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Kendroskopie - holographische Abbildung atomarer Strukturen mit Elektronen

Mit einer extrem feinen Metallspitze, die in einem einzelnen Atom endet, lassen sich intensive kohärente Elektronenstrahlen erzeugen. Mit ihrer Hilfe kann man ohne Linsen auf holographischem Wege atomare Strukturen dreidimensional sichtbar machen.


Schon 1873 erkannte der deutsche Physiker und Begründer der modernen optischen Technik Ernst Abbe (1840 bis 1905), daß die Wellenlänge der verwendeten Strahlung das Auflösungsvermögen eines Mikroskops begrenzt. Bei sichtbarem Licht beträgt sie etwa einen halben Mikrometer. Mit dem Lichtmikroskop kann man darum nur Strukturen bis hinab zu einer Größe von einigen tausendstel Millimetern sichtbar machen. Um Objekte wie Atome oder Moleküle aufzulösen, braucht man Strahlen einer zehntausendfach kleineren Wellenlänge. Im elektromagnetischen Spektrum wären dies Röntgenstrahlen; doch für die gibt es kein geeignetes Linsenmaterial.

Nun besagt die Quantenphysik, daß alle Materie sowohl Teilchen- wie Wellencharakter hat. Demnach kann man auch Partikel zur Abbildung verwenden. Zum Beispiel hat ein Elektron, das mit einer Spannung von 100 Volt beschleunigt wurde, eine Wellenlänge von etwa einem zehntel Nanometer ( millionstel Millimeter), die gerade atomaren Dimensionen entspricht. Nachdem Hans Busch (1884 bis 1973) an der Universität Jena 1926 gezeigt hatte, daß sich mit magnetischen Feldern Elektronenstrahlen ähnlich fokussieren lassen wie Lichtstrahlen mit Linsen, konnte Ernst Ruska (1906 bis 1988, Nobelpreis ]986) noch als Student an der Technischen Universität Berlin – später war er Mitarbeiter in den Siemens-Forschungslaboratorien in Berlin – 1931/32 das erste Elektronenmikroskop bauen. Es funktionierte nach demselben Prinzip wie das Lichtmikroskop, nur mit magnetischen statt gläsernen Linsen.

Um die Auflösung von Elektronenmikroskopen zu maximieren, verwendet man heute Beschleunigungsspannungen bis zu einer Million Elektronenvolt; denn die Wellenlänge der Teilchen nimmt mit steigender Energie ab und die Auflösung des Mikroskops entsprechend zu. Mindestens ebenso wichtig aber ist die Realisierung eines möglichst guten Systems von Magnetlinsen. Auch mit dem größten Aufwand lassen sich gewisse inhärente Mängel dieser Fokussierungssysteme allerdings nicht so weit ausgleichen, daß ihre Qualität der von präzise geschliffenen Glaslinsen auch nur nahekäme. Will man das Elektronenmikroskop also grundlegend verbessern, muß man ohne Fokussierung auskommen.

Eine Mikroskopie ohne Linsen hat schon 1948 der in Ungarn geborene britische Physiker Dennis Gabor (1900 bis 1979; Nobelpreis 1971) vorgeschlagen; sie ist heute als Holographie bekannt (Bild 1). Dabei sendet eine Punktquelle eine Kugelwelle aus, die teils von einem Objekt gestreut wird und teils direkt zum Bildschirm gelangt. Dort überlagern sich die beiden Teilwellen zu einem Interferenzmuster. Weil dieses Hologramm nicht nur die Intensitäten (Amplitudenquadrate), sondern auch den Laufzeitunterschied (die Phasendifferenz) der beiden Wellen beinhaltet, ist es sogar informationsreicher als ein mikroskopisches Bild, dem die Phaseninformation fehlt.

Man braucht allerdings eine Quelle, die kohärente Wellenzüge erzeugt. Für eine Kugelwelle trifft dies nur dann zu, wenn sie von einem Raumgebiet kommt, dessen Ausdehnung vergleichbar mit ihrer Wellenlänge ist. Unter dieser Bedingung ist die erreichbare Lichtintensität aber äußerst gering. Deswegen hat die Holographie erst praktische Bedeutung erlangt, als in den sechziger Jahren mit dem Laser eine intensive Quelle kohärenten Lichts erfunden wurde.

Eine direkte kohärente Quelle für Elektronen hielt selbst der weitsichtige amerikanische Physiktheoretiker Richard Feynman ( 1918 bis 1988; Nobelpreis 1965) für nicht machbar, weil sie unrealistisch klein sein müsse; in seinen berühmten Lehrbüchern verwendete er sie ausdrücklich nur für Gedankenexperimente. Im Jahre 1986 gelang es einem von uns (Fink) im IBM-Forschungslabor in Zürich jedoch, eben eine solche Quelle zu entwickeln. Sie besteht aus einem sehr dünnen Wolframdraht, der mit vielen Tricks so angespitzt wird, daß er in einem einzelnen Atom endet. Solche Spitzen emittieren bis zu zehn Billionen Elektronen pro Sekunde aus einem Volumen mit einem Durchmesser von weniger als einem zehntel Nanometer.

Damit war es möglich, ein Elektronen-Projektionsmikroskop ohne Linsen nach Gabors Schema zu bauen. Legt man das Objekt 100 Nanometer vor die Quelle, wird es auf einem 10 Zentimeter entfernten Leuchtschirm dahinter in millionenfacher Vergrößerung projiziert (Bild 2). Allerdings erscheint es dabei nicht als einfacher Schattenriß, wie man intuitiv erwarten könnte; wegen der Kohärenz der Strahlungsquelle entsteht vielmehr ein kompliziertes Interferenzmuster, eben das Hologramm.

Generell sind Hologramme keine direkt interpretierbaren zweidimensionalen Bilder, die man wie Photos betrachten könnte. Man muß daraus vielmehr das ursprüngliche Objekt erst wieder gleichsam rekonstruieren – etwa indem man das Interferenzmuster mit der gleichen Strahlung, mit der es erzeugt wurde, noch einmal beleuchtet. Jenseits des Hologramms entsteht dann durch Überlagerung der an ihm gestreuten Welle mit der unbeeinflußten eine Intensitätsverteilung, die der ursprünglichen Wellenfront am Objekt entspricht. So erhält man eine originalgetreue dreidimensionale, also räumliche Wiedergabe.

Bei sichtbarem Licht kann man für Abbildung und Objektrekonstruktion dieselbe Laserquelle verwenden. Bei Elektronen ist der zweite Schritt wegen der viel zu kleinen Wellenlänge der Strahlung und der Winzigkeit des Objektes dagegen nur auf rechnerischem Wege möglich.

Nach dem altgriechischen Wort für Stachel haben wir für die linsenlose Elektronenmikroskopie die Bezeichnung Kendroskopie vorgeschlagen. Die Theorie dieses Verfahrens einschließlich der überaus wichtigen Methoden der numerischen Rekonstruktion hat einer von uns (Kreuzer) mit seinen Mitarbeitern an der Dalhousie-Universität in Halifax (Kanada) im Rahmen eines von IBM unterstützten Forschungsprojekts entwickelt. Sie erlaubt, nicht nur Objekte aus Kendrogrammen zu rekonstruieren, sondern auch für atomare Strukturen die zu erwartenden Interferenz- und Beugungsbilder zu berechnen.

Wegen des extrem einfachen Aufbaus ohne Linsen muß für die Konstruktion eines Kendroskops nur ein Zehntel des Aufwands an Technologie getrieben werden wie bei einem konventionellen Elektronenmikroskop. Auch beim Betrieb bietet das Kendroskop viele Vorteile. Weil es mit Elektronen von nur 100 statt einer Million Elektronenvolt Energie arbeitet, müssen biologische Proben nicht zur Kontrastverstärkung mit schweren Elementen quasi angefärbt werden. Zum Beispiel ist eine DNA-Probe, die aus einer Lösung auf ein Mikroskopnetz aufgebracht wurde, ohne weitere Behandlung sichtbar. Zudem erzeugen niederenergetische Elektronen kaum Strahlungsschäden: Eine DNAProbe kann man im Kendroskop stundenlang betrachten, wohingegen die hochbeschleunigten Elektronen eines konventionellen Mikroskops das Molekül in Sekunden zerstören. Die sehr hohe Intensität der Quelle schließlich erlaubt Aufnahmen innerhalb einer millionstel Sekunde. Damit lassen sich endlich Prozesse auf dieser sehr kurzen Zeitskala beobachten, zum Beispiel Veränderungen der DNA unter Einwirkung von Röntgenstrahlen.

Die Entwicklung des Kendroskops steht erst ganz am Anfang. Vieles wurde in weniger als zwei Jahren erreicht. Dabei hat sich die intensive Zusammenarbeit zwischen der experimentellen Gruppe bei IBM in Zürich und den Theoretikern in Halifax als sehr fruchtbar erwiesen. Vorerst muß das Verfahren noch weiter optimiert werden. So liefert die rechnerische Objektrekonstruktion aus experimentellen Kendrogrammen bisher noch keine befriedigenden Bilder. Immerhin lassen sich den Kendrogrammen selbst oft bereits wertvolle Informationen entnehmen. Die Aussichten, die das Instrument insbesondere in der Biologie eröffnet, sind jedenfalls faszinierend.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1994, Seite 25
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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