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Astronomie: Jagd auf Gravitationswellen

Bereits im nächsten Jahr sollen sie ihren Betrieb aufnehmen: die ersten Antennen für Gravitationswellen aus dem All. An mehreren Orten auf der Erde sollen die zum Teil kilometergroßen Anlagen Signale von gewaltigen kosmischen Ereignissen auffangen.


Im 22. Juni 1916 überreichte Albert Einstein in der Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften – gleich nach einem Vortrag eines gewissen Herrn Haberlandt über "Laubblattepidermis und Lichtperzeption" – eine Mitteilung über die "näherungsweise Integration der Feldgleichungen der Gravitation". Der Gelehrte erklärte seinen staunenden Akademie-Kollegen mit Hilfe seiner Allgemeinen Relativitätstheorie, dass sich Gravitationsfelder stets mit Lichtgeschwindigkeit fortpflanzen. Daraus leitete er schließlich den "Energieverlust körperlicher Systeme durch die Abstrahlung von Gravitationswellen" her.

Eineinhalb Jahre später modifizierte Einstein, inzwischen Direktor des neu gegründeten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik, seine Arbeit durch die Erkenntnis, dass ein "mechanisches System, welches Kugelsymmetrie behält, nicht strahlen kann", und leitete stattdessen für die Abstrahlung die so genannte Quadrupolformel her. Die Vorhersage, dass die starke Beschleunigung kosmischer Massen unter bestimmten Voraussetzungen Gravitationswellen erzeugt, blieb jedoch bestehen.

Seitdem wartet die wissenschaftliche Welt auf den Nachweis von Gravitationswellen – während es für elektromagnetische Wellen von Radio- bis Gammastrahlung seit langem schon hochentwickelte Empfänger gibt, die uns präzise Erkenntnisse über Struktur und Entwicklung des Universums liefern. Eine künftige Astronomie mit Gravitationswellen würde es ermöglichen, Signale ganz neuer Art zu empfangen – beispielsweise vom Verschmelzen massereicher Schwarzer Löcher im Innern von Galaxien, oder sogar aus den ersten Sekundenbruchteilen des Urknalls.

Die heute im Mikrowellenbereich empfangene elektromagnetische kosmische Hintergrundstrahlung wurde erst 300000 Jahre nach dem Urknall freigesetzt. Kosmische Hintergrundstrahlung aus Gravitationswellen würde dagegen aus einer wesentlich früheren Phase des Urknalls stammen und damit zu Zeugen vom Anfang der Zeit werden.

Die Existenz von Gravitationswellen wurde zeitweilig selbst von berühmten Kollegen Einsteins in Zweifel gezogen. So glaubte der britische Physiker Sir Arthur Eddington, diese exotischen Wellen seinen unecht und "bewegten sich mit der Geschwindigkeit von Gedanken". Im Jahr 1937 dachte sogar Einstein selbst, dass seine exakte Theorie der Schwerkraft, im Gegensatz zu seiner näherungsweisen Lösung aus dem Jahre 1916, die Existenz von Gravitationswellen nicht zuließe. Diesen Irrtum korrigierte er noch im selben Jahr. Den experimentellen Nachweis der extrem schwachen Wellen hielt Einstein angeblich aber für aussichtslos.

Kein Wunder: Im Labor ließen sich Schwerewellen auch heute weder erzeugen noch nachweisen. Ein Beispiel: Zwei Kugeln von je einer Tonne Gewicht, die einander in einem Meter Abstand 500-mal pro Sekunde umkreisen, erzeugten nur unmessbar schwache 10-40 Watt. Selbst der größte Planet im Sonnensystem, Jupiter, strahlt bei seinem Umlauf um die Sonne – bei Wellenlängen von einigen Lichtjahren – Gravitationswellen mit nur einem Kilowatt Leistung ab.

Anfang der 1960er Jahre machte sich der amerikanische Physiker Joseph Weber dennoch daran, Gravitationswellen experimentell nachzuweisen. Als "Gravitationsantennen" konstruierte er 1,5 Tonnen schwere Zylinder aus Aluminium in Maryland und Chicago. Ihr Messprinzip: Trifft eine Gravitationswelle auf diese Objekte, werden sie mit ihrer Grundschwingung (oder einer Oberschwingung) zur Resonanz angeregt ("Resonanzantennen"). Die oszillierende Längenänderung der Zylinder wird dann mit hochempfindlichen Verstärkern gemessen. Der Nachteil: Mechanische Resonatoren haben nur wenige feste Eigenschwingungs-Moden – ähnlich einem Radio, mit dem man nur ein oder zwei Sender empfangen kann – für andere Frequenzen bleiben sie unempfindlich.

Fehlalarm mit Aluminiumzylindern


Als Weber 1969 in den "Physical Review Letters" erstmals behauptete, er würde in beiden Detektoren simultan Signale vom Zentrum der Galaxis empfangen ("Koinzidenzmessung"), löste dies einiges Aufsehen aus, blieb aber auch höchst umstritten. Denn der implizierte enorme Energieausstoß im galaktischen Zentrum in Form von Gravitationswellen hätte bedeutet, dass wir in einer sehr speziellen Epoche leben – andernfalls hätte sich allein durch Gravitationswellen-Emission die Materie im Zentrum unserer Galaxis bereits innerhalb einer Million Jahre in nichts auflösen müssen. Auch konnte keine andere Forschergruppe, wie etwa am Münchener Max-Planck-Institut für Astrophysik, mit verbesserten Apparaturen die Weberschen Behauptungen bestätigen. Möglicherweise hatte Webers statistisches Analyseverfahren ihm exotische "Ereignisse" nur vorgespiegelt.

Inzwischen ist die Technologie dieser heute 1,5 bis 2,3 Tonnen schweren Detektoren, die jeweils auf eine oder zwei bestimmte Frequenzen der Gravitationswellen im Bereich von 700 bis 950 Hertz empfindlich sind, sehr viel weiter fortgeschritten. Mit fünf Zylindern aus Aluminium oder Niob, alle auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt abgekühlt, sucht heute insbesondere die "International Gravitational Events Collaboration" nach simultanen Ereignissen. Diese internationale Physikergruppe hält mit ihren Detektorverbund Ausschau nach

- kontinuierlichen Quellen im All: etwa engen, rasch rotierenden Doppelsternsystemen sowie

- Explosionsprozessen: etwa den so genannten Gammastrahlen-Bursts, die auch Kurzpulse von Gravitationswellen ausstoßen sollten, bisher ohne positives Ergebnis.

Von der Konstruktion neuer kugelförmiger, tiefgekühlter Resonanzantennen für Frequenzen bis vier Kilohertz versprechen sich die Erbauer von Zylinderantennen in der Weberschen Tradition künftig eine wesentliche Steigerung in der Empfindlichkeit und damit in der effektiven Reichweite dieser Teleskope. Mit den älteren Zylindern war jedenfalls ein Gravitationswellen-Nachweis gar nicht möglich.

Angesichts dieser unbefriedigenden Situation erschien der erste indirekte Nachweis von Gravitationswellen wie ein Geschenk des Himmels. Die amerikanischen Physiker Russell Hulse und Joseph Taylor entdeckten 1974 mit dem Arecibo-Radioteleskop auf Puerto Rico einen Pulsar der ganz besonderen Art (siehe Spektrum der Wissenschaft 12/81, S. 52, und 12/93, S. 21).

Der Pulsar – ein rasch rotierender Neutronenstern – im Sternbild Adler ist Teil eines engen Doppelsternsystems; auch bei dem unsichtbaren Partnerstern handelt es sich offenbar um einen Neutronenstern, dessen Radiostrahlung jedoch nicht auf die Erde trifft. Als Folge der Abstrahlung von Gravitationswellen sollten Umlaufbahn und Bahnperiode des Neutronensternpaars stetig schrumpfen; in etwa 240 Millionen Jahren sollten die Sterne, wenn die Vorhersage zutrifft, miteinander verschmelzen. Nach der Allgemeinen Relativitätstheorie berechnet sich die Abnahme der Umlaufperiode pro Jahr zu 0,076 Millisekunden. Nach mehrjährigen Messungen konnten Hulse und Taylor 1978 diese Vorhersage mit einer Genauigkeit von 0,5 Prozent bestätigen. Das war der erste indirekte – und bis heute deutlichste – Beweis für das Vorhandensein von Gravitationswellen.

Dem kühnen Vorhaben, Schwerewellen direkt nachzuweisen, gab dies neue Schubkraft. Schon 1970 hatten Rainer Weiss vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge und andere – so der Theoretiker Kip Thorne vom California Institute of Technology in Pasadena, der Webers Arbeiten noch als Student in Princeton kennenlernte – ein alternatives Nachweisprinzip vorgeschlagen, auf dem heute alle Hoffnungen ruhen: so genannte Interferometer, die ein breites Spektrum von Gravitationswellen registrieren können.

Der Klang kollidierender Schwarzer Löcher

Gravitationswellen mit hohen Frequenzen im Kilohertzbereich erwarten die Forscher von explodierenden Sternen ("Supernovae") sowie von Doppelsternen, die in der Endphase ihrer spiralförmigen Annäherung miteinander kollidieren und dann verschmelzen. Wellen mit tiefen Frequenzen im Bereich von 0,001 Hertz sollten von rotierenden Schwarzen Löchern und engen Doppelsternsystemen abgestrahlt werden.

Eine ganze Reihe von Antennen ist derzeit im Bau oder in Planung, die sich jeweils auf Frequenzen oberhalb oder unterhalb von zehn Hertz spezialisieren. An terrestrischen Antennen sind dies für die "hohen Töne" die Projekte Ligo (USA), Virgo (Italien/Frankreich), Tama (Japan) sowie das deutsch-britische Geo 600, das derzeit bei Hannover getestet wird.

Gravitationswellen mit "tiefen Tönen" unterhalb von 0,1 Hertz erfordern dagegen so große Anlagen, dass diese nur im Weltraum platziert werden können. Auf der Erde wären Messungen infolge der bei diesen Frequenzen relativ starken
seismischen Störungen unmöglich. Ein solches ehrgeiziges Weltraum-Projekt planen derzeit die Weltraumorganisationen Nasa und Esa gemeinsam mit einer Laser Interferometer Space Antenna (Lisa); ihre drei Satelliten sollen im Jahr 2010 gestartet werden.

Während elektromagnetische Wellen sich in Raum und Zeit ausbreiten, verzerren Gravitationswellen die Raumzeit – sie lassen dadurch die Abstände zwischen Objekten oszillieren. Rollt eine Gravitationswelle durch unser Sonnensystem, ändert sie die Abstände zwischen den Lisa-Satelliten. Allerdings sind die relativen Längenänderungen einer Antenne trotz der enormen freigesetzten Energien extrem klein: Sie schwankt höchstens um 1:1 Milliardstel eines Milliardstel (10-18). Selbst die Entfernung Erde-Sonne würde sich somit nur um einen Atomdurchmesser verändern.

Eine Antennenlänge von drei Kilometern (wie beim Virgo-Detektor) ändert sich also maximal um ein Tausendstel des Durchmessers eines Protons. Derartig kleine Entfernungsänderungen zwischen Testmassen zu registrieren stellt extreme Anforderungen an die Messtechnik. Mit Hilfe der Laser-Interferometrie hofft man jedoch, das Ziel zu erreichen.

Um den Effekt zu optimieren, versuchen die Forscher, ihre Antennen so groß wie möglich zu bauen. Wegen der Erdkrümmung lässt sich die ideale Länge von einem halben Gravitationswellenzug – das entspricht mehreren hundert Kilometern – nicht realisieren. Deshalb "faltet" man die Laserstrahlen in den bis vier Kilometer (Ligo) langen L-förmigen Interferometer-Armen mit Spiegeln mehrfach und vergrößert so die Lichtwege; alternativ verwenden die deutschen Forscher beim nur 600 Meter langen Geo 600 das so genannte "Signal-Recycling".

Ein halb durchlässiger Spiegel im Zentrum der Anordnung sorgt für senkrecht zueinander verlaufende Teilstrahlen gleicher Intensität in den beiden Armen. Bei jedem Hin- und Herlauf erreicht Licht aus beiden Armen den Photodetektor, wobei sich die Teilstrahlen überlagern (interferieren). Die Anordnung wird so justiert, dass diese sich normalerweise gegenseitig auslöschen. Dehnt oder staucht jedoch eine Gravitationswelle einen der Arme, sodass sich die Lichtwege in beiden Armen nun unterscheiden, verändert sich das Interferenzmuster. Aus dem winzigen Laufzeitunterschied lässt sich die Differenz der Längenänderung in den zwei Antennenarmen ablesen.

Mit einer ähnlichen Anordnung hatten die amerikanischen Wissenschaftler Albert Michelson und Edward Morley in den Jahren 1881 bis 1887 nachgewiesen, dass die Lichtgeschwindigkeit in Richtung der Erdbewegung und senkrecht dazu gleich ist. Dieses Ergebnis löste einige Zeit später eine Revolution in der Wissenschaft aus. Es widerlegte die damals noch gebräuchliche Äthertheorie und brachte Einstein 1905 dazu, seine Spezielle Relativitätstheorie auf die Annahme einer stets konstanten Lichtgeschwindigkeit aufzubauen. Der Nachweis von Gravitationswellen mit einer ähnlichen Methode wäre ein vergleichbar revolutionäres Resultat.

Geo 600 – getragen vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik, der Universität Hannover und der Universität Glasgow – hat bereits seinen Testbetrieb aufgenommen und soll 2001 mit den Beobachtungen beginnen ("first light"). Zunächst am MPI für Astrophysik und später am MPI für Quantenoptik in Garching waren ab 1975 kleinere Prototypen mit zunächst drei, ab 1983 dann 30 Metern Armlänge untersucht worden. In Glasgow hatten im Jahre 1977 ähnliche Untersuchungen begonnen; dort testete Ron Drever ab 1980 einen 10-Meter-Prototyp.

Im Jahre 1989 starteten Wissenschaftler aus Großbritannien und Deutschland gemeinsam das Projekt "Geo". Außer den Finanzen war anfangs auch der Standort strittig: Zunächst wurde ein Gelände im Harz auserkoren, und zwar für ein Interferometer mit Armlängen von je drei Kilometern; das Vorhaben wurde aber 1991 aus Kostengründen zurückgestellt. Verwirklicht hat man schließlich eine bescheidenere Variante mit je 600 Metern Armlänge. Mit dem Bau wurde im September 1995 auf einem flachen Gelände bei Hannover begonnen. Durch zwischenzeitliche Fortschritte in der Lasertechnik und neue optische Konzepte konnte der Max-Planck-Forscher Karsten Danzmann mit seinem Team die – aufgrund der kürzeren Armlänge – verminderte Empfindlichkeit wieder auf die ursprünglich vorgesehenen Werte anheben.

Beobachtungen im weltweiten Verbund aller Antennen

Für die optischen Komponenten setzten die Forscher spezielles synthetisches Quarzglas ein; auch die Spiegel mit ihren 18 Zentimetern Durchmesser sind an speziellen hauchdünnen Quarzfäden aufgehängt. Mit bloßem Auge sind diese kaum zu erkennen. Der Innenbereich des Zentralgebäudes, wo die beiden Interferometer-Arme zusammenlaufen, wurde wie in einem Labor der Mikroelektronik als Reinraum ausgelegt.

Herzstück der Anlage ist ein Infrarot-Laser, dessen Leistung von zehn Watt bei einer Wellenlänge von 1,064 Mikrometern durch ein so genanntes Power-Recycling auf bis zu 10 Kilowatt verstärkt wird. Die scharf gebündelten Strahlen werden durch luftleere Edelstahlröhren mit 60 Zentimetern Durchmesser geschickt. Das Ultrahochvakuum wird durch spezielle Turbo-Molekularpumpen erzeugt und aufrechterhalten, deren Rotoren magnetisch gelagert sind und deshalb praktisch erschütterungsfrei arbeiten.

Wie beim Michelson-Interferometer zerlegt ein halb durchlässiger Spiegel als Strahlteiler den Laserstrahl in zwei senkrecht zueinander verlaufende Teilstrahlen, die in die beiden Interferometer-Arme gelenkt werden, und von den Spiegeln, die an den jeweiligen Röhrenenden hängen, reflektiert werden. Laufzeitunterschiede aufgrund von Längenänderungen der Interferometer-Arme, wie sie eine Gravitationswelle auslösen soll, machen sich dann im Interferenzmuster an der Position des Strahlteilers bemerkbar. Da 600 Meter Armlänge nicht die Länge eines halben Wellenzuges erreichen, haben sich die Geo-Forscher – anders als seinerzeit beim Garchinger Prototyp, wo die Teilstrahlen noch vielfach gefaltet wurden – ein anderes Verfahren ausgedacht, das "Signal-Recycling":

Im Normalfall wird die Messvorrichtung so eingestellt, dass die Lichtstrahlen, wenn sie zum Ausgangspunkt zurückkommen, einander auslöschen. Sobald nun eine Gravitationswelle auf die Antenne trifft, zeigt die Anlage ein Signal an, das um die Frequenz der Gravitationswelle verschoben ist. Beim Signal-Recycling wird dieses Licht jetzt mit Spiegeln am Interferometer-Ausgang reflektiert und beim vielfachen Hin- und Herlaufen in den Interferometer-Armen verstärkt, sodass ein deutliches Signal entsteht.

Geo 600 ist mit dieser technischen Ausstattung für Gravitationswellen von 50 Hertz bis zu 1,5 Kilohertz empfindlich; gleichzeitig wurde es optimal gegen seismische Vibrationen, Wetter und andere störende Einflüsse isoliert. Um möglichst vollständige Informationen über Gravitationswellen auf der Erde zu empfangen – dazu gehört außer der Position der Quelle auch die Polarisation der Strahlung – müssen Daten von mindestens vier Antennen miteinander verglichen werden. Aus diesem Grund arbeitet das Geo-Team eng mit den anderen Gruppen in den USA (Ligo), Italien/Frankreich (Virgo) und Japan (Tama) zusammen. Das französisch-italienische Virgo-Projekt entsteht derzeit bei Pisa; dessen je drei Kilometer lange Vakuumröhren mit 1,2 Metern Durchmesser gehören zu den größten Hochvakuumgefäßen der Welt. Auch die Isolation aller optischen Komponenten in der Anlage gegen seismische und andere Störquellen wird Rekordmarken setzen. Die Messumgebung in der Virgo-Antenne wird ruhiger sein als in jedem Raumschiff, das um die Erde kreist.

Die beiden mit 365 Millionen Dollar im Vergleich zu Geo 600 ungleich kostspieligeren Ligo-Antennen in Hanford (Washington) und Livingston (Louisiana) sind Ende 1999 eingeweiht worden. Nach einer Testphase sollen die je vier Kilometer langen Antennenarme im kommenden Herbst die Jagd auf Gravitationswellen aufnehmen. Um "falsche" Signale auszuschließen, müssen die zwei rund 3000 Kilometer voneinander entfernten Detektoren in Koinzidenz, das heißt innerhalb von zehn Millisekunden, ansprechen. Die Differenz entspricht der Laufzeit der Gravitationswelle zwischen den beiden Detektoren. Ist die Verzögerung größer, sind eher lokale seismische Erschütterungen die Ursache, nicht eine kosmische Quelle.

Außerdem müssen Amplitude und Wellenform in beiden Detektoren so zueinander passen, dass sie von demselben Ereignis herrühren. Zusätzlich hat der Detektor in Hanford eine zweite, separate Antenne von zwei Kilometern Armlänge im selben Tunnel. Dieses Zusatzgerät dient der Kontrolle: Bei einem echten Ereignis muss es ebenfalls simultan ansprechen, jedoch mit halber Amplitude wie die große Schwesterantenne.

Eine Gravitationswelle aus dem All sollte natürlich von allen laufenden Geräten zugleich registriert werden. Innerhalb der Laufzeitdifferenzen sollten sie alle beim Eintreffen eines Signals ansprechen. Bei drei oder mehr gleichzeitigen Ausschlägen separater Detektoren könnte sogar die Position der Quelle am Himmel lokalisiert werden. Ansonsten müssten die Astronomen auf Zusatzindikatoren achten: etwa auf zur gleichen Zeit eintreffende Röntgen- oder Gammastrahlen.

Der Ursprung langdauernder periodischer Signale ließe sich dagegen auch mit einem einzigen Detektor lokalisieren. Solche Quellen, etwa enge Doppelsternsysteme, würden ihre Ursprungsrichtung anhand der Signalvariation beim Umlauf der Erde um die Sonne verraten. Für das bereits geplante Nachfolgeprojekt Ligo II sind Steigerungen der Empfindlichkeit für den Zeitraum ab 2005 auch schon ins Auge gefasst. Die an hauchdünnen Fäden – aus Stahl, Quarz oder Saphir – aufgehängten Spiegel sollen dann aus fast reinem Saphir bestehen; sie werden dadurch schwerer und deshalb unempfindlicher gegen den Strahlungsdruck des Laserlichtes.

Außerdem leiten Saphirspiegel die Wärme des Laserlichts besser ab als Quarzspiegel, sodass stärkere Laser eingesetzt werden können, was die Empfindlichkeit der Anlage steigert. Schließlich entwickeln die Geo-Wissenschaftler für Ligo II bereits Spiegelaufhängungen, die ähnlich wie bei Virgo ein Optimum an seismischer Isolation gewährleisten sollen. Für künftige Anlage, vielleicht ab 2008, ist geplant, die Spiegel zusätzlich bis nahe an den absoluten Nullpunkt zu kühlen.

Für den Empfang der "tiefen Töne" – Gravitationswellen mit einer Frequenz von weit unter einem Hertz, wie sie von galaktischen Doppelsternen und bei der Kollision von großen Schwarzen Löchern emittiert werden – benötigt man jedoch die Weltraumantenne Lisa.

Erdgebundene Detektoren wären als Folge diverser Störquellen auch bei noch längeren Interferometer-Armen nicht in der Lage, Gravitationswellen mit Perioden zwischen einigen Minuten und einigen Stunden zu messen. Das Weltraum-Detektorsystem Lisa ist derzeit die einzige geplante Weltraummission zur Messung von Gravitationswellen. Im Rahmen des Esa-Weltraumprogramms Horizons 2000 ist Lisa immerhin als eine Cornerstone Mission eingestuft.

Drei Satelliten, jeder 203 Kilogramm schwer, sollen dazu im All wie an den Ecken eines gleichseitigen Dreiecks mit fünf Millionen Kilometern Seitenlänge stationiert werden. Etwa 20 Grad hinter der Erde soll das Trio die Sonne umkreisen. Aus der sich verändernden Lage der Formation beim Sonnenumlauf wird sich die Richtung ermitteln lassen, aus der bestimmte Gravitationswellen stammen. Zwischen den drei Satelliten werden die Laserstrahlen hin- und herlaufen und zur Interferenz gebracht. Dies wird die ausgedehnteste Messanlage sein, die Menschen jemals gebaut haben.

Das Zentrum der Dreierformation liegt in der Ebene der Erdbahn. Im Innern jedes Satelliten "fliegen" zwei würfelförmige Testobjekte aus einer Platin-Gold-Legierung, deren Abstände zu den Testkörpern in den jeweils anderen Satelliten bestimmt werden. Dazu wird jedes Raumschiff zwei Infrarot-Laser von einem Watt Ausgangsleistung enthalten sowie zwei 30-Zentimeter-Teleskope. Diese werden auf die beiden anderen Raumschiffe ausgerichtet und lenken das Laserlicht auf die jeweiligen Testobjekte. Trifft eine Gravitationswelle auf die drei Satelliten, dann verändert sie die Abstände zwischen den Testmassen. Das Signal zeigt sich dann, ähnlich wie bei den irdischen Antennen, durch eine Veränderung im Interferenzmuster des Laserlichts. Die Genauigkeit, mit der solche Abstandsänderungen messbar sein werden, erreicht Pikometer (10-12 Meter). Das entspricht etwa einem Millionstel der Wellenlänge des Laserlichts. Solche Präzisionsmessungen erscheinen nahezu unglaublich – jedoch wurden mit terrestrischen Detekto-ren bereits hunderttausendfach kleinere Abstandsänderungen gemessen.

Ein Problem wird der Sonnenwind sein, der die Satelliten ständig aus ihrer Bahn drängt und somit Störungen verursacht. Um die gewünschte Messgenauigkeit zu erreichen, müssen sie aber dennoch mit größter Präzision um die Testmassen zentriert bleiben. Die Projektingenieure wollen mit extrem ruhig laufenden Ionenstrahltriebwerken die Positionen auf zehn Nanometer (10-8 Meter) genau stabil halten.

Die genaue Ausstattung von Lisa wird bis zum geplanten Start im Jahre 2010 natürlich den technologischen und astronomischen Fortschritten angepasst. Folgende Verbesserungen werden derzeit noch diskutiert: Man könnte die Mission mit kürzeren Armen starten, um sich zunächst auf die Quellen im Frequenzbereich von 0,1 bis 1 Hertz zu konzentrieren; oder während der Mission die Arme mit dem gleichen Ziel verkürzen. Ein solches Instrument wäre in der Lage, Systeme eng benachbarter Schwarzer Löcher registrieren, deren darauffolgende Verschmelzung wenige Wochen später durch erdgebundene Antennen bei höheren Frequenzen messbar werden sollte.

Dass mit Lisa der Nachweis von niederfrequenten Gravitationswellen gelingt – davon sind die beteiligten Wissenschaftler überzeugt. Ob damit auch die Gravitationswellen messbar sein werden, die uns direkt vom Urknall erreichen, wird vorläufig offen bleiben müssen. Als kosmische Hintergrundstrahlung ganz anderer Art sind diese Wellen heute so schwach und langwellig, dass nur eine Messanlage vom Lisa-Typ sie registrieren könnte, die an die Grenzen des heute Machbaren geht. Diese Wellen einzufangen, würde den Traum vieler Kosmologen erfüllen: den Urschrei des Universums zu hören.

Literaturhinweise


Gravitationswellen – ein neues Fenster zum Universum. Von P. Aufmuth und A. Rüdiger in: Physik in unserer Zeit, 31. Jg., Nr. 1, S. 14 (2000).

Allgemeine Relativitätstheorie. Von T. Fliessbach. Spektrum Akademischer Verlag, 1995 The Search for Gravity Waves. Von P. C. W. Davies. Cambridge University Press, 1980

Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2000, Seite 48
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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