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Kleinste mechanische Elemente für die monolithische Integration in Mikrosystemen


Als wir vor einigen Jahren von einer Firma beauftragt wurden, ein integriertes Sensorsystem zur Messung von Druck und Temperatur in Blutgefäßen zu entwickeln, mußten wir eine geeignete Fertigungstechnik auswählen. Die Breite des Chips war mit lediglich 0,7 Millimetern vorgegeben; spätere Modelle sollten noch kleiner sein. Um die Anzahl der Zuleitungen zu minimieren und die Störsicherheit zu erhöhen, sollte die Signalverarbeitung direkt auf dem Sensor-Chip erfolgen; wegen der geforderten geringen Stromaufnahme mußten CMOS-Schaltkreise eingesetzt werden, die sich durch besonders niedrigen Leistungsbedarf auszeichnen, und weil das Sensorsystem in einem Produkt zu einmaligem Gebrauch eingesetzt werden sollte, hatte das Herstellungsverfahren zudem kostengünstig zu sein.

Wir entschieden uns für die Mikromechanik, also die Herstellung sehr kleiner räumlicher Strukturen mit den Verfahren der Mikroelektronik wie Lithographie, chemischem und physikalischem Abscheiden sowie Ätzen. Da diese Techniken insbesondere zur Bearbeitung von Silicium entwickelt worden sind, greift man auch in der Mikromechanik bevorzugt auf diesen Werkstoff zurück.

Zum damaligen Zeitpunkt wurde allerdings fast ausschließlich die sogenannte Bulk-Mikromechanik eingesetzt, bei der man den Wafer – die Siliciumscheibe, auf der viele Chips gleichzeitig bearbeitet werden – mit anisotropem Ätzen in die Tiefe strukturiert, erforderlichenfalls über die gesamte Dicke des Wafers und auch von dessen Rückseite aus. Mit dieser Technik lassen sich dünne Silicium-Membranen erzeugen, auf denen man verbiegungsempfindliche Widerstände aufbringt (Bild 1). Weil aber infolge des Ätzens die Wände der Strukturen nicht völlig senkrecht, sondern leicht geneigt sind, lassen sich Drucksensor-Elemente in dieser Technik nicht beliebig verkleinern. Eine Chip-Breite von 0,7 Millimeter oder kleiner wäre so kaum zu realisieren gewesen. Auch verwendet die Bulk-Mikromechanik verschiedene Prozesse, die man nur sehr umständlich in einen Standard-CMOS-Prozeß integrieren kann.

Ein anderes Verfahren zur Herstellung mechanischer Strukturen auf Silicium, das wesentlich besser zum Standard-CMOS-Prozeß paßt, stellten 1984 Henry Guckel und D.W. Burns von der Universität von Wisconsin in Madison vor. In dieser Technik, die man heute als Oberflächenmikromechanik bezeichnet, wird der Silicium-Wafer wie in der Mikroelektronik nur an der Oberfläche bearbeitet. Es entstehen dabei flächenhafte Strukturen mit einer Dicke von maximal einigen Mikrometern.

Während die Bulk-Mikromechanik an einigen Stellen besondere Prozesse erfordert, die nicht Bestandteil der Fertigungstechnologie für integrierte Schaltungen sind, beruht die Oberflächenmikromechanik fast ausschließlich auf Standardverfahren. Wir hielten darum diese Technik für besonders geeignet, für unseren Zweck kapazitive Drucksensoren mit kleinsten Abmessungen herzustellen.

In einem ersten Schritt erzeugt man mittels Ionenimplantation ein hochleitendes, n-dotiertes Gebiet auf dem Silicium-Substrat (Bild 2). Nach dem Abscheiden einer Isolatorschicht bringt man auf den Wafer eine weitere ganzflächige Schicht aus einem Opfermaterial – in diesem Falle Siliciumdioxid – auf und strukturiert sie. Die Dicke der Opferschicht bestimmt den späteren Abstand der freitragenden Struktur von der Wafer-Oberfläche. Anschließend wird eine zweite, dünnere Oxidschicht abgeschieden und strukturiert; sie definiert Ätzkanäle, die man später benötigt, um die Opferschicht wieder zu entfernen. Als nächstes bringt man polykristallines Silicium für die freitragenden Elemente auf und strukturiert es mit einer Phototechnik. Das Opfermaterial unter der Struktur löst man schließlich mit einer ätzenden Flüssigkeit selektiv heraus und verschließt die Ätzkanäle.

Die so erzeugte Membran und das n-dotierte Substrat bilden einen Plattenkondensator. Ein Druck auf die Membran ändert ihren Abstand zum Substrat und damit auch die Kapazität des Kondensators. Der Meßbereich hängt von der Dicke und vom Durchmesser der Membran ab. Um die Empfindlichkeit des Sensors zu erhöhen, lassen sich mehrere Elemente zur Verstärkung des Ausgangssignals parallel zusammenschalten (Bild 4).

Der Drucksensor mußte dann noch mit einer Auswerteschaltung und einem Temperatursensor auf demselben Chip integriert werden, was aufgrund der hohen Kompatibilität der Herstellungsverfahren ohne weiteres möglich war (Bild 3). Das Mikrosystem ist für den Einbau in Venen- und Arterienkatheter vorgesehen, die derzeit klinisch erprobt werden.

Inzwischen haben verschiedene Firmen monolithisch und hybrid integrierte Sensoren vorgestellt, die mit den Verfahren der Oberflächenmikromechanik gefertigt werden. Es ist zu erwarten, daß solche Sensorsysteme künftig weiter an Bedeutung gewinnen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1994, Seite 106
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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