Kernwaffenversuche - 50 Jahre Wettrüsten
Am 16. Juli 1945 detonierte in der Wüste von Alamogordo (Neu-Mexiko) der erste nukleare Sprengsatz der Welt. Die Vereinigten Staaten hatten damit der Waffentechnik eine neue Dimension der Zerstörungsfähigkeit eröffnet: Die Explosionsenergie dieses und der beiden über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Kernsprengkörper entsprach derjenigen von jeweils etwa 20000 der schwersten im Zweiten Weltkrieg eingesetzten konventionellen Bomben.
Rückblickend betrachtet war damit gleichsam der Startschuß für ein Wettrüsten gefallen, das die Militärstrategie und mit dieser auch die Sicherheits- und Außenpolitik vieler Länder grundlegend veränderte und zu manch dramatischem Höhepunkt im Kalten Krieg Anlaß gab. Die insgesamt mehr als 2000 Kernwaffenversuche, welche die USA, die frühere Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien und China bis 1995 durchführten, waren sichtbare Zeichen der Abschreckungsdoktrin: Die Stationierung von Kernwaffen wurde als geeignete Antwort auf eine wahrgenommene Bedrohung angesehen und ihre Weiterentwicklung und ihr zahlenmäßiger Ausbau mit einer Änderung der Bedrohungslage begründet – bis sie schließlich selbst zu einer wesentlichen Triebkraft des Wettrüstens und zu einem die Bedrohungswahrnehmung beeinflussenden und damit potentiell destabilisierenden Faktor wurden.
In der Hoch-Zeit des Kalten Krieges Anfang der sechziger Jahre detonierte im Mittel alle drei Tage ein nuklearer Sprengkörper mit der vielfachen Stärke der Hiroshima-Bombe – im Weltraum, in der Atmosphäre, auf der Erdoberfläche, unter Wasser und unterirdisch. Zunehmend wurden nicht nur solche Kernwaffen erprobt, die auf der Spaltung von Uran- oder Plutoniumkernen beruhen, sondern auch thermonukleare Sprengkörper, die leichte Atomkerne verschmelzen und die damit die erreichbare Explosionsenergie noch einmal um das mindestens Fünfhundertfache steigerten. Insbesondere die zahlreichen atmosphärischen Versuche mit solchen Wasserstoffbomben lösten den Ruf nach einem vertraglichen Verbot aller Kernwaffentests aus; denn ihre gigantischen Atompilze und vor allem der über weite Strecken transportierte radioaktive Niederschlag, der Fallout, machten die Gefährdung bewußt, die von diesen vermeintlichen Abschreckungswaffen selbst ausging (Bild 1).
Das Problem war jedoch, daß die Staaten, die selbst über Kernwaffen verfügten oder solche entwickeln wollten, über die Einstellung der Versuche verhandeln mußten. Die Position, die eine Regierung zu einem umfassenden Teststopp einnahm, hing deshalb im wesentlichen von dem gerade aktuellen militärischen Kräfteverhältnis der beteiligten Staaten ab und davon, ob sie sich von einer Weiterentwicklung des nuklearen Potentials eher Vor- oder Nachteile versprach.
Bisherige Abkommen
Aus diesem Grunde konnte stets nur auf Teilgebieten eine vertragliche Übereinkunft erreicht werden. Der im August 1963 unterzeichnete und zwei Monate später in Kraft getretene Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser ließ ausdrücklich unterirdische Nuklearexplosionen unerwähnt. Im Testschwellenvertrag von 1974 begrenzten die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion die Explosionsenergie der unterirdischen Kernwaffenversuche auf 150 Kilotonnen – einen Wert, der etwa zehn Hiroshima-Bomben gleichkommt. (Die Explosionsenergie nuklearer Sprengkörper wird gewöhnlich als Energieäquivalent des chemischen Sprengstoffs Trinitrotoluol, TNT, angegeben; 150 Kilotonnen entsprechen 150000 Tonnen TNT.) Zwei Jahre später regelten beide Staaten die Durchführung und die Explosionsenergie von Kernsprengungen für zivile Zwecke.
Die rüstungskontrollpolitischen Auswirkungen dieser Verträge sind sehr differenziert zu bewerten. Unter den damaligen politischen Gegebenheiten stellte das 1963 geschlossene Teststoppabkommen in einer spannungsreichen Phase zwischen den USA und der UdSSR den ersten erfolgreichen Versuch dar, mit Hilfe von Rüstungskontrollabkommen das Verhältnis zwischen beiden Staaten zu entschärfen (die Berlin-Krise, die Kuba-Krise und der Abschuß eines amerikanischen U2-Aufklärungsflugzeugs über der Sowjetunion lagen noch nicht lange zurück). Auch schreibt man ihm eine hemmende Wirkung hinsichtlich der Proliferation, also der Weiterverbreitung von Kernwaffen zu, und es hat die radioaktive Verseuchung der Atmosphäre gestoppt. Doch dadurch, daß es nicht gelungen war, das Testverbot auf unterirdische Nukleartests auszuweiten, hatte man dem ursprünglichen Bestreben, das Wettrüsten durch Behinderung der qualitativen Weiterentwicklung der Kernwaffen einzudämmen, jede Aussicht auf Erfolg genommen – die Versuche wurden seitdem einfach unterirdisch fortgeführt.
Wenngleich der technische Aufwand für solche in tiefen Bohrungen oder Bergwerksstollen stattfindende Nukleartests erheblich größer ist als für atmosphärische, hatten die Waffentechniker doch gelernt, alle waffenspezifischen Informationen daraus zu gewinnen. Die durch das Teststoppabkommen auferlegten Beschränkungen waren deshalb eher marginal und betrafen im wesentlichen die Untersuchung atmosphärischer Effekte von Kernexplosionen und nicht die Waffentechnik selbst. Sozusagen als psychologischer Effekt kam hinzu, daß die Verlagerung der Nukleartests unter die Erdoberfläche die erkennbaren Anzeichen des nuklearen Wettrüstens dem Bewußtsein der Öffentlichkeit entzog und so den öffentlichen Druck nach weiteren Rüstungskontrollabkommen reduzierte.
Entwicklungslinien der Kernwaffentechnologie
Die große Mehrzahl der Kernwaffenversuche diente der Entwicklung neuer Sprengköpfe. Ein geringerer Teil wurde durchgeführt, um die Wirkungen von Nuklearexplosionen auf zivile und militärische Ziele zu untersuchen. Um Erfahrungen im Umgang mit diesen strategischen Waffensystemen zu sammeln, wurden zudem Unfälle simuliert und Sicherungsmechanismen, die einen unbefugten Gebrauch der Kernsprengkörper verhindern sollten, in Versuchen erprobt, bei denen Kernenergie frei wurde. Selbst die Eignung von Kernsprengungen für den Bau von Kanälen und Häfen sowie zur Öl- und Gasexploration wurde in der Vergangenheit praktisch untersucht. Die frühere Sowjetunion setzte Nuklearexplosionen sogar für geophysikalische Experimente ein. Kaum eine Region der Erde blieb von solchen Versuchen verschont (Bild 2).
Die Entwicklung der verschiedenen Kernwaffenarten verlief in allen Staaten, die sich am nuklearen Wettrüsten beteiligten, ähnlich. Zunächst wurden einfache Anordnungen nach Art der Hiroshima- und Nagasaki-Bomben konstruiert, die ihre Explosionsenergie aus der Spaltung von Uran- beziehungsweise Plutoniumkernen bezogen. Anschließend suchte man deren Effizienz zu steigern, um sie als Zünder für thermonukleare Waffen zu nutzen, die wiederum alsbald den Hauptteil der Kernwaffenversuche und der stationierten Waffensysteme ausmachten.
Wegen der Vielzahl taktischer und strategischer Missionen, die man Kernwaffen zudachte, wurden nukleare Sprengkörper mit unterschiedlichen Explosionsenergien entwickelt – die Skala reichte über sechs Größenordnungen von etwa 0,01 Kilotonnen für tragbare nukleare Minen bis ungefähr 10000 Kilotonnen für die thermonuklearen Gefechtsköpfe strategischer Raketen. Auch wenn einige dieser Sprengkörper in verschiedenen Modifikationen auf unterschiedlichen Trägersystemen eingesetzt wurden, so war doch die Regel, daß für jedes neue Trägersystem ein spezieller Kernsprengsatz entwickelt wurde, der eine Optimierung der militärischen Mission gestattete. Die Vereinigten Staaten beispielsweise konstruierten in den vergangenen Jahrzehnten mehr als 70 nukleare Sprengkörper, die sie in verschiedenen Varianten auf etwa 120 Trägersystemen einsetzten.
Die Verfeinerung der Kernwaffentechnik seit der frühen Forschungs- und Entwicklungsphase Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre ist mittlerweile so weit vorangeschritten, daß selbst die Kernwaffenstaaten den politischen Gewinn aus weitergehenden Rüstungsbegrenzungen höher einschätzen als die Vorteile, die mit einer Fortführung des Programms erreicht werden könnten. Zudem stehen inzwischen mit leistungsfähigen Computersimulationen und alternativen Experimentiermethoden Verfahren zur Verfügung, um die erforderlichen Wartungsarbeiten an dem bestehenden Nukleararsenal durchzuführen. Zusammen mit den globalen Umwälzungen, die sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ergeben haben, ist damit eine Situation entstanden, die mehr als fünfzig Jahre nach der ersten Nuklearexplosion eine lange geforderte Übereinkunft ermöglichte: den Abschluß eines Vertrages, der Kernwaffenversuche umfassend verbietet – sowohl in allen Medien als auch für alle Explosionsenergien.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1997, Seite 88
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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