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Kaffee, Käse, Karies Â… Biochemie im Alltag.

Wiley-VCH, Weinheim 1998. 384 Seiten, DM 48,–.


Die alltäglichsten Tätigkeiten und Körperfunktionen – Essen, Trinken, Verdauung, Körperpflege und so weiter – haben eine Menge mit Biochemie zu tun, was aus der einschlägigen Literatur nicht von vornherein klar wird. Wie also bringt man am besten zusammen, was zusammengehört, und erklärt die "Biochemie des Alltags" allen, die sie verstehen wollen?

In diesem Buch wird ein neuer und ungewöhnlicher Weg beschritten: Die 26 Teilnehmer eines Kompaktseminars der Universität Marburg haben jeweils ein Buchkapitel zu einem Teilgebiet geschrieben (und ihre Dozenten fungieren als Herausgeber). Eigentlich sollten Studierende als Vermittler taugen: vorgebildet genug, um die Fachliteratur auswerten zu können, aber noch nicht zu hoch in den Elfenbeinturm hinaufgeklettert, um die bodenständige Perspektive des angesprochenen Laienpublikums aus dem Auge zu verlieren.

Ist das Unterfangen gelungen? Die Fakten sind gründlich recherchiert und reichen über die Ränder des Fachs hinaus. So wird nicht nur die biochemische Wirkung des Alkohols, sondern auch die technische Herstellung alkoholischer Getränke erklärt – umfassende Information von der Weinlese bis zum Kater fließt hier zusammen.

Doch gerade diese Eigenschaft einer umfassenden Faktensammlung schreckt vermutlich viele davon ab, das Buch wirklich von der ersten bis zur letzten Seite zu lesen. Manche Kapitel sind recht trocken geratene Aufzählungen altbekannter Tatsachen, mühsam aufgelockert mit eingestreuten Sponti-Sprüchen und Zeichnungen. Nur ein gesunder studentischer Bildungshunger kann einen da bei der Stange halten.

Was fehlt diesen Kapiteln? Manche klammern sich zu sehr an die einfachen, oberflächlichen Fakten und versäumen es, die richtig interessanten Fragen zu stellen: Warum ist der Alkohol ein ständiger Begleiter der abendländischen Kulturgeschichte – aber nicht der chinesischen –, trotz Suchtgefahr und chronischer Krankheiten? Bert Vallee hat in dieser Zeitschrift (August 1998, S. 62) eine evolutionäre Erklärung dargelegt: Der Nutzen des Alkohols – nämlich seine desinfizierende Wirkung – macht sich bereits im fortpflanzungsrelevanten Alter bemerkbar, der Schaden aber viel später.

Im Kapitel über "Riechen und Schmecken" fehlt die Nachfrage: Warum schmecken eigentlich süße Proteine mehr als tausendmal süßer als Rohrzucker? Zwar sind die molekularen Einzelheiten noch nicht geklärt, doch fest steht: Im Vergleich mit Hormonen und anderen Botenstoffen ist Zucker ein erbärmlich schlechter Signalträger für die Botschaft "das schmeckt süß". Vermutlich wird das Molekül gar nicht spezifisch von der Bindungsstelle des betreffenden Rezeptors erkannt, sondern beeinflußt diesen eher indirekt. Die süßen Proteine hingegen (Spektrum der Wissenschaft, Oktober 1998, S. 26) wechselwirken vermutlich mit dem (unbekannten) Rezeptor in ähnlicher Weise wie ein Hormon mit dem seinen. Vielleicht sollte man eher sagen: Zucker ist 2000mal weniger süß als Monellin (aber auch erheblich billiger).

Mit einem gewissen Augenzwinkern ist das Hanf-Kapitel geschrieben. Auch wenn von Bill Clintons Rauchtechnik ("I didn’t inhale") nicht explizit die Rede ist, wird wieder einmal klar, wie wenig die gesellschaftliche Akzeptanz einer Droge mit ihrer Gefährlichkeit zu tun hat. Die vor kurzem wiederbelebte Diskussion um den Hanf als Nutzpflanze hat überdies einige hübsche Fakten zutage gefördert. Daß die Gutenberg-Bibel auf Hanfpapier gedruckt wurde, werde ich mir für einen passenden Anlaß merken. Und wer die Aussagen des Kaffee-, Käse- und Karies-Buches experimentell nachprüfen will, sollte auf seine nächste Auslandsreise ein viertes K, nämlich frische Karotten mitnehmen. Warum? Sie enthalten Caryophyllen-Epoxid, und das ist, wie ich gerade aus dem Buch gelernt habe, der auch im Haschisch enthaltene Geruchsstoff, auf den die Spürhunde abgerichtet werden.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 2000, Seite 103
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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