativitätstheorie einen Torus und eine Ebene mit denselben Gleichungen beschreiben, obgleich ein Torus endlich und eine Ebene unendlich ist. Um die Topologie des Universums zu bestimmen, braucht man ein physikalisches Verständnis, das über die Relativitätstheorie hinausgeht.



Zufrieden mit dem Endlichen



Gewöhnlich nimmt man an, das Universum sei wie eine Ebene "einfach zusammenhängend". Das bedeutet, daß es nur einen direkten Weg von einer Lichtquelle zu einem Beobachter gibt. Ein einfach zusammenhängendes euklidisches oder hyperbolisches Universum wäre in der Tat unendlich. Aber das Universum könnte auch "mehrfach zusammenhängend" sein wie ein Torus, und dann gäbe es viele verschiedene solche Wege. Ein Beobachter sähe dann viele Bilder ein und derselben Galaxie und könnte sie leicht für unterschiedliche Sternsysteme in einem unendlichen Raum halten – gerade so, wie dem Besucher eines Spiegelkabinetts die Illusion einer großen Menschenmenge vorgegaukelt wird.

Ein mehrfach zusammenhängender Raum ist mehr als ein rein mathematisches Konstrukt. Er wird sogar von einigen derzeit favorisierten Theorien für die Vereinheitlichung der Fundamentalkräfte der Natur bevorzugt und steht nicht im Widerspruch zu den Beobachtungen. Während der letzten Jahre widmete sich die Forschung verstärkt der Topologie des Kosmos. Neue Beobachtungen ermöglichen vielleicht schon bald eine eindeutige Antwort.

Viele Kosmologen erwarten ein endliches Universum. Dies mag zum Teil einfach an der Bequemlichkeit liegen: Der Mensch kann sich ein endliches Universum eher vorstellen als ein unendliches. Es gibt indes auch zwei wissenschaftliche Gründe dafür. Der erste beruht auf einem von dem englischen Naturwissenschaftler Isaac Newton (1643-1727) ersonnenen Gedankenexperiment, das der irische Philosoph und Theologe George Berkeley (1685-1753) sowie der österreichische Physiker und Philosoph Ernst Mach (1838-1916) später verfeinert haben. Newton dachte über die Ursache für die Trägheit der Massen nach und stellte sich zwei Eimer vor, jeweils zur Hälfte mit Wasser gefüllt (siehe "Newton: Ein Naturphilosoph und das System der Welten", Spektrum der Wissenschaft, Biographie 1/1999, S. 59). Ein Eimer sei in Ruhe und der andere rotiere schnell um seine senkrechte Achse. Während die Wasseroberfläche im ersten Eimer eben ist, nimmt sie im zweiten eine konkave Form an. Warum?

Die unbefangene Antwort verweist auf die Zentrifugalkraft. Aber woher weiß der zweite Eimer, daß er rotiert? Wodurch wird das inertiale Bezugssystem definiert, relativ zu dem der zweite Eimer rotiert und der erste in Ruhe bleibt? Berkeleys und Machs Antwort war, daß alle Massen im Universum zusammen das Bezugssystem definieren. Der erste Eimer ist in Ruhe in Bezug auf die fernen Galaxien, also bleibt die Wasseroberfläche eben. Der zweite Eimer rotiert relativ zu diesen Masseansammlungen, also ist die Wasseroberfläche darin konkav. Gäbe es keine fernen Galaxien, so gäbe es keinen Grund, ein bestimmtes Bezugssystem einem anderen vorzuziehen. Die Oberfläche in beiden Eimern müßte dann eben bleiben. Kurz: Es gäbe keine Trägheitskräfte. Mach schloß daraus, daß die Trägheit eines Körpers proportional zur Gesamtmasse im Universum sein müsse. Ein unendliches Universum würde unendliche Trägheitskräfte ergeben. Bewegung wäre nicht möglich.

In die gleiche Richtung weisen moderne Arbeiten aus der Quantenkosmologie, die zu beschreiben versuchen, wie das Universum spontan aus dem Nichts hervorgegangen ist. Manche dieser Theorien sagen vorher, daß ein Universum um so wahrscheinlicher aus einer Quantenfluktuation entstehen kann, je kleiner sein Gesamtvolumen ist. Demnach hätte ein unendlicher Kosmos sich gar nicht bilden können; die Wahrscheinlichkeit dafür wäre null gewesen (siehe "Quantenkosmologie und die Entstehung des Universums", von Jonathan J. Halliwell, Spektrum der Wissenschaft, Februar 1992, S. 50). Vereinfacht gesprochen liegt das daran, daß keine Quantenfluktuation einen unendlichen Energiebetrag hervorbringen könnte, der für ein unendliches Universum erforderlich wäre.

Historisch blieb die Idee eines endlichen Universums nicht unumstritten. Aristoteles (384-322 v. Chr.) hielt den Kosmos deswegen für endlich, weil eine Grenze nötig sei, um ein in seinem Weltbild wichtiges absolutes Bezugssystem zu definieren. Aber seine Kritiker fragten sich, was dahinter sei, denn jede Grenze trennt zwei Seiten. Warum also nicht gleich das Universum als Gesamtheit des Davor und des Dahinter auffassen? Der deutsche Mathematiker Bernhard Riemann (1826-1866) schließlich schlug als Modell für den Kosmos eine Hypersphäre vor: die dreidimensionale Oberfläche einer vierdimensionalen Kugel. Wie die Oberfläche einer gewöhnlichen Kugel ist die Hypersphäre endlich, aber doch grenzenlos; sie war das erste Beispiel für einen Raum mit solchen Eigenschaften.

Man könnte versucht sein zu fragen, was außerhalb des Universums liegt. Damit würde man voraussetzen, daß die physikalische Realität letztlich ein euklidischer Raum irgendeiner Dimension ist. Übertragen auf das Bild der Hypersphäre bedeutete das, daß sie in einen vierdimensionalen euklidischen Raum eingebettet sein müßte, so daß man sie von außen betrachten könnte.

Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Mathematiker eine ganze Reihe endlicher Räume ohne Grenze entdeckt. Der deutsche Astronom Karl Schwarzschild (1873-1916) lenkte im Jahre 1900 die Aufmerksamkeit seiner Kollegen darauf. In einem Nachtrag zu dem Artikel "Ueber das zulässige Krümmungsmaass des Raumes" in der "Vierteljahrsschrift der Astronomischen Gesellschaft" forderte er die Leser heraus:

"Man denke sich als das Resultat einer ungeheuer erweiterten astronomischen Erfahrung, dass die ganze Welt aus unzähligen identischen Wiederholungen unseres Milchstrassensystems bestehe, dass der unendliche Raum in lauter Würfel gespalten werden könne, deren jeder ein mit dem unsrigen absolut gleiches Milchstrassensystem enthielte. Würden wir dann thatsächlich bei der Annahme unendlich vieler identischer Wiederholungen desselben Weltganzen stehen bleiben? ... Wir werden uns viel lieber der Anschauung zuwenden, dass diese Wiederholungen nur scheinbare sind, dass in Wirklichkeit der Raum so eigenthümliche Zusammenhangsverhältnisse hat, dass wir, indem wir den betreffenden Würfel auf einer Seite verlassen, von selbst im Gradeausgehen durch die gegenüberliegende Seite wieder hereinkommen."

Schwarzschilds Beispiel zeigt, wie man im Geiste aus dem euklidischen Raum einen Torus konstruieren kann. In zwei Dimensionen beginnt man dabei mit einem Quadrat und setzt jeweils die gegenüberliegenden Kanten einander gleich. Das ist dann wie bei vielen Videospielen: Ein Raumschiff, das den Bildschirm auf der rechten Seite verläßt, taucht auf der linken wieder auf. Abgesehen von dieser Zuordnung der Kanten ist der Raum unverändert: Es gelten nach wie vor alle vertrauten Gesetze der euklidischen Geometrie: So beträgt etwa die Winkelsumme im Dreieck 180 Grad, und parallele Lichtstrahlen schneiden sich niemals. Bewohner eines solchen Raumes würden ihn für unendlich ausgedehnt halten, denn sie könnten beliebig weit sehen. Die Form ihres zweidimensionalen Ring-Universums (kurz Zwei-Torus genannt) würden sie erst erkennen, wenn sie mit einem Raumschiff nach Überschreiten der imaginären Verbindungslinie wieder auf dieselben Objekte träfen (Bild links). Auf analoge Weise kann man in drei Dimensionen einen torischen Raum erhalten (einen Drei-Torus), indem man die gegenüberliegenden Seitenflächen eines Würfels gleichsetzt und im Geiste miteinander verklebt.

Als Einstein 1917 das erste relativistische Modell des Universums präsentierte, wählte er Riemanns Hypersphäre als dessen Gestalt im Großen. Zu jener Zeit wurde über die Topologie des Raumes viel diskutiert. Der russische Mathematiker Alexander Friedmann (1888-1925) verallgemeinerte Einsteins Gleichungen, so daß auch ein expandierendes Universum mit hyperbolischer Geometrie beschrieben werden konnte. Die Friedmann-Gleichungen gehören auch heute noch zum Handwerkszeug der Kosmologen. Ihr Urheber betonte, daß sie sowohl für ein endliches wie auch für das gewöhnlich betrachtete unendliche Universum gelten – dies ist um so bemerkenswerter, als zu jener Zeit keine Beispiele für endliche hyperbolische Räume bekannt waren.

Von allen Aspekten der kosmischen Topologie ist vielleicht am schwersten zu verstehen, wie ein hyperbolischer Raum endlich sein kann. Der Einfachheit halber betrachten wir zunächst ein zweidimensionales Universum. Man mache die Konstruktion eines Zwei-Torus nach, beginne aber mit einer hyperbolischen Fläche. Man schneide ein regelmäßiges Achteck aus und setze jeweils gegenüberliegende Kanten gleich, so daß jeder Weg, der das Achteck über eine Kante verläßt, an der gegenüberliegenden wieder eintritt. Alternativ könnte man sich auch einen achteckigen Bildschirm für ein entsprechendes Computerspiel denken (Bild Seite 54). Man erhält so ein mehrfach zusammenhängendes Universum, topologisch äquivalent zu einer Brezel mit zwei Löchern. Ein Beobachter im Mittelpunkt des Achtecks sähe die nächsten Bilder von sich selbst in acht verschiedenen Richtungen. Dies lieferte die Illusion eines unendlichen hyperbolischen Raumes, obwohl dieses Universum in Wirklichkeit endlich wäre. Ähnliches – wenn auch ungleich schwerer zu illustrieren – kann man in drei Dimensionen konstruieren. Man schneidet dazu ein "massives" Polyeder aus einem dreidimensionalen hyperbolischen Raum aus und verklebt gegenüberliegende Seitenflächen derart, daß jeder Weg, der durch eine Seitenfläche hinausläuft, durch den entsprechenden Punkt auf der zugehörigen anderen Seitenfläche wieder eintritt.

Die Winkel des Achtecks verdienen sorgfältige Beachtung. Bei einer ebenen Fläche hängen die Winkel eines regelmäßigen Polygons nicht von dessen Größe ab. So haben alle Innenwinkel eines beliebig großen regulären Achtecks stets einen Wert von 135 Grad. Auf einer gekrümmten Fläche indes ändern sich die Winkel mit zunehmender Größe der Figur: Auf einer Kugeloberfläche wachsen sie, auf einer hyperbolischen Fläche dagegen schrumpfen sie. Die obige Konstruktion erfordert ein Achteck bestimmter Größe, so daß seine Winkel 45 Grad betragen und seine Kanten beim abstrakten Verkleben aneinanderpassen. Die acht Ecken treffen dann in einem Punkt aufeinander, und die Winkelsumme in diesem Punkt beträgt 360 Grad. Diese Feinheit erklärt, warum eine derartige Konstruktion nicht mit einem ebenen Achteck möglich ist. In der euklidischen Geometrie können acht Winkel von je 135 Grad nicht in einem Punkt zusammentreffen. Das zweidimensionale Universum, das durch Gleichsetzen gegenüberliegender Kanten eines Achtecks entsteht, muß folglich hyperbolisch sein. Die Topologie legt somit die Geometrie fest.

Die Größe des Polygons oder Polyeders mißt man relativ zu der einzigen geometrisch bedeutungsvollen Längenskala für einen Raum: dem Krümmungsradius. Eine Kugel beispielsweise kann beliebig groß sein, aber ihre Oberfläche wird stets genau 4PI mal dem Quadrat des Kugelradius betragen, also 4PI Quadratradianten. Auf gleiche Weise läßt sich die Größe einer hyperbolischen Topologie ermitteln, für die man ebenfalls einen Krümmungsradius definieren kann.

Die kompakteste hyperbolische Topologie, die einer von uns (Weeks) 1985 entdeckt hat, entsteht, wenn man die Flächen eines 18-Flächners paarweise gleichsetzt; sie hat ein Volumen von etwa 0,94 Kubikradianten. Mit größeren Polyedern lassen sich noch andere Topologien konstruieren. Auch das Universum läßt sich in der Einheit Radiant ausmessen. Verschiedene astronomische Beobachtungen weisen darauf hin, daß die Materiedichte im Weltraum nur etwa ein Drittel dessen beträgt, was für einen euklidischen Raum erforderlich wäre. Entweder ist die Differenz auf eine kosmologische Konstante zurückzuführen (siehe "Neuer Auftrieb für ein beschleunigtes Universum" von Lawrence M. Krauss, Spektrum der Wissenschaft, März 1999, S. 46), oder das Universum hat eine hyperbolische Geometrie mit einem Krümmungsradius von 18 Milliarden Lichtjahren. Im letzteren Falle hat das beobachtbare Universum einen Rauminhalt von 180 Kubikradianten – genügend Platz für fast 200 Weeks-Polyeder. Mit anderen Worten: Wenn das Universum die Weeks-Topologie aufweist, beträgt sein Volumen nur 0,5 Prozent von dem, als was es uns erscheint. Mit zunehmender Expansion des Raumes ändern sich die Proportionen nicht, also auch nicht die Topologie.

Genaugenommen verlangen fast alle Topologien hyperbolische Geometrien. In zwei Dimensionen muß ein endlicher euklidischer Raum entweder die Topologie eines Zwei-Torus oder die einer Kleinschen Flasche haben. In drei Dimensionen gibt es nur zehn euklidische Möglichkeiten: nämlich den Drei-Torus und neun einfache Variationen desselben (die man erhält, wenn man gegenüberliegende Flächen erst nach einer viertel Drehung oder einer Spiegelung miteinander verklebt). Hingegen gibt es für ein endliches hyperbolisches dreidimensionales Universum unendlich viele mögliche Topologien. Deren reichhaltige mathematische Strukturen sind Gegenstand intensiver Forschung (siehe "Die Mathematik dreidimensionaler Mannigfaltigkeiten" von William P. Thurston und Jeffrey R. Weeks, Spektrum der Wissenschaft, September 1984, S. 110).

Weil in den zwanziger Jahren keine Methode verfügbar war, die Topologie des Universums direkt zu bestimmen, verloren die Kosmologen mit der Zeit das Interesse an diesem Thema. In den folgenden Jahrzehnten zitierten sich die Autoren astronomischer Lehrbücher meist gegenseitig und behaupteten, das Universum müsse entweder eine Hypersphäre sein, ein unendlicher euklidischer oder ein unendlicher hyperbolischer Raum. Andere Topologien waren größtenteils vergessen. Erst kürzlich flammte das Interesse wieder auf: In den letzten drei Jahren wurden fast ebenso viele Arbeiten über kosmische Topologie veröffentlicht wie in den 80 Jahren davor. Das Aufregendste dabei ist, daß es den Kosmologen alsbald gelingen könnte, die Topologie des Universums anhand von Beobachtungen zu ermitteln.

Am einfachsten wäre, die Anordnung der Galaxien zu untersuchen. Falls sie in einem Rechteckgitter liegen sollten, wobei sich die Bilder derselben Galaxie in äquivalenten Gitterpunkten wiederholten, dann wäre das Universum ein Drei-Torus. Andere Muster wiesen auf kompliziertere Topologien hin. Erschwert würde das Erkennen von Regelmäßigkeiten allerdings dadurch, daß die Bilder ein und derselben Galaxie diese in unterschiedlichen Entwicklungsstadien zeigen würden. Die Astronomen müßten trotz Gestaltänderungen und räumlicher Verschiebung zu benachbarten Sternsystemen herausfinden, daß es sich um dieselbe Galaxie handelt. Während der letzten 25 Jahre haben Forscher wie Dmitri Sokoloff von der Staats-Universität Moskau, Viktor Shvartsman von der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften, J. Richard Gott III. von der Universität Princeton und Helio V. Fagundes vom Institut für Theoretische Physik in São Paulo Ausschau gehalten, aber im Abstand bis zu einer Milliarde Lichtjahren von der Erde keine sich wiederholenden Bilder unter den Galaxien gefunden.

Andere – wie Boudewijn F. Roukema vom Interuniversitären Zentrum für Astronomie und Astrophysik in Pune (Indien) – haben das gleiche mit Quasaren versucht, die sich wegen ihrer enormen Helligkeit noch aus großen Entfernungen beobachten lassen. Die Forscher bestimmten alle Gruppierungen von vier oder mehr Quasaren und prüften, ob irgendeine davon an anderer Stelle des Himmels noch einmal zu sehen sein könnte, nur aus einer anderen Blickrichtung. In zwei Fällen scheint das durchaus möglich zu sein, doch ist dieses Ergebnis nicht statistisch signifikant.

Roland Lehoucq und Marc Lachièze-Rey vom Service d'Astrophysique in Saclay (Frankreich) und einer von uns (Luminet) sind anders an das Problem herangegangen. Wir haben sozusagen eine kosmische Kristallographie entwickelt: Mit statistischen Verfahren können wir in einem euklidischen Universum Regelmäßigkeiten feststellen, ohne bestimmte Galaxien als Bilder von anderen erkennen zu müssen. Im Falle einer periodischen Wiederholung sollte ein Histogramm, in dem alle Entfernungen zwischen Galaxien aufgetragen sind, bei bestimmten Werten Spitzen aufweisen, welche die wahre Größe des Universums anzeigen. Bis jetzt haben wir noch keine Muster gefunden (Graphik oben), aber das könnte an dem Mangel an Daten über Galaxien liegen, die mehr als zwei Milliarden Lichtjahre von uns entfernt sind. Ein amerikanisch-japanisches Projekt zur streifenweisen Durchmusterung des Himmels, der sogenannte Sloan Digital Sky Survey, wird größere Datenmengen für unsere Untersuchung liefern.

Schließlich planen mehrere andere Forschergruppen, die Topologie des Universums mittels der kosmischen Hintergrundstrahlung zu bestimmen. Diese Mikrowellenstrahlung – ein Überrest aus der Frühzeit des Universums, als das heiße Plasma zu Wasserstoff- und Heliumatomen kondensierte – ist bemerkenswert homogen: Ihre Temperatur und Intensität stimmen in allen Teilen des Himmels bis auf 1 zu 100000 überein. Die geringen Abweichungen vom Mittelwert, die der Satellit COBE 1991 festgestellt hat, zeigen jedoch Dichteschwankungen im frühen Universum an – Keime, aus denen später Galaxien und Galaxienhaufen entstanden.

Diese Fluktuationen sind der Schlüssel zur Lösung vielfältiger kosmologischer Fragen, und eine davon betrifft die Topologie des Universums. Die in einem bestimmten Moment eintreffenden Photonen der Hintergrundstrahlung begannen ihre Reisen ungefähr zur gleichen Zeit und in gleicher Entfernung zur Erde. Ihre Anfangspunkte bilden also eine Kugelfläche mit der Erde im Mittelpunkt. Falls diese Sphäre größer als das Universum wäre, würde sie sich selbst durchdringen – etwa so, wie eine große Papierscheibe sich überlappt, wenn man sie um einen zylindrischen Besenstil wickelt (Bild Seite 55). Der Schnitt einer Kugelfläche mit sich selbst ist einfach ein Kreis im Raum. Von der Erde aus würden die Astronomen zwei Kreise am Himmel feststellen, die das gleiche Muster von Temperaturschwankungen zeigten. Diese beiden Kreise wären in Wirklichkeit nur einer, den man aus zwei Richtungen sähe.

Zwei von uns (Starkman und Weeks) arbeiten mit David N. Spergel und Neil J. Cornish aus Princeton zusammen, um solche Kreispaare zu entdecken. Das Schöne an dieser Methode ist, daß sie von den Ungewißheiten der gegenwärtigen Kosmologie unabhängig ist – sie beruht auf der Beobachtung, daß der Raum konstante Krümmung hat, macht aber keine Annahmen über die Materiedichte, die Geometrie des Raumes oder die Existenz einer kosmologischen Konstanten. Das Hauptproblem liegt darin, die beiden Kreise trotz der zu erwartenden Verzerrungen zu identifizieren. Durch das Verschmelzen von Galaxien beispielsweise ändert sich der Gravitationseinfluß auf die Hintergrundstrahlung, so daß sich die Energie der Photonen auf ihrem Weg zur Erde verschiebt.

Leider vermochte COBE keine Strukturen aufzulösen, deren Winkeldurchmesser kleiner als 10 Grad ist, oder einzelne Bereiche erhöhter oder niedrigerer Temperatur eindeutig zu identifizieren. Gewiß ist nur, daß statistisch gesehen einige der gemessenen Fluktuationen reale Strukturen repräsentieren und keine instrumentellen Artefakte sind. Fortschritte verspricht man sich von neuen Instrumenten mit höherer Auflösung und geringerem Rauschen. Einige von ihnen beobachten bereits vom Erdboden oder von Ballonen aus, doch erfassen sie nicht den gesamten Himmel. Die entscheidenden Beobachtungen sollen von der Microwave Anisotropy Probe (MAP) durchgeführt werden, einer Sonde, welche die amerikanische Luft- und Raumfahrtbehörde NASA Ende nächsten Jahres starten will, sowie vom Planck-Satelliten der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA, der 2007 gestartet werden soll.

Die relative Lage der beiden Kreise – sofern es sie wirklich gibt – wird die spezifische Topologie des Universums enthüllen. Ist die Kugelfläche, von der die Photonen der Hintergrundstrahlung stammen, gerade so groß, daß sie sich einmal um das Universum windet, wird sie nur ihr nächstliegendes Geisterbild schneiden. Wenn sie größer ist, wird sie weiter reichen und auch noch die nächsten Bilder schneiden. Bei entsprechender Größe können wir sogar mehrere hundert oder tausend Kreispaare erwarten (Bild oben).

Die Daten wären hoch redundant. Die größten Kreise würden die Topologie des Raumes vollständig festlegen und ebenso die Position und Orientierung aller kleineren Kreispaare. Diese innere Konsistenz der Muster würde nicht nur die topologischen Ergebnisse bestätigen, sondern zugleich auch die Interpretation der kosmischen Hintergrundstrahlung.

Andere Arbeitsgruppen haben andere Pläne. John D. Barrow und Janna J. Levin von der Universität Sussex in Brighton (England), Emory F. Bunn vom Bates-Collegein Lewiston (Maine) sowie Evan Scannapieco und Joseph I. Silk von der Universität von Kalifornien in Berkeley wollen die Gebiete erhöhter und erniedrigter Temperatur in der Hintergrundstrahlung direkt untersuchen. Dieses Team hat bereits Beispielkarten konstruiert, auf denen der Mikrowellenhintergrund für diverse Topologien simuliert wird. Sie haben die Temperaturen in jeder Richtung mit den Temperaturen in jeder anderen Richtung multipliziert und so eine riesige vierdimensionale Karte der sogenannten 2-Punkte-Korrelationsfunktion erzeugt. Anhand solcher Karten lassen sich Topologien quantitativ vergleichen.



Die Topologie des Universums



J. Richard Bond, Dmitry Pogosyan und Tarun Souradeep vom Kanadischen Institut für Theoretische Astrophysik wenden ähnliche neue Methoden auf die vorhandenen COBE-Daten an, die sich vielleicht doch als hinreichend genau erweisen, um die kleinsten hyperbolischen Räume zu identifizieren.

Neben der intellektuellen Befriedigung hätte die Bestimmung der Topologie des Raumes weitreichende Konsequenzen für die Physik. Im Gegensatz zur Relativitätstheorie sollten neuere, umfassendere Theorien, an denen derzeit gearbeitet wird, die Topologie des Universums vorhersagen oder wenigstens Wahrscheinlichkeiten für verschiedene Möglichkeiten angeben. Diese "Theorien über Alles" werden gebraucht, um die Gravitation in den ersten Momenten nach dem Urknall zu erklären, als quantenmechanische Effekte eine Rolle spielten (siehe "Quantentheorie der Gravitation" von Bryce S. DeWitt, Spektrum der Wissenschaft, Februar 1984, S. 30).

Die tastenden Schritte in Richtung auf eine Vereinheitlichung der Physik haben schon das Teilgebiet der Quantenkosmologie hervorgebracht. Drei Grundhypothesen für die Entstehung des Universums werden verteidigt, namentlich von Andrej Linde von der Universität Stanford (Kalifornien), Alexander Vilenkin von der Tufts-Universität in Medford (Massachesetts) und Stephen W. Hawking von der Universität Cambridge (England). Eine besondere Streitfrage dabei ist, ob das Volumen eines neugeborenen Universums sehr groß ist (Linde und Vilenkin) oder sehr klein (Hawking). Topologische Daten könnten die Entscheidung liefern.

Wenn sich durch Beobachtungen herausstellen sollte, daß das Universum endlich ist, könnte sich auch die Frage lösen lassen, warum es im Großen homogen ist. Zur Erklärung dieser Gleichförmigkeit hat man das Urknallmodell durch die Theorie der Inflation erweitert, ist aber damit letztlich in Schwierigkeiten geraten, weil in der Standardform dabei herauskommt, daß die Geometrie des Universums euklidisch sein müsse – im Widerspruch zur beobachteten Materiedichte. Deshalb haben manche Theoretiker verborgene Energieformen postuliert und andere die Inflationstheorie modifiziert (siehe "Was vor dem Urknall geschah" von Martin A. Bucher und David N. Spergel, Spektrum der Wissenschaft, März 1999, S. 54).

Das Universum könnte jedoch auch kleiner sein, als es aussieht. Dann hätte die Inflation möglicherweise vorzeitig aufgehört – ehe sie eine euklidische Geometrie erzwungen hätte – und dennoch das Universum homogen gemacht. Igor Y. Sokolov von der Universität Toronto (Kanada) und andere haben COBEs Daten benutzt, um diese Möglichkeit auszuschließen, wenn das Universum ein Drei-Torus ist. Aber sie kommt immer noch in Frage, wenn der Raum hyperbolisch ist.

Seit uralten Zeiten haben alle Hochkulturen sich gefragt, wie das Universum begann, und ob es endlich oder unendlich ist. Mittels mathematischer Einsicht und sorgfältiger Beobachtung hat die Wissenschaft in diesem Jahrhundert die erste Frage teilweise beantwortet. Vielleicht kann sie das nächste Jahrhundert mit einer Antwort auf die zweite Frage beginnen. n

Literaturhinweise


Cosmic Topology. Von Marc Lachièze-Rey und Jean-Pierre Luminet in: Physics Reports, Bd. 254, Nr. 3, S. 135-214 (März 1995).

Circles in the Sky: Finding Topology with the Microwave Background Radiation. Von Neil J. Cornish, David N. Spergel und Glenn D. Starkman in: Classical and Quantum Gravity, Bd. 15, Nr. 9, S. 2657-2670 (1998).

Reconstructing the Global Topology of the Universe from the Cosmic Microwave Background. Von Jeffrey R. Weeks in: Classical and Quantum Gravity, Bd. 15, Nr. 9, S. 2599-2604 (1998)


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1999, Seite 50
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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