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Kleben ohne Klebstoff mit Haftkraft

"Wafer-Bonden" verbindet glatte Körper schlicht, aber wirkungsvoll durch Haftkräfte. Ein weiterer Griff in die Zauberkiste von Physik und Chemie, und das Bonden ersetzt sogar Beschichtungsverfahren.

Haftung – ein Alltagsphänomen schickt sich an, in der Mikroelektronik Karriere zu machen. Dass ein Reifen auf der Straße rollt, statt durchzudrehen, verdankt er dem Phänomen der Haftung beziehungsweise Adhäsion. Für eine dauerhafte Verbindung hingegen taugt sie nicht – oder doch?

Was hinter der Haftung steckt überlegte bereits der italienische Naturforscher Galileo Galilei (1564 – 1642). In einem Gedankenexperiment brachte er zwei vollkommen ebene und glatte Marmorplatten zusammen. Gegen jede Trennung, so räsonierte er, träte ein Widerstand auf, so dass die obere Platte die untere trüge, da sonst ein Vakuum zwischen ihnen entstünde. Wirkliche Körper seien aber nicht so ideal, sondern rau und uneben. So verblieben Luftspalten, ein Vakuum müsste sich mithin nicht bilden.

Zwar irrte Galilei hinsichtlich der Bedeutung des Vakuums, doch dass die Rauigkeit der Kontaktflächen zweier Festkörper eine Rolle spielt, bestätigte 1734 Jean-Théophile Desaguliers (1683 – 1744) in seiner Zeit an der Universität London: Je glatter die Körper, desto leichter ließen sie sich aneinander vorbeibewegen – die Reibung zwischen ihnen nähme ab. Doch ab einem Schwellenwert trete genau das Gegenteil auf. Diese Beobachtung machten am Ende des 19. Jahrhunderts auch Handwerker in der noch jungen optischen Industrie: Stücke aus glatt und eben poliertem Glas haften aneinander. Daraus entwickelte sich eine klebstofflose Verbindungstechnik für Präzisionsteile, genannt Ansprengen. Auf diese Weise fixieren Fachkräfte der optischen Industrie beispielsweise Prismen. Nach diesem Prinzip lassen sich aber auch verschiedene Halbleiterkristalle miteinander verbinden und so beispielsweise Beschichtungsverfahren ersetzen. Man spricht dann vom Wafer-Bonding, denn die eingesetzten Materialien liegen meist als dünne Einkristallscheiben vor, Wafer genannt.

Atomgesellschaft mit beschränkter Haftung

Adhäsionskräfte bewirken den Zusammenhalt der glatten Flächen. Unter diesen Sammelbegriff fallen die allgegenwärtigen Van-der-Waals-Kräfte, die der niederländische Physiker Johannes Diderik Van der Waals (1837 – 1923, Physik-Nobelpreis 1910) entdeckt hat. Sie beruhen auf einer schwachen elektrostatischen Anziehung zwischen eigentlich elektrisch neutralen Atomen oder Molekülen; Fluktuationen der Ladungsverteilungen rufen jedoch Dipolmomente hervor und bewirken damit gegenseitige Anziehung.

Deutlich fester halten Wasserstoffbrücken zwischen Wassermolekülen oder Hydroxylgruppen (OH), denn die Ladung innerhalb der Bindung von Sauerstoff und Wasserstoff verschiebt sich, und es entsteht wiederum ein – diesmal stärkeres – Dipolmoment. Dieses Phänomen vermittelt die Haftung zwischen siliziumhaltigen Oberflächen, denn Wasser etwa aus der Umgebungsluft reagiert mit oxidiertem Silizium zu Silanol (Si-O-H). Auf Grund der Hydroxylgruppe zieht es weiteres Wasser an, das einen dünnen Film auf der Oberfläche bildet. Bringt man zwei glatt polierte Silizium-Wafer zusammen, vermittelt dieser Film Wasserstoffbrücken, und die Körper haften aneinander (siehe Seite 84).

Den besten Halt geben aber starke chemische Bindungen; die Atome der für das Wafer-Bonden relevanten Materialien teilen sich dabei äußere Elektronen. Meist bedarf es zusätzlicher Energie etwa in Form von Wärme, um Reaktionsbarrieren zu überwinden. So aktiviert können die chemischen Reaktionen ablaufen. Der „Vorteil“ für die beiden Festkörper – und damit eine wesentliche Triebkraft des Prozesses – ist die Verkleinerung der Gesamtoberfläche und auch der so genannten Oberflächenenergie (siehe Glossar).

Das Wafer-Bonden macht sich alle drei Phänomene zu Nutze, denn weder Van-der-Waals-Kräfte noch Wasserstoffbrücken wären stark genug, um dauerhaft zu halten. Doch wie soll man die Oberflächen aktivieren? Erwärmen kann Probleme bereiten. Entstehen beispielsweise Gase als Produkte der chemischen Reaktion, könnte deren Druck die Verbindung lokal wieder aufbrechen. Bei Kombination verschiedener Materialien kommt eine andere Gefahr hinzu: Dehnen sie sich unterschiedlich unter Er-wärmung, entstehen mechanische Spannungen, die Risse hervorrufen. Und natürlich sind manche Stoffe ohnehin empfindlich gegen hohe Temperaturen.

Ein Gedankenexperiment weist den Weg: Wird ein Siliziumkristall entlang einer Kristallebene gespalten, entstehen nicht nur ideal glatte und ebene Flächen, sie sind auch hochreaktiv. Denn ihren Atomen wurden die Nachbaratome entrissen – sozusagen liegen nun Bindungen offen. Würde man nun zwei solcher aktivierten Kristalle gleichen Materials und gleicher Gitterausrichtung nahe zusammenbringen, müssten sie zu einem Kristall zusammenwachsen, in dem nichts mehr an die früheren Oberflächen erinnert. Fehlte die identische Ausrichtung, bildete sich ein Doppelkristall; die Nahtstelle zwischen beiden Gittern ergäbe eine so genannte Korngrenze (siehe Bild rechts).

In der Natur treten diese Phänomene nicht auf, denn die Oberflächen sind so reaktiv, dass sie ihre freien Bindungen sofort mit Gasmolekülen der Atmosphäre absättigen. Aus diesem Grund bedeckt den Silizium-Einkristall stets eine dünne Haut Siliziumdioxid (die aber Wasser anzieht und so Wasserstoffbrücken ermöglicht). Und selbst wenn es gelänge, jegliche Verunreinigung fern zu halten, werden sich die Atome der Oberfläche umlagern, um einen energetisch günstigeren Zustand einzunehmen. Würde dieser Effekt die Aktivierung zunichte machen?

Computersimulationen verschiedener Halbleiterkristalle mittels Molekulardynamik ergaben: Eine Reaktionsbarriere entstünde nicht. Sofern es also gelingt, jegliche Verunreinigungen von der Oberfläche fern zu halten, eignet sich dieser Ansatz, um schon bei Zimmertemperatur Silizium, Germanium, Galliumarsenid, Gallium- oder Indiumphosphid kovalent zu verbinden.

Wie sieht nun die Praxis aus? Die Siliziumdioxidschicht haben wir mit wässriger Flusssäurelösung abgeätzt. An das verbleibende Silizium sind jetzt

Wasserstoffatome gebunden, und die Oberfläche vermag kein Wasser mehr anzuziehen. Nach dieser Vorreinigung bringen wir die Wafer in ein Ultrahochvakuum und entfernen die Wasserstoffbedeckung beispielsweise durch Erhitzen auf etwa 500 Grad Celsius – die Oberflächen sind nun hochreaktiv. III-V-Verbindungshalbleiter wie Galliumarsenid oder Indiumphosphid erfordern weitere Schritte, denn die Komponenten verdampfen unterschiedlich leicht. Weltweit testen Forscher auch andere Verfahren, die passivierende Oxidschicht abzutragen. So nutzen japanische Kollegen dazu Ionenstrahlen; diese greifen allerdings auch oberflächennahe Kristallstrukturen an und verändern so mitunter elektrische wie auch optische Eigenschaften.

Mittlerweile dient das „klebstofflose Kleben“ zur kommerziellen Fertigung von Beschleunigungssensoren, bei denen es auf höchste Präzision ankommt.

Wafer-Bonden ermöglicht, auch unterschiedliche Materialien mit verschiedenen Kristallstrukturen zu kombinieren und kann sogar Beschichtungsverfahren ersetzen. Das eröffnet insbesondere Anwendungen bei besonders schnellen und Energie sparenden Schaltkreisen in Siliziumtechnik. Die meist nur etwa 100 Nanometer (millionstel Millimeter) dicke, elektrisch tatsächlich genutzte Siliziumschicht sollte nämlich vom Trägermaterial, dem Substrat, elektrisch isoliert sein (ansonsten bilden die verschiedenen Materialien Kondensatorschichten, deren beständiges Umladen Zeit kostet). Bislang gibt es dafür aber kein etabliertes Verfahren. Eine Möglichkeit ist, das aktive Silizium epitaktisch, das heißt aus gasförmigen Vorläufersubstanzen, auf Saphir als Isolator abzuscheiden. Die beiden Gitter passen aber nicht richtig aufeinander und verändern sich bei Erwärmen unterschiedlich. Versetzungen und andere Defekte in der Silizium-Epitaxieschicht sind die Folge, das Verfahren fristet ein Nischendasein in der Fertigung strahlungsresistenter Schal-tungen.

Ein optimales Silicon-on-insulator-Verfahren, das sich in den etablierten Fertigungsprozess der Halbleiterindustrie problemlos einfügt, sollte vollständig auf Silizium basieren: Die aktive Schicht wird dabei durch eine „vergrabene“ Lage amorphen Siliziumdioxids vom Silizium-Träger elektrisch isoliert. Eine bereits kommerziell genutzte Methode ist der Beschuss des Halbleiters mit Sauerstoff-Ionen, eine andere das Wafer-Bonden: Zwei Silizium-Scheiben, deren Oberflächen jeweils eine mehrere hundert Nanometer dicke Lage des Oxids tragen, werden in der beschriebenen Weise fest verbunden, anschließend eine von beiden bis auf die gewünschte Stärke der aktiven Schicht wieder abgetragen.

Eine besonders elegante Art und Weise, dies zu bewerkstelligen, ließ sich Michel Bruel vom Forschungsinstitut LETI-CEA in Grenoble (Frankreich) einfallen: Vor dem Bonden implantierte er durch Ionenbeschuss Wasserstoff in einer bestimmten Tiefe der Platte. Silizium-Silizium-Bindungen werden gebrochen, es entstehen lokale Oberflächen von Siliziumwasserstoff die nur noch durch Van-der-Waals-Kräfte verbunden sind. Beim Aufheizen bilden sich mikroskopische Risse, die mehr und mehr Wasserstoff ansammeln, bis schließlich der Gasdruck die behandelte Platte spaltet. Eigentlich ist dieses Phänomen als eine Ursache für die Korrosion von Reaktorstählen bekannt.

Schnelle Leuchtdioden für den Massenmarkt

Bruel gelang es also, einen Mangel in eine Präzisionsschneidetechnik umzusetzen, und damit von einer im Durchmesser 300 Millimeter großen Siliziumplatte gleichmäßig eine nur 200 Nanometer dicke Schicht abzutrennen. Der dicke Rest lässt sich überdies wieder als Trägermaterial verwenden. Die französische Firma Soitec hat auf diese Weise schon viele tausend Substrate hergestellt und erwartet, künftig mehr als eine Million davon pro Jahr zu fertigen. Firmen wie IBM oder Philips sind vor Kurzem in die Silicon-on-insulator-Methode eingestiegen, denn jetzt steht taugliches Material zur Verfügung, und SOI wird für Massenanwendungen erprobt. Philips etwa entwickelte bereits entsprechende „Schalter“ für Leuchtstoffröhren, die 650 V aushalten. IBM möchte beispielsweise SOI-Chips für mobile Anwendungen fertigen, weil deren geringerer Energieverbrauch längeres Arbeiten mit einer Batterieladung erlaubt.

Eine andere Anwendung der Bond-Technik hat bereits wirtschaftliche Bedeutung erlangt: die rote Leuchtdiode. Sie dient mittlerweile nicht nur als Funktionsanzeige in elektrischen Geräten aller Art, sondern ist auch in Ampeln und Rücklichtern hochpreisiger Automobile zu finden. Die Licht erzeugende Schicht besteht meist aus einer vierkomponentigen Halbleiter-Legierung. Diese entsteht aus gasförmigen Vorläufersubstanzen und schlägt sich auf einem Substrat nieder. Damit die Legierung spannungsfrei aufwachsen kann, muss ihr Kristallgitter mit dem des Trägers gut übereinstimmen, nicht eng- und nicht weitmaschiger sein. Deshalb hat sich hier Galliumarsenid etabliert, obwohl es einen großen Nachteil hat – es ist undurchsichtig und absorbiert fast alles Licht, das die aktive Schicht in seine Richtung aussendet.

Forscher des Bereichs Optoelektronik von Hewlett-Packard in San José (Kalifornien) kamen nun auf den Gedanken, dass nach dem erfolgreichen Aufwachsen die Gitterstruktur des Substrats gar keine Rolle mehr spielt, der Träger mithin austauschbar ist. Sie ersetzten Galliumarsenid mittels Wafer-Bonding durch einen Galliumphosphidkristall, der in ähnlicher Weise Wärme und Strom leitet, aber zudem transparent ist. Allerdings verwendeten sie zur Oberflächenaktivierung nicht die beschriebene Bondtechnik bei Raumtemperatur und im Ultrahochvakuum, sondern arbeiteten mit hohen Temperaturen und mechanischem Druck, um die chemischen Bindungen zu erzwingen. Die Wissenschaftler erhielten Dioden, die heller als gewöhnliche Glühlampen sind. Da solche Bau-teile zudem etwa zehn Mal so lange halten wie Glühlampen, nämlich mehr als 100000 Betriebsstunden, würden sie beispielsweise den Betrieb von Verkehrs-ampeln deutlich verbilligen; in den USA sammelt man derzeit erste Erfahrungen. Zudem sprechen Leuchtdioden schneller an als Glühbirnen, sie eignen sich deshalb für den Einsatz in Bremslichtern; zum Beispiel stattet der Automobilhersteller Maserati neueste Produkte damit aus.

Das Bonden im Ultrahochvakuum ist eine noch neue Technik, und offene Fragen gibt es ebenso wie noch unerforschte Anwendungsmöglichkeiten. Wie lassen sich die elektronischen Eigenschaften der Grenzflächen zwischen den gebondeten Werkstoffen gezielt einstellen? Gelingt es mit dieser Technik, Halbleiter und Metalle zu verbinden, ohne dass diese Silicide bilden? In der Entwicklung schneller magnetischer Datenspeicher spielen solche Fragen eine große Rolle. Auf der Suche nach einer Alternative zum Silizium als Halbleiter untersuchen einige Forscher den Diamant, da er sehr viel wärmestabiler ist und äußerst positive elektronische Eigenschaften aufweist. In unserem Institut versuchen wir deshalb, durch Bonden in Kombination mit der Epitaxie großflächige, einkristalline Diamantschichten zu erzeugen. Ob solche Diamant-Wafer tatsächlich herstellbar sind, lässt sich derzeit aber noch nicht sagen:


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2000, Seite 83
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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