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Klima und Vulkanismus auf der Venus

Das Klima der Venus hat sich wie das der Erde mit der Zeit stark verändert – Ergebnis jüngst erkannter Zusammenhänge zwischen geologischen Aktivitäten und atmosphärischen Schwankungen.


Erde und Venus sind gemeinsam aus einem großen präsolaren Sternennebel entstanden. Sie waren annähernd gleich groß und ähnlich zusammengesetzt. Dennoch entwickelten sie sich zu völlig unterschiedlichen Welten. Auf der Oberfläche des Schwesterplaneten der Erde herrscht eine Temperatur von etwa 460 Grad Celsius. Ein Besucher von der Erde, der das Pech hätte, auf der Venus zu landen, würde bei dieser Hitze das Gestein glühen sehen.

Aufgeheizt wird die Gashülle der Venus durch einen nachhaltigen Treibhauseffekt. Kohlendioxid, ihr wichtigster Bestandteil, wirkt als Treibhausgas. Flüssiges Wasser gibt es nicht. Der Luftdruck an der Oberfläche übertrifft den auf der Erde um das Hundertfache; in vieler Hinsicht ähnelt die Atmosphäre der Venus eher einem Ozean als einer Gashülle. Eine Mischung aus gasförmigen Schwefelverbindungen liefert zusammen mit geringen Spuren von Wasserdampf Nachschub für die um den Planeten zirkulierenden Wolken aus Schwefelsäure.

Dieses eindrucksvolle Szenario übermittelte uns eine Armada von 22 unbemannten Raumsonden, die in den vergangenen 37 Jahren die Venus photographierten, abtasteten, analysierten oder auf ihr landeten. Die meiste Zeit über verhinderten jedoch die dichten Wolken der Venus eine vollständige Erkundung ihrer Oberfläche. Unser Wissen über die Venus war auch dadurch behindert, daß wenig über Prozesse wie Vulkanismus oder Tektonik bekannt war, die dort stattgefunden haben könnten.

Durch die amerikanische Magellan-Raumsonde änderte sich die Situation dramatisch. Zwischen 1990 und 1994 kartierte der Venus-Orbiter die gesamte Oberfläche des Planeten mit hoher Auflösung, indem er mit Radarwellen durch die Wolken spähte (siehe "Ein scharfes Porträt der Venus" von R. Stephen Saunders, Spektrum der Wissenschaft, Februar 1991, S. 76). Magellan enthüllte einen Planeten, auf dem in der Vergangenheit massive Vulkanausbrüche stattgefunden hatten und der fast sicher auch heute noch vulkanisch aktiv ist.

Bei dieser Erkundung der geologischen Geschichte der Venus haben Planetologen versucht, die Klimageschichte des Planeten für die vergangene Milliarde Jahre zu rekonstruieren. Mit Hilfe detaillierter Computersimulationen erkannten sie, daß ein intensiver Vulkanismus großräumige klimatische Veränderungen ausgelöst haben muß. Die Venus besitzt, wie die Erde, aber im Gegensatz zu allen anderen bekannten Planeten, auch heute noch ein komplexes, sich weiterentwickelndes Klima.

Auf dem Mars, dem anderen Nachbarn der Erde, hat sich das Klima ebenfalls dramatisch gewandelt (siehe "Die Klimageschichte des Mars" von Jeffrey S. Kargel und Robert G. Strom, Spektrum der Wissenschaft, Januar 1997, S. 50). Dessen heutige Atmosphäre ist vor allem ein Relikt seiner geologischen Vergangenheit. Für einen aktiven Vulkanismus ist das Innere des Mars zu kalt, so daß auch seine Oberfläche in tiefgekühltem Zustand verharrt. Zwar können Veränderungen der Marsbahn oder seiner Eigenrotation klimatische Veränderungen hervorrufen. Doch Vulkanismus wird dabei keine Rolle spielen. Erde und Venus hingegen besitzen Klimata, die durch ein dynamisches Wechselspiel zwischen geologischen und atmosphärischen Prozessen gestaltet werden.

Aus unserer Perspektive als Nachbarn der Venus im Sonnensystem ist der Gedanke ernüchternd, wie Kräfte, die denen auf der Erde so sehr ähneln, auf der Venus zu einer so unterschiedlichen Entwicklung führen konnten. Die Untersuchung dieses Planeten hat – ähnlich wie beim Mars – die Klimaforschung über das singuläre Beispiel der Erde hinaus erweitert und die Wissenschaftler zu drängenden Fragen geführt: Wie einzigartig ist das Klima der Erde? Wie stabil ist es? Wie groß ist der Einfluß der Menschheit?

Die menschliche Zivilisation ist in ein riesiges, unkontrolliertes Klimaexperiment verstrickt, das durch eine technologische Gesellschaft in Gang gesetzt wurde. Aus einer kritischen Beurteilung der Klimaentwicklung auf anderen Planeten können wir lernen, wie auf der Erde natürliche Kräfte im Gegensatz zu anthropogenen das Klima verändern. Ein Beispiel: Lange bevor das Ozonloch zum Tagesgespräch wurde, versuchten Forscher bereits die exotische Photochemie der oberen Atmosphäre der Venus zu begreifen. Dabei fanden sie heraus, daß Chlor die Konzentration freien Sauerstoffs über den Wolken des Nachbarplaneten verringert. Die Aufklärung dieses Vorgangs für die Venus half bei der Aufklärung eines analogen Prozesses auf der Erde, wobei Chlor aus künstlichen Quellen das Ozon in der Stratosphäre zerstört.

Das Klima der Erde wandelt sich – unter anderem auch deshalb, weil ihre Atmosphäre ständig Gase austauscht: zwischen der Erdkruste, dem Mantel, den Ozeanen, den Polkappen und dem Weltraum. Auch beeinflußt die geothermische Energie, ansonsten die Antriebskraft geologischer Prozesse, die Entwicklung der Atmosphäre. Geothermische Energie wird frei, wenn im Erdinneren radioaktive Elemente zerfallen. Bei allen festen Planeten gibt es ganz bestimmte Wege, auf denen die Wärme aus dem Körperinneren nach draußen dringt. Vor allem geschieht dies durch Vulkanismus und Plattentektonik.

Das Erdinnere kühlt sich vorwiegend durch ein plattentektonisches Förderband-System ab: In einem Kreislauf werden ständig Gase umgewälzt; dadurch wird das Erdklima stabilisiert (siehe Kasten auf S. 45). Vulkane pumpen Gase in die Atmosphäre, danach werden sie durch die Plattentektonik wieder ins Erdinnere zurücktransportiert. Die meisten Vulkane stehen in Beziehung zur Plattentektonik, doch einige der größten Vulkangebilde der Erde (wie die Hawaii-Inseln) haben sich unabhängig von Plattengrenzen über "hot spots", "heißen Flecken", gebildet. In der Vergangenheit entstanden großflächige vulkanische Gebiete – Regionen intensiver Eruptionstätigkeit, vermutlich durch enorme Magmapilze ("plumes") hervorgebracht, die kaminartig aus dem darunterliegenden Erdmantel aufsteigen und sich nahe der Erdoberfläche pilzförmig verbreitern. Solche Gebiete stießen vermutlich enorme Gasmengen aus, denen Phasen globaler Erwärmung folgten (siehe "Große Eruptivprovinzen" von Millard F. Coffin und Olav Eldholm, Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1993, S. 58).

Wie steht es nun mit der Venus? Vor der Magellan-Mission blieb die geologische Geschichte des Planeten weitgehend Spekulation, allenfalls gestützt auf Vergleiche mit der Erde oder Extrapolationen, die Verwandtschaften in der Zusammensetzung und geothermischen Wärmeproduktion unterstellten. Doch nun entsteht allmählich ein umfassendes Bild von der Geschichte der Venusoberfläche. Direkte Hinweise auf Plattentektonik hat Magellan nicht entdeckt, höchstens in begrenztem Umfang. Wärme könnte in relativ junger Vergangenheit durch ausströmende basaltische Lava abgegeben worden sein, später nochmals durch Vulkane, die auf den Lavaplateaus emporwuchsen. Am Anfang jeder Diskussion über das Venusklima steht vor allem die Frage, wie sich die Vulkanausbrüche auf das Klima auswirkten.

Interessanterweise sind auf den Magellan-Radarbildern von der Venus nur wenige Einschlagkrater zu sehen. Zwar kann die dichte Atmosphäre den Planeten vor kleineren Geschossen aus dem All schützen. Sie stoppt die meisten Meteoriten, die weniger als ein Kilometer im Durchmesser haben und die – bei ungebremstem Einschlag – Krater von bis zu 15 Kilometern Durchmesser schaffen würden. Doch fehlte auf der Venus auch jede Spur von größeren Kratern. Beobachtungen der Häufigkeit von Asteroiden und Kometen im inneren Sonnensystem sowie Kraterzählungen auf dem Mond liefern eine ungefähre Vorstellung davon, wie häufig die Venus Einschlagkrater gesammelt haben müßte: etwa 1,2 Krater pro Jahrmillion. Doch Magellan registrierte nach letzter Zählung lediglich 963 Krater, die offenbar zufällig über die Oberfläche verteilt sind. Aus irgendeinem Grund sind die Einschläge aus den ersten 3,7 Milliarden Jahren von der Oberfläche des Planeten verschwunden.

Einen Mangel an Kratern gibt es allerdings auch auf der Erde, wo alte Krater durch Wind und Wasser erodiert werden. Einschlagstrukturen auf der Erde finden sich in mannigfachen Stadien der Veränderung: von der fast unberührten Schüssel des Meteorkraters in Arizona bis hin zu den kaum noch auszumachenden Umrissen verschütteter präkambrischer Einschlagkrater in der ältesten kontinentalen Kruste. Doch auf der Venus ist es viel zu heiß, als daß es dort flüssiges Wasser geben könnte, und die Winde an der Oberfläche wehen nur schwach. Erosion hat dort also kaum eine Rolle gespielt. So bleiben als wichtigste Prozesse, die zur Veränderung oder zum Verschwinden von Einschlagkratern führten, vulkanische und tektonische Aktivitäten.

Paradoxerweise wirken die meisten Krater der Venus relativ frisch: Nur bei 6 Prozent hat Lava die Ränder überströmt, und nur 12 Prozent der jungen Krater wurden durch Faltung oder Brüche zerstört. Was also passierte mit all den alten Kratern, wenn die meisten der übriggebliebenen unverändert sind? Falls sie von Lava zugedeckt wurden, warum sehen wir dann nicht mehr Krater, die nur teilweise mit Lava bedeckt sind? Wie konnten sie verschwinden, wenn gleichzeitig ihre ursprüngliche zufällige Verteilung erhalten blieb?

Einige Forscher ziehen aus der zufälligen Verteilung der beobachteten Krater und den wenigen, teilweise deformierten Gebilden nur einen Schluß: Vor etwa 800 Millionen Jahren löschte ein geologisches Ereignis von globalem Ausmaß plötzlich alle alten Krater aus. In diesem Szenario, 1992 präsentiert durch die Planetologen Gerald G. Schaber vom U.S. Geological Survey (USGS) und Robert G. Strom von der Universität Arizona, wurde nach dieser Katastrophe die erneuerte Venusoberfläche ständig von Meteoriten bombardiert.

Doch die Vorstellung, ein ganzer Planet sei sozusagen mit einem Schlag zugepflastert worden, mißfällt vielen Geologen. Auf der Erde gibt es dafür kein vergleichbares Beispiel. Daher stellte Roger J. Phillips von der Universität Washington noch im selben Jahr ein alternatives Modell vor, das unter dem Begriff "equilibrium resurfacing" (ständige Erneuerung der Oberfläche) bekannt wurde. Phillips nimmt an, daß geologische Prozesse in kleinen Gebieten ständig Krater einebneten, während insgesamt die globale zufällige Verteilung erhalten blieb. Ein Problem dieses Modells ist jedoch, daß einige geologische Oberflächenformationen auf der Venus riesige Gebiete umspannen. Geologische Prozesse allein konnten die Krater nicht überall gleich sauber und zufällig verteilt auslöschen.

Diese zwei konträren Sichtweisen lösten einen klassischen wissenschaftlichen Streit aus, während immer mehr Magellan-Daten die Erde und ihre Forscher erreichten. Die Wahrheit, so läßt sich rückblickend sagen, liegt vermutlich in der Mitte. Elemente beider Modelle wurden in die heute gängige Inter-pretation der letzten Jahrmilliarde der geologischen Geschichte der Venus aufgenommen: Vor 800 Millionen Jahren löschte ein globaler Vulkanismus die meisten der älteren Einschlagkrater aus und bildete die ausgedehnten vulkanischen Plateaus. Danach hielt eine verminderte vulkanische Aktivität an – bis zum heutigen Tag.

Niemand bezweifelt, daß Vulkanismus eine wesentliche Kraft bei der Formung der Venusoberfläche war. Dennoch war es bis vor kurzem nicht gelungen, einige rätselhafte geologische Formationen in ein einheitliches Bild von der Entwicklung des Planeten zu integrieren. Einige dieser Gebilde lassen vermuten, daß sich nicht nur die Venusoberfläche, sondern auch das Klima des Planeten drastisch verändert haben könnte.

Zum einen erinnern verschiedene auffällige Linien an Oberflächenstrukturen, wie sie bei uns nur durch flüssiges Wasser geschaffen wurden – bis zu 7000 Kilometer lang, ähnlich Flußmäandern oder Überschwemmungsebenen. Viele dieser seltsamen Formationen enden in Kanalsystemen, die wie Flußdeltas aussehen. Aufgrund der extremen Trockenheit der Venus glaubt niemand ernstlich, daß hier Wasser im Spiele war. Aber was war es dann? Vielleicht, so meinen jedenfalls die Planetologen, strömten dort einst flüssige Salze: Calciumcarbonate oder Calciumsulfate.

Die Venusoberfläche steht ständig im Austausch mit einer dichten Atmosphäre aus Kohlendioxid und Schwefelgasen. Von daher besteht an solchen Salzen keinerlei Mangel. Tatsächlich hatten schon die 1975 auf der Venus gelandeten sowjetischen Venera-Sonden registriert, daß die Oberflächengesteine bis zu 10 Prozent Calciummineralien (fast sicher: Carbonate) und bis zu 5 Prozent Sulfate enthalten.

Laven, die mit diesen Salzen befrachtet sind, schmelzen erst bei Temperaturen, die einige Dutzend bis Hunderte Grad oberhalb der heutigen Hitzegrade auf der Venus liegen. Jeffrey S. Kargel vom USGS und seine Mitarbeiter vermuten, daß einige hundert Meter bis mehrere Kilometer tief unter der Oberfläche riesige Reservoire von geschmolzenem, carbonatischen (salzreichen) Magma – ähnlich den Aquiferen auf der Erde – vorhanden sein könnten. Falls es auf der Venus früher noch heißer war, könnten solche salzreichen flüssigen Laven zur Oberfläche aufgestiegen sein und die heute sichtbaren Formationen geschaffen haben.



Zerbrechliche Schokoladenhaut


Zum zweiten deuten die mysteriösen Tesserae – die ältesten Gebiete auf der Venus – ebenfalls auf höhere Temperaturen in der Vergangenheit. Diese stark gefalteten Landschaften liegen inmitten kontinentähnlicher Plateaus, die sich mehrere Kilometer über die Lavafelder des venusianischen Flachlandes erheben. Phillips und von Vicki L. Hansen von der Southern Methodist University in Dallas (Texas) haben diese Gebilde näher analysiert. Danach könnten sich die Plateaus durch eine Dehnung der Lithosphäre (der festen Planetenhülle, bestehend aus Kruste und oberem Mantel) gebildet haben. Dies ähnelt dem Vorgang, wenn ein Bonbon mit einer zähen Karamelmasse und einem dünnen, zerbrechlichen Schokoladenüberzug auseinandergezogen wird. Heute ist der äußere, spröde Teil der Venus-Lithosphäre zu dick, um sich so zu verhalten. Zur Entstehungszeit der Tesserae muß die Planetenhülle dünner gewesen sein, was bedeutet, daß die Oberfläche damals deutlich wärmer war.

Zum dritten überziehen Risse und Falten den gesamten Planeten. Zumindest einige dieser Muster, speziell die "Runzeln" ("wrinkled ridges"), dürften in einem Bezug zu zeitweisen Klimaschwankungen stehen. Sean C. Solomon von der Carnegie Institution in Washington und wir nehmen an, daß die Ebenen Relikte global miteinander verbundener Verformungsphasen darstellen, die in kurzen Intervallen der geologischen Geschichte stattgefunden haben könnten. Mit anderen Worten: Die gesamte Lithosphäre scheint jeweils gleichzeitig gedehnt oder zusammengepreßt worden zu sein.

Ein Mechanismus im Inneren des Planeten, der dies bewerkstelligen könnte, ist jedoch nur schwer vorstellbar. Aber wie steht es mit einer globalen Klimaänderung? Solomon hat ausgerechnet, daß eine Schwankung der Oberflächentemperatur um 100 Grad Celsius den Druck in der Lithosphäre um 1000 Bar erhöht hätte – vergleichbar mit den Spannungen, die auf der Erde zur Bildung von Gebirgsgürteln führten. Solch ein Druck würde ausreichen, um auch die Oberfläche der Venus in der beobachteten Weise zu deformieren.

Während noch die Debatte über die jüngere geologische Geschichte der Venus tobte, arbeiteten wir an einem detaillierten Modell ihrer Atmosphäre. Uns war klar, daß die lebensfeindlichen, extremen Bedingungen durch die gegensätzlichen Eigenschaften der Bestandteile der Venus-Atmosphäre aufrechterhalten werden. Wasserdampf absorbiert selbst als Spurengas infrarote Strahlung bestimmter Wellenlängen, die Kohlendioxid nicht absorbieren kann. Schwefeldioxid und andere Schwefelgase blockieren weitere infrarote Wellenlängen (siehe Grafik im Kasten rechts). Gemeinsam machen diese Treibhausgase die Atmosphäre der Venus teilweise durchlässig für ankommende Sonnenstrahlung, jedoch vollkommen undurchlässig für abgehende Wärmestrahlung. Deshalb ist die Oberflächentemperatur (gemessen in Grad Kelvin) dreimal so hoch wie ohne diese Atmosphäre. Zum Vergleich: Auf der Erde steigert der Treibhauseffekt die Oberflächentemperatur nur um etwa 15 Prozent.

Falls wirklich vor 800 Millionen Jahren Vulkane die Venus-Oberfläche zupflasterten, dürften diese kurzfristig auch Treibhausgase in großen Mengen ausgestoßen haben. Konservativ geschätzt, ergoß sich genügend Lava, um den Planeten mit einer bis zu zehn Kilometer mächtigen Schicht zu bedecken. In diesem Fall hätte sich der Anteil von Kohlendioxid in der Atmosphäre kaum verändert – dieser war ohnehin schon recht hoch. Doch die Wasserdampf- und Schwefeldioxidmengen würden bei diesem Ereignis auf das Zehn- bis Hundertfache angestiegen sein. Gepackt von den möglichen Folgen, entwickelten wir ein Klimamodell für die Venus als ein vernetztes System verschiedener Prozesse:

- Austritt vulkanischer Gase,

- Bildung von Wolken,

- Verlust von Wasserstoff in den Weltraum,

- Reaktionen atmosphärischer Gase mit Oberflächenmineralien.

Die Interaktion dieser Prozesse kann schleichend gewesen ein. Obwohl Kohlendioxid, Wasserdampf und Schwefeldioxid allesamt zur Erwärmung der Atmosphäre beitragen, lösen letztere auch einen gegenteiligen Effekt aus: die Bildung von Wolken. Höhere Anteile von Wasserdampf und Schwefeldioxid würden nicht nur den Treibhauseffekt steigern, sondern zugleich auch die Wolkendecke vergrößern, die das Sonnenlicht zurück in den Weltraum reflektiert und den Planeten abkühlt. Wegen dieser konkurrierenden Effekte ist bisher nicht geklärt, welche Auswirkungen beide Gase auf das Klima hatten.

Unsere Computersimulationen deuten darauf hin, daß sich zunächst die Wolken durchsetzten, so daß sich die Oberfläche um etwa 100 Grad Celsius abkühlte. Doch dann lösten sich die Wolken allmählich wieder auf. Wasser drang in höhere Schichten der Atmosphäre vor, wo es durch Sonnenstrahlung zersetzt wurde. Langsam entwich der Wasserstoff in den Weltraum; die Hälfte des Gases ging so innerhalb von 200 Millionen Jahren verloren. Unterdessen reagierte das atmosphärische Schwefeldioxid mit den Kalkgesteinen der Oberfläche. Wie Laborexperimente von Bruce Fegley Jr. und seinen Mitarbeitern von der Washington-Universität zeigten, wird Schwefeldioxid aus der Venus-Atmosphäre von Carbonaten viel schneller aufgenommen, als Wasser in den Weltraum entweicht.

Als sich die Wolken ausdünnten, traf mehr Sonnenenergie auf die Oberfläche und erwärmte diese. Nach rund 200 Millionen Jahren waren die Temperaturen dann so weit angestiegen, daß die Wolken nach und nach von unten her verdunsteten. Dies löste einen "positiven Rückkopplungseffekt" aus: Je dünner die Wolkendecke wurde, um so weniger Sonnenlicht reflektierte sie. Die Folge: Die Oberfläche heizte sich weiter auf, was nun verstärkt die Wolken von unten her verdunstete – und so fort. Rasch löste sich die großflächige Wolkendecke auf.

Rund 400 Millionen Jahre lang war alles, was von ihnen verblieb, ein dünner, hoher Wolkenschleier, der vorwiegend Wasser enthielt. Die Oberflächentemperatur lag um 100 Grad Celsius höher als heute. Denn noch immer war reichlich Wasserdampf in der Atmosphäre, so daß die Wolken weiterhin zum Treibhauseffekt beitrugen, ohne viel Sonnenenergie zu reflektieren. Rund 600 Millionen Jahre nach dem Einsetzen des globalen Vulkanismus endet nach unserem Modell dieser Prozeß. Sofern bis dahin die meisten Vulkane erloschen waren, verschwanden zu dieser Zeit die letzten Wolken.

Da Schwefeldioxid und Wasserdampf fortwährend verloren gehen, ist anhaltender Vulkanismus für die weitere Existenz von Wolken notwendig. Um die dichten Wolken aufrechtzuerhalten, die heute die Venus umhüllen, muß es nach unseren Simulationsrechnungen während der letzten 30 Millionen Jahre aktive Vulkane gegeben haben. Die Vorgänge im Inneren des Planeten, die den Vulkanismus an der Oberfläche hervorbringen, finden über Zeiträume von einigen Dutzend Millionen Jahren hinweg statt. Daher gibt es wahrscheinlich auch heute noch aktive Vulkane auf der Venus.

Dieses Ergebnis paßt zu Beobachtungen wechselnder Mengen von Schwefeldioxid auf der Venus. 1984 bemerkte Larry W. Esposito von der Universität Colorado in Boulder, daß die Konzentrationen von Schwefeldioxid an der Wolkenoberseite in den ersten fünf Jahren der Pioneer-Venus-Mission (zwischen 1978 und 1983) um den Faktor 10 abgenommen hatten. Dies wertete der Planetologe als Indiz für aktiven Vulkanismus auf der Venus. Vulkanismus könnte ebenso erklären, warum die Oberflächentemperatur variierte; Vulkanismus würde außerdem viele der rätselhaften Formationen erklären, die von der Magellan-Sonde entdeckt wurden.

Glücklicherweise hat das Erdklima in geologisch jüngerer Vergangenheit nicht annähernd die gleichen Extreme durchlaufen. Obwohl Vulkanismus auch unser Klima beeinflußt, entfernt die sauerstoffreiche Atmosphäre – wie sie durch Lebewesen und reichlich Wasser mitgeschaffen wurde – die Schwefelgase rasch. Daher sind Wasserdampfwolken der Schlüssel zur Wärmebilanz unseres Planeten. Der Wasserdampf in den Wolken wird durch die Verdunstung der Ozeane reguliert, die ihrerseits von der Oberflächentemperatur abhängt. Ein leicht erhöhter Treibhauseffekt auf der Erde würde mehr Wasser in die Atmosphäre bringen und die Wolkenzahl steigern. Die dadurch erhöhte Reflexion würde die bis zum Erdboden dringende Sonnenstrahlung verringern und damit die Erde abkühlen.

Der negative Rückkopplungseffekt funktioniert wie ein Thermostat und hält die Oberflächentemperatur über kurze Zeiträume – Tage bis Jahre – hinweg im gemäßigten Bereich. Ein analoger Rückkopplungseffekt, der sogenannte Carbonat-Silicat-Zyklus, stabilisiert zugleich den Anteil an Kohlendioxid in der Atmosphäre. Gelenkt durch den langsamen Prozeß der Plattentektonik wirkt dieser Mechanismus über Zeiträume von etwa einer halben Million Jahre.

Die fundamentalen Zyklen, die mit Wasser und Leben auf der Erde eng verknüpft sind, bewahrten das Erdklima bisher vor heftigen Schwankungen, wie sie unser Schwesterplanet erlebt hat. Mittelfristig wird sich jedoch der Einfluß der Menschheit auswirken. Seit 1860 stieg der Kohlendioxidgehalt in der Erdatmosphäre um ein Viertel. Obwohl fast alle Forscher darin übereinstimmen, daß eine globale Erwärmung stattfindet, dauert der Streit darüber an, wieviel davon durch die Verbrennung fossiler Treibstoffe verursacht wird und wieviel auf natürliche Schwankungen zurückzuführen ist.

Ob es eine kritische Konzentration des Treibhausgases gibt, die das Erdklima kippen läßt, ist nicht bekannt. Doch eines ist sicher: Die Klimata erdähnlicher Planeten können sich kurzfristig verändern, ausgelöst durch Prozesse, die den gesamten Planeten betreffen (siehe Kasten auf Seite 45). Auf sehr lange Sicht besiegelt dies auch das Schicksal der Erde. Wenn die Sonne altert, wird sie heller. In etwa einer Milliarde Jahre werden unsere Ozeane allmählich verdunsten. Das Klima wird dann unaufhaltsam in Richtung Treibhaus tendieren. Erde und Venus, die einst als beinahe identische Zwillinge entstanden und sich seitdem so unterschiedlich entwickelt haben, dürften eines fernen Tages wieder recht ähnlich aussehen.

Das erinnert uns an Utopien, wie sie Wissenschaft und Technologie in unserer Kindheit in den 60er Jahren ausmalten. Seinerzeit erschien uns die Kapazität der Erde, Rohstoffe zu liefern und unsere Abfälle aufzunehmen, schier grenzenlos. Von den enormen Erkenntnissen, die es in der Wissenschaft seither gab, gilt uns deshalb folgende als die wichtigste: Die Erde ist für die Menschheit eine großzügige, aber begrenzte Heimat. Viele haben eingesehen, daß Abfall und Abgase einer weltumspannenden technologischen Gesellschaft das Klima verändern können (siehe "Die Erwärmung der Erde seit 1850" von Philip D. Jones und Tom M. L. Wigley; Spektrum der Wissenschaft, Oktober 1990, S. 108).

Die Erforschung der Venus, wie fremd und lebensfeindlich sie uns auch erscheint, ist notwendig für die Suche nach generellen Prinzipien der Klimaänderung – und für das Verständnis von Zerbrech-lichkeit und Stabilität unserer Heimat der Erde.

Literaturhinweise

The Stability of Climate on Venus. Von Mark A. Bullock und David H. Grinspoon in: Journal of Geophysical Research, Bd. 101, S. 7521 – 7530 (1996).

Venus II: Geology, Geophysics, Atmosphere, and Solar Wind Environment. Von Stephen W. Bougher et al. (Hg.) (1997).

Venus Revealed: A New Look below the Clouds of our mysterious Twin Planet. Von David H Grinspoon, Perseus Books (1997).

The New Solar System. Von J. Kelly Beatty et al. (Hg.), 4. Auflage, Cambridge University Press (1998).


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1999, Seite 38
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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Weitere Informationen zur Venus unter www.ess.ucla.edu/hypermap/Vmap/top.html
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