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Kollegs - neue Chancen für die Hochschulforschung?

Wissenschaftler an ostdeutschen Universitäten sind mitten in der Sommerpause hellhörig geworden: Mit sogenannten Innovationskollegs wird ihnen ein neues Förderprogramm angeboten – finanziert vom Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) und fachlich betreut von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

In der Wissenschaftspolitik sind fast alle Chancen vertan, die deutsche Vereinigung zu längst überfälligen Reformen der Institutionen, insbesondere der Hoch- schulen, zu nutzen. Zwar bewertete der Wissenschaftsrat die Institute der ehemaligen DDR-Akademien fachlich, personell und organisatorisch; und in den vorhandenen Rahmen der Max-Planck- und der Fraunhofer-Gesellschaft, der Großforschungseinrichtungen und der Blaue-Liste-Institute (Spektrum der Wissenschaft, März 1993, Seite 114) wurden aus dieser "evaluierten" AdW-Konkursmasse neue Institute gegründet, zum Teil mit neuen fachlichen Schwerpunkten. Aber für die Hochschulen begnügte sich der Wissenschaftsrat mit Vorschlägen zur strukturellen Differenzierung mit dem Ziel, sie mit den westdeutschen Hochschulen – deren Situation alles andere als rühmenswert ist – kompatibel zu machen (Spektrum der Wissenschaft, September 1991, Seite 41).

Daß die ostdeutschen Universitäten auch unbestreitbare Vorzüge hatten, wurde zu spät ernst genommen. Zum Beispiel ist der frühere Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Dieter Simon, mit zunehmendem zeitlichem Abstand von den Stellungnahmen des Jahres 1991, die er in dieser Zeitschrift (September 1991, Seite 34) analysiert hatte, kritischer geworden. Im Dezember 1992 gestand er ein, "es hätte jedenfalls das Ziel aller Beteiligten sein müssen, die ostdeutschen Universitäten vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren", wie es die westdeutschen erfahren haben: Einschränkung der Forschung durch mangelhafte materielle Ausstattung und Überbeanspruchung der Wissenschaftler durch die Lehre (in: "Aus Politik und Zeitgeschichte", Beilage zur Wochenzeitung "Das Parlament", 11. Dezember 1992). Als Pluspunkte führte Simon nunmehr an: die gute Betreuungssituation (also relativ wenige Studenten pro Lehrperson), das Engagement des Mittelbaus sowie die vielfache Verknüpfung von Theorie und Praxis. Er fuhr dann fort: "Gerade die für westliche Augen vielfach irritierenden universitären Bastardformen aus berufsnaher Ausbildung, praxisorientierter Forschung und akademischer Lehre hätten nicht angeglichen, sondern nach sorgsamer Renovierung als ostdeutscher Beitrag zur Differenzierung des gesamtdeutschen Hochschulsystems aufrechterhalten werden sollen."

Gezielte Hilfe vom BMFT

Auch die DFG hat erkannt, daß die Forschung an den ostdeutschen Hochschulen leistungsfähiger ist, als prognostiziert worden war. Aus sich selbst heraus aber kann die DFG nur ihr vielfältiges Förderinstrumentarium anbieten. Das steigert zwar den Qualitätswettbewerb, initiiert aber noch nicht Reformen zugunsten der Forschung, die für Universitäten in Ost- wie in Westdeutschland dringlich sind. Dazu braucht sie zusätzliche Unterstützung.

Die regulären Mittel der DFG stammen je zur Hälfte aus den Haushalten des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft (BMBW) und der für Wissenschaft zuständigen Landesministerien. Das BMFT hingegen kann gezielt mit Sonderprogrammen, teils über die DFG, in die Hochschulforschung eingreifen. Diese Hilfe ist allerdings nicht unproblematisch; sie könnte die akademische Autonomie bedrohen.

Zum Beispiel hat das BMFT 1985 das Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Programm der DFG angeregt, das – zu 75 Prozent vom BMFT und zu 25 Prozent von den Ländern finanziert – jährlich etwa zehn ausgewählte Forscher oder Forschergruppen vor allem an Universitäten mit bis zu drei Millionen Mark innerhalb von fünf Jahren unterstützt. Auch zwei Forscher an ostdeutschen Hochschulen sind in das Programm aufgenommen worden.

Das BMFT finanziert zudem seit 1988 (über die DFG) klinische Forschergruppen und seit Ende 1991 (ohne Einschaltung der DFG) Schwerpunkte der Gesundheitsforschung an den medizinischen Fakultäten und Akademien, die zur Profilbildung beitragen sollen (Spektrum der Wissenschaft, November 1991, Seite 50). Für eine erste Laufzeit von dreieinhalb Jahren sind dafür 90 Millionen Mark vorgesehen. Auch von dem neuen BMFT-Programm der Modellzentren für klinische Forschung, das die klinischen Forschergruppen erweitert (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, Juni 1993, Seite 119), können die ostdeutschen Universitäten profitieren.

Die Idee des Forschungskollegs

Nunmehr soll ein ähnliches projektorientiertes Programm hinzukommen (nur diese Fördermöglichkeit steht dem BMFT an Hochschulen offen): das der Innovationskollegs, diesmal wieder mit der DFG. Die Grundidee dazu stammt aus einer Denkschrift für das BMFT vom Mai 1990: Als selbständige, unbefristete Einheiten innerhalb einer Universität, so regte eine Arbeitsgruppe an, sollten kulturwissenschaftliche Forschungskollegs eingerichtet werden ("Geisteswissenschaften heute". Von Wolfgang Frühwald, Hans Robert Jauss, Reinhart Kosseleck, Jürgen Mittelstrass und Burkhart Steinwachs. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990). Das Bemerkenswerte daran: Die Idee dazu wurde schon vor der Wende im Juni 1989 mit Wissenschaftlern der DDR in Ost-Berlin erörtert.

Im April 1992 empfahl die Kommission Grundlagenforschung dem BMFT, die Lücke in seinem Förderinstrumentarium zwischen den Sonderforschungsbereichen der DFG und den Großforschungseinrichtungen zu schließen, in den Biowissenschaften zum Beispiel gemäß einem DFG-Vorschlag vernetzende Strukturen, Zentren, Forschungsschwerpunkte, Fachprogramm- und Verbundforschung und ein Bund-Länder-Programm "Innovationsprofessuren" zum Aufspüren neuer Themen und Schwerpunkte zu ermöglichen. Anfang dieses Jahres wurde Frühwald, der jetzt Präsident der DFG ist, vom damaligen Forschungsminister Matthias Wissmann nach einer Idee gefragt, wie man den ostdeutschen Hochschulen nachhaltig helfen könnte, Exzellenz in der Forschung zu erreichen. Er verwies auf den Gedanken der geisteswissenschaftlichen Forschungskollegs. Im BMFT wurde dieser mit dem Vorschlag der Grundlagenforschungs-Kommission zum Begriff der Innovationskollegs verbunden.

Der jetzige Bundesforschungsminister Paul Krüger und Frühwald stellten das Projekt in einer ersten gemeinsamen Pressekonferenz von BMFT und DFG am 19. Juni vor. Für den 29. September hat der DFG-Präsident die Rektoren und Präsidenten der ostdeutschen Universitäten zu einem Gespräch über dieses Förderprogramm nach Berlin eingeladen. Bis zum 30. Oktober erwartet die DFG von den Hochschulen Antragsskizzen mit Kostenschätzungen.

Das Programm ist finanziell gesichert: Von 1994 bis 1997 können mit den bereitgestellten 50 Millionen Mark zehn bis 15 Innovationskollegs eingerichtet und jeweils fünf Jahre lang gefördert werden. Das Interesse daran ist groß. Der DFG obliegt die gesamte Ausführung von der Ausschreibung über die Begutachtung und die Betreuung bis zur abschließenden Bewertung.

Wirtschafts- und Forschungswettbewerb

Der Begriff Innovation wird in diesem Zusammenhang unterschiedlich interpretiert: Krüger will Grundlagenforschung an den Hochschulen als Voraussetzung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit stärken, Frühwald geht es um die strukturelle Erneuerung und Stärkung der Hochschulen als Einrichtungen der Forschung. Das Programm unterstützt wissenschaftlich besonders leistungsfähige Wissenschaftlergruppen, die neue Forschungskonzepte verfolgen und das wissenschaftliche Profil ihrer Hochschule langfristig planen.

Die gegenwärtige Aufbausituation der Hochschulen in Ostdeutschland soll dazu genutzt werden, kooperative Forschungsaufgaben zu realisieren. Dazu stellt das Programm mittelfristig Geld zur Verfügung, das nicht von vornherein zweckgebunden ist, sondern ein Maximum an Flexibilität erlaubt – ein Prinzip, das sich in Westdeutschland beim Leibniz-Programm bewährt hat. Den Hochschulen in Ostdeutschland, die bis vor kurzem nicht von diesem und anderen Förderprogrammen der DFG profitieren konnten, soll die Emanzipation zur wissenschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit erleichtert werden.

Langfristig können Mittel aus dem Programm auch für besonders wichtige Berufungen verwendet werden. Damit sich die ostdeutschen Universitäten in die internationale Forschungskooperation einbinden können, sind Aufwendungen für auswärtige und ausländische Gastwissenschaftler vorgesehen.

Eine zentrale Forderung an die Innovationskollegs ist Interdisziplinarität. Sie sollen Forschung jenseits etablierter Paradigmen ermöglichen und die Synergien zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Erfahrungen nutzen. Wichtig ist die Zusammenarbeit mit außeruniversitären Einrichtungen und mit der Wirtschaft.

Die Auswahl der Teams für die Innovationskollegs liegt bei der DFG. Als thematische Beispiele führt sie an: historische Anthropologie (diese war bereits für die geisteswissenschaftlichen Forschungskollegs vorgeschlagen worden), Ökosystemforschung, Management Studies, molekulare Medizin, theoretische Biologie und Nanotechnik.

Der Forschungsminister legt mehr Wert auf eine realistische Umsetzung der Forschungsergebnisse; er nennt dazu unter anderem die Bereiche Materialforschung und höchstintegrierte Schaltungen. Allerdings plädiert auch er für eine Öffnung der Technik- zu den Sozial- und Geisteswissenschaften.

Konkurrenzvorschläge von HRK und MPG

Während die Idee der Innovationskollegs entwickelt wurde, ist die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) auf ihrer Jahresversammlung im Mai in Erlangen und dann noch einmal im Juli mit einem Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten, Hochschulen in ganz Deutschland "Forschungskollegs" anzubieten. Deren Konzept deckt sich weitgehend mit dem der Innovationskollegs, was eine erhebliche Verstimmung zwischen HRK und BMFT zur Folge hatte.

Die Hochschulen sollen sich demnach mehr als bisher auch als Forschungsförderungsorganisationen verstehen und mit Sondermitteln der DFG – die es freilich noch nicht gibt – zentrale Pools für Räume, Personal und Sachmittel schaffen. In den Universitäten fehlten, so begründete die HRK ihren Vorschlag, Einrichtungen, "in denen ortsansässige und externe Wissenschaftler zur hochaggregierten Erforschung von disziplinären oder transdisziplinären Themen zeitlich befristet zusammengeführt werden". Derartige centers of excellence denkt sich die HRK als eine auf 8 bis 15 Jahre befristete institutionelle Zusammenführung von Graduierten- und Wissenschaftskolleg.

Ende Juni schließlich hat die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) dem Wissenschaftsrat zwei alternative Empfehlungen zur Zukunft der geisteswissenschaftlichen Forschungsschwerpunkte gegeben, die ihr Tochterunternehmen Förderungsgesellschaft wissenschaftliche Neuvorhaben mbH aus dem Erbe der DDR-AdW seit 1991 betreut (Spektrum der Wissenschaft, September 1991, Seite 41, speziell Seite 43): Sie könnten entweder als geisteswissenschaftliche Forschungskollegs von einem überregional organisierten Förderverein in Verbindung mit einer Partneruniversität oder als geisteswissenschaftliche Forschungszentren in Form von Instituten an einer oder noch besser von mehreren Universitäten weitergeführt werden.

Der erste Tätigkeitsbericht der Förderungsgesellschaft ist jetzt erschienen. Er führt in die Entstehungsgeschichte der Schwerpunkte ein und stellt sie im einzelnen vor: zeithistorische Studien, moderner Orient, allgemeine Sprachwissenschaft, Typologie und Universalienforschung, Literaturwissenschaft sowie Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas; außerdem gehören dazu der Komplex Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie, dessen Zukunft als Max-Planck-Institut gesichert ist, sowie der Schwerpunkt europäische Aufklärung, für den diese Lösung ebenfalls diskutiert wird. Zu den zur Disposition stehenden fünf Schwerpunkten müßten zwei bis drei weitere Zentren kommen, die ausgeschrieben werden sollen.

Die MPG stellt sich mit diesen dann sieben oder acht Zentren ein umfassendes, nicht nur das AdW-Erbe aufnehmendes innovatives Programm zur Förderung der Geisteswissenschaften in Deutschland vor. Sie kommt damit auf den Ursprung der gegenwärtigen Pläne zur fachlichen Profilbildung der Universitäten zurück: die Denkschrift "Geisteswissenschaften heute" von 1990. Ob die zunächst vertanen Chancen der Erneuerung der Hochschulen jetzt doch noch wahrgenommen werden, hängt allerdings nicht nur vom Willen und den finanziellen Möglichkeiten der Politik ab, sondern vor allem auch von der Reform- und Kooperationsbereitschaft der Universitäten.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1993, Seite 114
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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