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Nachgehakt: Kein Rummel mehr im Menschenpark



Erinnern Sie sich? Zur Jahrtausendwende löste der Philosoph Peter Sloterdijk mit seinem Vortrag über "Regeln für den Menschenpark" eine rege Debatte über die biotechnische Zukunft der Menschheit aus (SdW 11/1999, S. 104). Monatelang erschienen in der Presse Artikel-Breitseiten von Biologen, Philosophen und Theologen. Besonders erhitzten sich die Gemüter an der Frage, ob menschliche Embryonen per Klonen gezüchtet werden sollten, um als Ersatzteillager für defekte Organe zu dienen.

Heute, zwei Jahre später, sind aber die eigentlichen Fragen noch immer: Dürfen menschliche Eizellen künstlich befruchtet werden, nur zu dem Zweck, der Medizin embryonale Stammzellen zu liefern? Ist die befruchtete Eizelle einem menschlichen Wesen gleichzusetzen – worauf insbesondere die katholische Kirche beharrt? Oder ist es legitim, mikroskopische Zellhaufen zu verbrauchen, um menschliches Leid zu lindern, wie das britische Unterhaus in seinem Beschluss zur Stammzellforschung vom Dezember 2000 befand?

Doch offenbar ist die Luft raus. In Deutschland bleibt Forschung an embryonalen Stammzellen generell auf bereits vorhandene Zelllinien eingeschränkt, und in den USA zumindest die staatlich finanzierte Forschung. Seither scheint das öffentliche Interesse an biotechnischen und bioethischen Problemen dramatisch nachgelassen zu haben; Themen wie internationaler Terrorismus und Kriegsgefahr im Nahen Osten fesseln die Aufmerksamkeit nun stärker als die theoretische Bedrohung der Menschenwürde durch geklonte Embryonen.

Rein sachlich ist die Abkehr öffentlicher Neugier weg von der Biotechnik eigentlich nicht zu begründen. Bleibt das nun ein Epochenthema oder nicht? Sind etwa auf einmal alle Fragen gelöst? Besteht kein Diskussionsbedarf mehr? Offenbar verhält sich die Öffentlichkeit wie ein unreifes Gehirn mit primitivem Wahrnehmungsapparat, dem die Massenmedien als Augen und Ohren dienen. Alle Quartale blockiert ein scheinbar weltuntergangsschweres Thema alle Kanäle, für andere Themen ist kaum mehr Platz. Nachhaltige Debatten über Biothemen stoßen auf Desinteresse; sie haben ihren Sexappeal verloren.

Tatsächlich ist im Bereich der Biotechnik alles komplizierter, als der aufgeregte Wortwechsel zwischen Theo- und Biologen vermuten ließe. Einerseits begründen Fachleute wie Peter Propping, Direktor am Institut für Humangenetik der Uni-versität Bonn, warum die Vision vom eugenisch manipulierten Wunschkind eine Fata Morgana bleiben wird ("Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 24. September): An begehrten Eigenschaften wie "intelligent", "schön" und "gesund" sind nicht nur zahlreiche Gene beteiligt, deren Zusammenwirken, selbst wenn sie alle bekannt wären, sich kaum steuern ließe, sondern auch die Umwelt. Es steht eben nicht nur in den Genen, wer man wird. Die multifaktorielle Natur der Vererbung verbietet von vornherein eine absichtsvolle pränatale Selektion, wie sie Scharlatane versprechen oder Biotechnikgegner als Schreckgespenst an die Wand malen.

Als problematisch erweist sich aber auch ein Ausweg aus der gesellschaftlich umstrittenen Embryonenforschung, der zunächst viel versprechend schien: Statt embryonale Stammzellen zu verwenden, hofften Forscher auf adulte Stammzellen ausweichen zu können, die etwa aus dem Knochenmark von Erwachsenen gewonnen werden. Doch in letzter Zeit wird unter Experten heftig gestritten, ob das Potenzial solcher Zellen tatsächlich ausreicht, verschiedenste Gewebe und Organe zu bilden. Auch hier gilt: alles nicht so einfach.

Andererseits löst selbst ein sensationeller Durchbruch in der Fortpflanzungsmedizin offenbar keine große Debatte mehr aus: Angeblich gelang die Verschmelzung einer Keimzelle eines Menschen mit einer Körperzelle eines anderen Menschen zu einer Zelle mit komplettem Chromosomensatz ("Spiegel" vom 9. September). Wenn dieses Kunststück Routine würde, müsste ein Embryo, dessen Erbmaterial natürlicherweise ein Mix aus Vater und Mutter ist, nicht mehr aus einer Eizelle der Mutter und einer Samenzelle des Vaters entstehen. Auch gleichgeschlechtliche Paare, die sich fortpflanzen möchten, wären nun in der Lage, ein gemeinsames Kind in die Welt zu setzen.

Doch die Aufmerksamkeit der Medien hat sich längst anderen Reizthemen zugewandt. Das ist vielleicht sogar gut so. Das Verschwinden eines Themas aus den Medien kann auch bedeuten, dass es eine gewisse Reife erreicht hat. Der Sloterdijk’sche "Menschenpark" hat sich jedenfalls geleert wie ein Rummelplatz, wenn die Scheinwerfer ausgehen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2002, Seite 94
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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