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Winters' Nachschlag: "Ist doch noch gut!"

Das Zusammenleben mit einem zwanghaften Horter hat seine Tücken.
Mit verschränkten Armen und trotziger Miene saß Olaf auf einem Stapel "Yps!"-Hefte aus den Siebzigern. "Du brauchst gar keine großen Sprüche zu klopfen, ich möchte dich nur mal an deine geliebten Frösche erinnern!" Ein wirklich dummes Argument – ging es doch in unserer Diskussion nicht um ein harmloses Hobby (meine bescheidene Sammlung von Plastikfröschen hatte ich bereits fünf Jahre zuvor aufgelöst), sondern um einen krassen Fall zwanghaften Hortens!

Das Zimmer meines damaligen WG-Genossen Olaf stellte nämlich ein Musterbeispiel dessen dar, was Joachim Marschall in seinem Artikel ab S. 20 überaus freundlich als "Organisationsdefizit-Störung" bezeichnet. Es war derart überfüllt mit abstrusem Gerümpel, dass Olaf zwischen einem alten, defekten Mofa und einem Stapel Röhrenradios auf der Seite liegend nächtigen musste.

"Erstens kannst du auf Dauer nicht so weiterleben, und zweitens habe ich keine Lust mehr auf die beiden kaputten Ersatzkühlschränke in der Küche. Ganz zu schweigen von diesem Schrottteil, das seit Monaten das Gästeklo unbenutzbar macht", ermahnte ich ihn. Olaf sprang entrüstet auf und stieß dabei mit dem Kopf gegen einen verrosteten Vogelkäfig voll durchgebrannter Glühbirnen, der von der Decke hing. "Das ist kein Schrottteil, sondern ein Kaffee-Portionier-Automat aus den späten Sechzigern!"

Ich weiß nicht mehr genau wie, aber mit viel Hartnäckigkeit, ein paar Psychotricks und einer großen Flasche Asbach Uralt gelang mir das schier Unmögliche: Olaf willigte ein, sein angesammeltes Gerümpel am folgenden Samstag auf dem Flohmarkt zu veräußern. Zwar sollte anfangs noch wenigstens ein Karton mit rund 100 Plastikeierbechern bleiben – "falls mal mehrere Frühstücksgäste kommen" –, aber dann fügte sich Olaf doch in sein Schicksal. Fürs Erste.

Denn kaum bahnte sich auf dem Flohmarkt ein Verkauf an, kam die in Marschalls Artikel beschriebene Uneinsichtigkeit des Horters zum Vorschein. Einen älteren Herrn, der aus unerklärlichen Gründen fünf Euro für eine verrostete Zimmerantenne bot, beschimpfte Olaf als "scheintoten, unverfrorenen Schnäppchenjäger". Meinen zaghaften Einwand, der Preis sei doch nicht übel, da man mit dem Ding gar kein Programm mehr empfangen könne, wischte Olaf beiseite: Gerade deswegen sei die Antenne ja inzwischen so selten und entsprechend wertvoll.

Schließlich überzeugte ich Olaf davon, nach Hause zu gehen und dort ein wenig Klarschiff zu machen, während ich den weiteren Verkauf übernahm. Kaum hatte er sich getrollt, verschleuderte ich die Highlights der Sammlung wie "ein Satz Bremsbeläge für Opel Kadett B, gebraucht und unvollständig" zu absoluten Schnäppchenpreisen. Am Schluss blieb immer noch eine stattliche Anzahl Ladenhüter übrig, die ich unauffällig auf dem Parkplatz eines Supermarkts deponierte. Zufrieden fuhr ich nach Hause, um Olaf seine immerhin fast 900 Euro Erlös zu überbringen.

Leider hatte mein Plan einen entscheidenden Fehler. Dies wurde mir ein paar Tage später schlagartig bewusst, als ich vom Einkaufen zurückkam und ein Mietlaster vor unserer Haustür stand. Olafs Zimmer sowie den Großteil unseres Flurs füllten 4000 "original Tiroler Handschnitzereien" – auf den Kartons stand etwas in chinesischen Schriftzeichen, und die Figuren trugen noch die Grate der Spritzgussmaschinen. Die restliche Wohnung war mit riesigen künstlichen Grünpflanzen, zwei Kaugummiautomaten und einem ungeheuren Biedermeiersofagerippe ohne Bezug vollgestellt. "Super Idee von dir, der Flohmarkt", strahlte Olaf. "Jetzt ist endlich Platz für Neues! Ich habe uns mit dem Geld ein paar tolle Sachen besorgt, damit wir es uns hier richtig gemütlich machen können. Und die Schnitzereien kriegst du beim nächsten Flohmarkt bestimmt ruck, zuck verkauft!"

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