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Kunststoffe: Ketten knacken leicht gemacht

Manche neuartigen Polymere sind kompostierbar, halten aber dafür nicht so viel aus wie Kunststoffe alter Machart. Ein geschickter Mix löst das Problem.


Ein Kunststoff, der so rasch zerfällt wie Papier? Die Vorstellung wirkt absurd, gelten all die chemischen Verbindungen, deren Name mit "Poly-" beginnen, doch als extrem robust und beständig. Um der wachsenden Müllberge jedoch Herr zu werden, sind auch exotische Konzepte gefragt. Neue, bioabbaubare Kunststoffe, die kompostierbar sind, könnten einen wichtigen Beitrag zur Lösung dieses Problems bieten. Freilich sollten auch Wegwerfprodukte daraus stabil und reißfest bleiben, solange sie in Gebrauch sind. An unserem Institut wird deshalb versucht, grundlegende Fragen zu klären: Welches Material ist abbaubar, welches warum nicht?

Beständigkeit bewies auch der deutsche Chemiker Hermann Staudinger (1881–1965), der 1922 gegen herrschende Lehrmeinung verkündete, Kautschuk und Zellulose bestünden aus mehr als 1000 kleinen Molekülen, die jeweils über chemische Bindungen miteinander verkettet seien. Trotz zahlreicher Anfeindungen begründete Staudinger die moderne makromolekulare Chemie. Sein Nobelpreis 1953 ehrte auch eine Stoffklasse, die heutzutage in kaum einem Lebensbereich fehlt und die einen großen Teil der heutigen technischen Entwicklungen überhaupt erst möglich gemacht hat.

Die Schattenseiten sind mittlerweile bekannt: Nach Angabe des Umweltbundesamtes mussten 1997 allein in Deutschland etwa 3,2 Millionen Tonnen verschiedener Kunststoffe entsorgt werden. Ungefähr 60 Prozent der Abfälle werden derzeit "recycelt" oder zur Energiegewinnung genutzt, der Rest deponiert oder verbrannt.

Sowohl der Sinn des Kunststoffrecyclings als auch die Müllverbrennung sind Gegenstand heftiger Diskussionen; für bestimmte Bereiche bietet sich nun die Kompostierung spezieller Kunststoffe als Alternative an. Wer vom biologischen Abbau spricht, lobt das Werk von Mikroorganismen. Sie scheiden Enzyme aus, die lange Polymerketten zunächst in kurze, wasserlösliche Bruchstücke zerschneiden. Diese lassen sich dann durch die Zellmembranen ins Innere der Organismen befördern und dort weiter verarbeiten. Dabei entstehen Energie und Rohstoffe für den Aufbau der Zellen, als Abfallprodukte Wasser, Kohlendioxid und gegebenenfalls Methan.

Doch viele Polymere widersetzen sich der Enzymattacke. Bestehen ihre Ketten aus reinem Kohlenstoff, wie etwa in Polyethylen und in Polystyrol, finden die Biokatalysatoren keine Angriffsmöglichkeiten. Der Grund: Da solche Polymere in der Natur nicht vorkommen, haben sich keine geeigneten Enzymsysteme entwickelt. Werden die Kohlenstoffketten jedoch durch andere Atome wie Sauerstoff oder Stickstoff unterbrochen, sieht die Sache anders aus. Kein Wunder, denn auch natürliche Polymere wie Stärke, Zellulose oder Proteine besitzen solche "Heteroatome" in den Polymerketten. Dementsprechend enthalten die meisten heutigen bioabbaubaren Werkstoffe Ether-, Urethan-, Amid- oder Estergruppen (siehe Grafik unten). Enzyme beschleunigen den Einschub von Wassermolekülen in diese Bindungen, die dann unter Bildung etwa von Säure-, Alkohol- oder Aminogruppen gespalten werden.

Mobile Ketten


Dennoch gibt es als bioabbaubar vermarktete Kunststoffe wie Polyethylen und Polystyrol mit reinen Kohlenstoffketten. Der Trick dabei: Besondere Zusätze oder der Einbau spezieller Gruppen in die Ketten sollen die Aufgabe der Enzyme übernehmen und die langen Moleküle beispielsweise unter Sonnenlicht zunächst chemisch in Fragmente auftrennen. Ob diese Reaktionen aber ausreichen, um den Mikroorganismen das Feld für den weiteren Abbau der Bruchstücke zu bereiten, darüber streiten die Gelehrten.

Fremdatome in den Ketten garantieren überdies allein noch keine Bioabbaubarkeit. Auch die Flexibilität der Polymerketten und ihr Zusammenhalt untereinander im Werkstoff spielen eine wichtige Rolle. Denn nur ausreichend mobile und flexible Ketten können sich in das katalytisch aktive Zentrum der Enzyme einpassen und werden dann gespalten. Dazu ein Beispiel: Starre Polyester aus ringförmigen Einzelmolekülen (so genannten Aromaten) wie das für Trinkflaschen verwendete Polyethylenterephthalat (PET) bleiben vom mikrobiellen Angriff unbeeindruckt, flexible Polyester aus linearen Bausteinen (so genannten Aliphaten) wie Polycaprolacton (PCL) hingegen sind abbaubar. Letzteres wird konventionell als Ausgangsmaterial für Polyurethane oder als Zuschlagstoff für Polyolefine verwendet. Ein weiteres Beispiel für den Einfluss der Kräfte zwischen den Polymerketten auf den biologischen Abbau sind Polyamide. Zwar beruhen natürliche Eiweiße und technische Polyamide wie Nylon beide auf den erwähnten Amid-Bindungen, doch verhindern bei den technischen Produkten starke Wasserstoffbrücken zwischen den Polymerketten eine enzymatische Spaltung.

Als wäre die Angelegenheit nicht schon kompliziert genug, bedürfen auch die Fragmente, die bei der Spaltung der Polymerketten entstehen, noch der Beachtung. Da sie sich in Wasser lösen, könnten sie beispielsweise ins Grundwasser gelangen. Dann muss garantiert sein, dass Mikroben sie weiter zersetzen werden, dass sie nicht giftig wirken und sich wohlmöglich in Nahrungsmitteln anreichern (bislang gilt aber nur die Bildung von aromatischen Diaminen aus aromatischen Polyamid-Strukturen als bedenklich).

Darüber hinaus müssen sich die Verarbeitungs- und Anwendungseigenschaften mit denen konventioneller Kunststoffe messen lassen. Beispielsweise haben natürliche Polymere wie Zellulose oder Stärke diesbezüglich deutliche Defizite. Chemische Modifizierung hilft zwar in gewissem Maße, doch nimmt die Abbaubarkeit dabei ab (beispielsweise beruht das unter dem Markennamen "Bioceta" für bioabbaubare Hüllen von Friedhofskerzen verwendete Material auf teilweiser Veresterung von OH-Gruppen zu Zelluloseazetat). Aber auch rein synthetische bioabbaubare Kunststoffe erreichen bislang nicht die Eigenschaften konventioneller Materialien – PCL schmilzt bei nur 60 Grad Celsius, während Polyethylen eine doppelt so hohe Temperatur aushält.

Verschiedenen Arbeitsgruppen, darunter auch unserer, ist es jüngst gelungen, die Abbaubarkeit aliphatischer Polyester mit den hervorragenden Eigenschaften aromatischer Polyester zu verbinden. In den Polymerketten wechseln sich dabei aliphatische und aromatische Esterbindungen statistisch ab. So entstehen bioabbaubare Kunststoffe, deren Eigenschaften denen von Polyethylen vergleichbar sind. Wir konnten auch sicherstellen, dass nicht nur die aliphatischen Komponenten von Enzymen angegriffen, sondern auch alle aromatischen Bereiche der bioabbaubaren aliphatisch-aromatischen Copolyester von den Mikroorganismen verstoffwechselt werden; umweltgefährdende Zwischenprodukte treten dabei nicht auf

Aktuelles Anwendungsziel bioabbaubarer Kunststoffe sind hauptsächlich Produkte mit kurzer Gebrauchsdauer wie etwa Lebensmittelverpackungen oder Hygieneartikel (beispielsweise Wischtücher oder Windeln). Während des Gebrauchs in normaler Umgebung tritt kein nennenswerter Abbau auf. Dieser beginnt erst während der Kompostierung durch die dort vorhandenen Mikroorganismen bei geeigneter Temperatur – die in Heimkompostmieten in der Regel nicht erreicht werden – und optimaler Feuchte. Lohnende Anwendungen bietet auch der Agrarbereich: Bioabbaubare Mulchfolien können einfach untergepflügt werden, Pflanzenschutzmittel lassen sich in Kunststoff einschließen und werden dann langsam während der Vegetationsperiode freigesetzt.

Der nächste Schritt, an dem wir und andere Gruppen arbeiten, sind Kunststoffe, die sich vollkommen in natürliche Stoffkreisläufe einfügen. Dies setzt voraus, dass zukünftig ausschließlich nachwachsende Rohstoffe, etwa Komponenten aus Stärke oder Zucker, ihre Basis bilden, und keine Produkte der Petrochemie mehr verwendet werden.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 2001, Seite 78
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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