Direkt zum Inhalt

Klarere Perspektiven für Forschung und Bildung in der Schweiz

Bemerkenswert strikt drängt der Schweizerische Wissenschaftsrat (SWR) darauf, Forschungs- und Hoschulpolitik der Eidgenossenschaft stärker an künftigen Aufgaben zu orientieren. Unter anderem sollen für die Schweiz neuartige Fachhochschulen die Universitäten ergänzen, diese wiederum sich durch Heranbilden einer Elite profilieren.

Der SWR berät als unabhängiges Gremium den Bundesrat, also die Schweizer Bundesregierung, in allen wissenschafts- und forschungspolitischen Fragen. Seine zwei jüngsten Denkschriften, die er am 20. Januar 1994 in Bern vorstellte, betreffen deutlicher als bisher nicht nur die Konföderation, sondern auch die einzelnen Kantone.

Das Memorandum "Ziele der Forschungspolitik des Bundes: Vorschläge zur Anpassung der Ziele 1996-1999" fordert, Forschungs- und Hochschulförderung besser aufeinander abzustimmen; und die "Zielvorstellungen für die Entwicklung der schweizerischen Hochschulen: Horizont 2000" mahnen ein bildungspolitisches Gesamtkonzept an. Die Kantone sind für die Lehre an den Hochschulen und für die nun vorgeschlagenen Fachhochschulen verantwortlich, die "nicht über den Abbau der Hochschul- und Forschungsförderung des Bundes finanziert werden" dürfen.


Eine neue Ergänzung der Universitäten

Für die Fachhochschulen sollen Beteiligte in den Kantonen und im Bund einen Entwicklungsplan erarbeiten. Ihr Aufbau ist mit einer Reform der Reifeprüfung verbunden: Die allgemeine Maturität nach 12 bis 13 Schuljahren berechtigt zum Besuch der Universität (wo mit vier bis fünf Jahren bis zum Erstabschluß gerechnet wird); wer die Berufsmaturität (durch Schul- und Berufsbildung in ebenfalls 13 Jahren) erwirbt, kann künftig ein dreijähriges Studium an einer der Fachhochschulen beginnen. Diese sollen sich nicht in der Forschung, sondern in der Entwicklung von Anwendungen sowie im Wissens- und Technologietransfer engagieren und kein Promotions-, geschweige denn ein Habiliationsrecht haben. Sie basieren zum Beispiel auf den bisherigen Ingenieur- sowie den höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschulen, der Schule für Gestaltung, Konservatorien, Übersetzungs- und Dolmetscherschulen, aber auch auf Studiengängen wie angewandter Journalistik und Teilen der pädagogischen Ausbildung. Das Lehrangebot mehrerer kantonaler Universitäten enthält nach Meinung des SWR gleichfalls Disziplinen, die der Sache nach Fachhochschul-Studiengänge sind.

Das neue hochschulpolitische Gesamtkonzept sieht außer Regelstudienzeiten mit reformierten Curricula und einer besseren Förderung des Mittelbaus (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1993, Seite 121) vor allem eine verstärkte Profilierung der Universitäten als Forschungsinstitutionen zur Ausbildung einer Elite vor, die der Schweiz internationale Wettbewerbsfähigkeit sichert. Der Bund soll diesen Teil der Hochschulen verstärkt mit projektgebundenen Mitteln fördern.

Damit werden auch aus Deutschland und den USA bekannte Überlegungen angestellt, wo Grundlagenforschung und wo anwendungsorientierte Forschung möglich und nötig sei. Der SWR verlangt dafür ein relativ starres Konzept: Die an Ziele und Programme gebundene "orientierte Forschung", die sowohl auf reinen Erkenntnisgewinn wie auf praktischen Nutzen gerichtet sein könne, sei klarer zu definieren; ihr Anteil an den Fördermitteln des Bundes dürfe 30 bis 35 Prozent nicht übersteigen.


Ziele mit Vorrang

Schon in den bisherigen Programmen seit 1985 hatte der Schweizerische Wissenschaftsrat dringliche Zielbereiche der Forschungsförderung für die nächsten Jahre genannt. Nun werden sie für die Zeit bis zum Jahre 2000 detaillierter und präziser ausgeführt.

Die Sozialwissenschaften stehen bemerkenswerterweise an erster Stelle, denn hier sei ein im internationalen Vergleich offenkundiger Rückstand aufzuholen. Empfehlungen dafür sind ein Schwerpunktprogramm, wie es der Bundesrat bereits 1990 mit Blick auf die langfristige Entwicklung von Forschungsfeldern und -strukturen formuliert hatte, miteinander verbundene, aber kurzfristig angelegte nationale Forschungsprogramme, ein Netzwerk für die Doktorandenausbildung, ein interdisziplinär ausgerichtetes Swiss Institute for Advanced Study in the Social Sciences (SWIASS) sowie Gemeinschaftsprojekte zu aktuellen Themen wie Migration, Europa oder Medien. Finanziert werden soll das durch eine überdurchschnittliche Zunahme der Mittel des Schweizerischen Nationalfonds.

Verstärkt sehen möchte der SWR des weiteren die klinisch-medizinische Forschung. Dafür empfiehlt er ein Impuls- und Aktionsprogramm als dritte Kategorie neben den nationalen Forschungs- und den Schwerpunktprogrammen. Es ist dazu bestimmt, befristet neue Technologiefelder in Ausbildung und Wirtschaft anzuschieben und speziell in der Medizin Organisation und Struktur umzuorientieren (indem zum Beispiel Teams gebildet und die in der klinischen Forschung tätigen Wissenschaftler von Aufgaben der Krankenversorgung und Ausbildung entlastet werden). Ähnliches verfolgt in Deutschland das Programm des Bundesforschungsministeriums für Gruppen und Zentren klinisch-medizinischer Forschung vor allem mit der umstrittenen massiven Förderung der einzelnen Gebiete (Spektrum der Wissenschaft, Juni 1993, Seite 110) – einer Maßnahme, die in der Schweiz für diesen Bereich abgelehnt wird.

Hohe Priorität kommt im Zielbereich "Natur: Schutz der Umwelt" fortan dem schonenderen Umgang mit den Lebensgrundlagen zur Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung zu. Auf der SWR-Agenda stehen Ökosystemforschung, Themen wie Stoff- und Energieflüsse, Strategien und Technologien zur rationellen Ressourcennutzung, Instrumente des Umweltmanagements und auch ökologische Bewußtseins- und Verhaltensbildung.

Ähnlich wie die deutsche Forschungspolitik soll auch die schweizerische im Bereich der technischen Entwicklung verstärkt auf die für die Industrie bedeutsame Mikrosystemtechnik setzen (Spektrum der Wissenschaft, Mai 1992, Seite 98, und Februar 1994, Seite 92). Generell wird Grundlagenforschung in den sogenannten Nanowissenschaften, insbesondere in der Biologie, empfohlen. Verständnis der Menschen für Technik, Innovationsgeist, rascher technischer Wandel sowie neue Formen von Arbeit stehen im Bereich Technik an erster Stelle.

Anlaß zu föderalistischem Streit

Bei der vom SWR verlangten besseren Koordination der Forschungs- und Wissenschaftspolitik dürfte es in nächster Zeit zu erheblichen Auseinandersetzungen zwischen den Kantonen kommen. Denn dort, wo es noch keine Universitäten gibt, sollen möglichst – es sei denn aus staatspolitischen Gründen wie im Tessin oder in Luzern – keine neuen gegründet und Teilhochschulen auch nicht voll ausgebaut werden. Diese Kantone werden auf die neuen Fachhochschulen verwiesen. Zudem ist den Empfehlungen zufolge zwischen den beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Zürich und Lausanne und den kantonalen Hochschulen im Bereich der Lehre ein Entwicklungsgleichgewicht anzustreben.

In zwei zentralen Punkten – Assessment und Geld – entsprechen die Vorschläge des Schweizerischen Wissenschaftsrates denen seines deutschen Pendants und stehen gleichfalls im Gegensatz zur praktizierten Politik: Zum einen mahnt er die seit 1985 in einer Verordnung zum eidgenössischen Forschungsgesetz festgeschriebene Evaluation an (und zwar sowohl im breiten Bereich der Institutionen und Programme als auch zunächst im Detail auf den drei Gebieten Physik, Geisteswissenschaften und Medizin); zum anderen empfiehlt er, für Forschung und Entwicklung im Bundeshaushalt eine um jeweils 3 Prozent höhere Zuwachsrate als für die Bundesausgaben insgesamt vorzusehen (oder, wenn der Etat schrumpft, eine entsprechend geringere Abnahme). Nach der letzten genauen Statistik gab der Bund insgesamt 1,6 Milliarden Franken für Forschung und Entwicklung aus; davon entfiel ein Drittel auf die beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen.

Bei allgemeiner Priorität für die Forschung sollen der Schweizerische Nationalfonds sowie Schwerpunkt- und nationale Forschungsprogramme besonderes Gewicht erhalten, außerdem Kooperationen etwa im Rahmen der Europäischen Union. In anderen Bereichen, deutet der Schweizerische Wissenschaftsrat an, müsse man mit durchschnittlichem oder gar unterdurchschnittlichem Wachstum rechnen; dazu will er sich allerdings jetzt noch nicht im einzelnen äußern.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1994, Seite 113
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.