Direkt zum Inhalt

Jenseits von Einstein. Die Suche nach der Theorie des Universums


Je tiefer die Physik in die Strukturen des Universums zu blicken vermochte, desto verwirrender wurde das Bild. Zu den bereits um die Jahrhundertwende bekannten Naturkräften, der Schwerkraft und der elektromagnetischen Kraft, gesellten sich neue: die schwache Wechselwirkung, die für viele radioaktive Zerfälle verantwortlich ist, und die starke, welche die Atomkerne zusammenhält. Immer neue Teilchen wurden entdeckt, so daß der Name Elementarteilchen immer weniger zutraf und der Begriff des Teilchenzoos populär wurde. Der Traum von einer einheitlichen Theorie des Universums, einer Weltformel, schien in immer weitere Ferne zu rücken.

Immerhin war es schon im vorigen Jahrhundert gelungen, zwei augenscheinlich völlig unterschiedliche Kräfte, die magnetische und die elektrische, zur elektromagnetischen zu vereinigen. So suchte man verzweifelt nach einem Weg, alle vier Kräfte auf ein einziges Naturprinzip zurückzuführen.

Albert Einstein, von den Erfolgen der Speziellen und der Allgemeinen Relativitätstheorie und tiefer Abneigung gegenüber der Quantenmechanik motiviert, versuchte in den letzten dreißig Jahren seines Lebens vergeblich, dieses Prinzip zu entdecken, und verlor sich in immer abstrakteren mathematischen Modellen.

Er stand mit seinem Scheitern nicht allein. Zwar gelang es mittlerweile, die elektromagnetische mit der schwachen Wechselwirkung zur elektroschwachen Kraft zu vereinigen; auch schien es gelungen, die starke Wechselwirkung mit einzubeziehen. Jedoch blieb die Schwerkraft bisher außen vor.

Eine neue Theorie, die Superstringtheorie, vermag nun mit Hilfe der Supersymmetrie und eines neuen Materiebegriffs womöglich alle vier Kräfte zu vereinigen. Michio Kaku, Professor für theoretische Physik an der Harvard-Universität in Cambridge (Masssachusetts) und selbst an der Entwicklung der Theorie beteiligt, berichtet mit der Journalistin Jennifer Trainer über die Geschichte dieser Theorie und ihre zum Teil phantastisch anmutenden Folgerungen.

Die Autoren beginnen mit einer kurzen Begriffsbildung und Beschreibung der vier Kräfte sowie einer Darstellung von Elektrodynamik, Relativitätstheorie und Quantenmechanik. Man findet die altbekannten Gleichnisse von der Bowlingkugel im Gummituch für die Raum-Zeit-Krümmung durch Gravitation sowie von Schrödingers Katze zur Erläuterung der Unbestimmtheitsrelation wieder.

Populärwissenschaftliche Bücher pflegen spätestens an dieser Stelle zu enden; hier aber erfährt der Leser mehr: von dem als Didaktiker begabten amerikanischen Physiker Richard Feynman und seinen Diagrammen aus der Quantenelektrodynamik, von der Vereinigung der elektromagnetischen und der schwachen zur elektroschwachen Kraft und der späteren Einbindung der starken Kraft.

Bei dieser Schilderung stellen die Autoren immer wieder ein wichtiges Prinzip in den Vordergrund: Symmetrie. Jede der vorgestellten Theorien baut auf Symmetrien auf. Wichtige Naturgesetze lassen sich aus reinen Symmetrieüberlegungen ableiten. Aus einer Symmetrie in der Zeit – Experimente unter gleichen Bedingungen liefern zu verschiedenen Zeitpunkten stets dasselbe Ergebnis – folgt die Energieerhaltung. In gleicher Weise entspricht die Symmetrie gegenüber Verschiebungen oder Drehungen im Raum der Impuls- beziehungsweise Drehimpulserhaltung.

In der Elementarteilchenphysik werden Teilchen gar nur noch nach Symmetriegesichtspunkten unterschieden. Der Schritt zur Supersymmetrie und weiter zur Superstringtheorie ist eine logische Konsequenz dieses Ansatzes, wie die Autoren im zweiten Teil schildern.

Ursprünglich entstand die Superstringtheorie aus einer Vereinigung der Quantenfeldtheorie und der S-Matrix-Theorie mit dem Ziel, Phänomene im Zusammenhang mit der starken Wechselwirkung zu erklären. Unseligerweise brachte sie mehr Elementarteilchen hervor, als bisherige Experimente vermuten ließen; so verwarf man sie. Erst später stellte man fest, daß unter den entstehenden Teilchen sowohl Gravitonen (Träger der Schwerkraft) als auch Photonen (Träger des Lichts) waren. Von neuem erregte die Theorie die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler. Konnte dies die gesuchte Vereinigung sein?

Die Grundidee ist denkbar einfach. Die Elementarteilchen der Superstringtheorie sind nicht punktförmige Objekte, sondern Fäden (strings). Man unterscheidet zwischen offenen und geschlossenen Fäden; der niedrigste Schwingungszustand des geschlossenen Strings entspricht dem Graviton, der entsprechende des offenen dem Photon.

Das Prinzip der Supersymmetrie vervollständigt die Superstringtheorie. Deshalb bekommt der Leser eine kleine Einführung in die Theorie der Symmetrien, die Gruppentheorie. Leider verkommt diese Darstellung zu einer bloßen Aufzählung von Gruppenbezeichnungen, ohne daß der Leser einen tieferen Einblick in die Struktur dieser Theorie gewinnen könnte.

War die Darstellung bis dahin von großer Anschaulichkeit geprägt, verlieren sich die Autoren hier in abstrusen Beispielen. Es ist sinnlos herzuleiten, daß N Quarks der Symmetriegruppe SU(N) angehören, wenn die benötigten Voraussetzungen vom Himmel fallen (Seite 132/133). Die Aufzählung der Lie-Gruppen und jener Elementarteilchen, die ihnen angehören, macht die Einführung keineswegs anschaulicher.

Am Ende weiß der Leser, daß es so etwas wie Symmetrie-Gruppen gibt, daß die höchste unter ihnen E(N)×E(N) heißt und in der Superstringtheorie enthalten ist und daß ihre Entdecker unglaublich fähige Mathematiker sind. Mehr kann auch der sachkundige Leser dem Text nicht entnehmen. Es fehlt an Anschaulichkeit, Gleichnissen und einfachen Beispielen.

Die einzigartige Eleganz der Superstringtheorie – sie löst mit einem Schlage alle mathematischen Probleme bisheriger Theorien – wird nur getrübt dadurch, daß eine experimentelle Bestätigung nur bei extrem hohen Energien möglich ist, Energien, die bisher von keinem Teilchenbeschleuniger erzeugt werden konnten. Andererseits ist die Theorie bislang nicht widerlegt worden.

Im letzten Teil schildern die Autoren die berühmten ersten drei Minuten unseres Universums. Hier zeigt sich die Stärke der neuen Theorie, die auch zu klären weiß, was vor dem Urknall war. Für den Superstringtheoretiker stellt der Urknall nichts anderes als einen Symmetriebruch dar, bei dem sich das einstmals zehndimensionale Universum in ein vierdimensionales und ein sechsdimensionales Universum spaltete (vergleiche "Die verborgenen Dimensionen der Raumzeit" von Daniel Z. Freedman und Peter van Nieuwenhuizen, Spektrum der Wissenschaft, Mai 1985, Seite 78). Die dabei entstehenden Energien erzeugten das, was der klassischen Vorstellung des Urknalls entspricht.

Um Räume solch hoher Dimension anschaulich zu machen, bedienen sich die Autoren des Romans "Flächenland", einer politischen Satire des 19. Jahrhunderts (Spektrum der Wissenschaft, April 1983, Seite 73). Deren Autor Edwin A. Abbott berichtet von einem Bewohner einer zweidimensionalen Welt, der den Bewohnern unserer dreidimensionalen begegnet – ein sehr gelungener Weg, der durch Kommentare der Autoren zusätzliche Qualitäten gewinnt.

Obgleich die Darstellung der Superstringtheorie einen Großteil des Buches ausmacht, kann es nicht als populärwissenschaftliches Einführungswerk in Supersymmetrie und Superstringtheorie gelten; dazu ist die Darstellung zu oberflächlich und ungenau. Die Beschreibung der Strings bleibt äußerst mager. Die schlechte Einführung in die Symmetrien tut ein übriges. Letztlich erfährt der Leser nur von der Existenz dieser Theorie und ihren möglichen kosmologischen Konsequenzen.

Dagegen ist das Werk unter wissenschaftshistorischen Gesichtspunkten von großem Interesse. Personen und Hintergründe werden beleuchtet. Man erfährt, wie aus dem Revolutionär Einstein ein Fossil wird, das seine ganze Energie damit verbringt, die Quantenmechanik zu widerlegen, oder daß Feynman nicht nur ein ausgezeichneter Physiker, sondern auch ein fähiger Safeknacker war.

Insgesamt hinterläßt das Buch einen positiven Eindruck. Die Übersetzung ist durchweg gelungen, die Darstellung bis auf die erwähnten Mängel allgemeinverständlich, das Werk unter didaktischen Gesichtspunkten gut aufgebaut. Allenfalls ist zu bemängeln, daß sich der Insel-Verlag nicht die Mühe gemacht hat, das Verzeichnis der Fachliteratur aus dem Jahre 1987 auf den neuesten Stand zu bringen, so daß wichtige Einführungswerke (zum Beispiel "Introduction to Superstrings" von Michio Kaku selbst, erschienen 1988 bei Springer, Heidelberg) fehlen.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1994, Seite 120
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.