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Komet Hale-Bopp nähert sich seinem Perihel

Nachdem vor einem Jahr der Komet Hyakutake für einige Wochen am Himmel erstrahlte, gibt nun erneut ein großer Eis- und Staubbrocken aus dem äußeren Sonnensystem ein kurzes Gastspiel am Firmament: In diesem Monat ist er von Mitteleuropa aus sowohl am Abend- als auch am Morgenhimmel als heller Schweifstern sichtbar.

Im Laufe eines jeden Jahres können etwa ein Dutzend Kometen beobachtet werden. Die meisten von ihnen haben allerdings nur eine sehr geringe Helligkeit, so daß sie lediglich in entsprechend lichtstarken Teleskopen zu sehen sind. Für die Wissenschaft stellen sie dennoch interessante Forschungsobjekte dar, denn sie sind sozusagen Besucher aus fernen, der direkten Beobachtung nicht zugänglichen Regionen: Sie stammen aus Bereichen jenseits der Bahnen von Neptun und Pluto, und ihre Materiezusammensetzung ist seit der Bildung des Sonnensystems vor 4,5 Milliarden Jahren im wesentlichen unverändert geblieben.

In zwei großen Reservoiren – dem sogenannten Kuiper-Gürtel und der Oortschen Wolke – tummeln sich vermutlich einige Milliarden oder Billionen Kometenkörper von jeweils mehreren Metern bis wenigen Kilometern Durchmesser (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1996, Seite 56, und November 1996, Seite 92). Sie sind locker aus Wassereis, gefrorenen Gasen (wie Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Ammoniak und Methan) sowie Staub zusammengeballt. Durch gravitative Störungen untereinander und mit anderen Himmelskörpern wird immer wieder einmal einer dieser überdimensionalen schmutzigen Schneebälle aus seiner Bahn geworfen. Teils verläßt er dann das Sonnensystem endgültig, teils gerät er in den Einfluß der Schwerkraft von Neptun.

Wie Modellrechnungen kürzlich gezeigt haben, vermag dieser Riesenplanet die aus dem Kuiper-Gürtel stammenden Kometen gerade so weit in das innere Sonnensystem zu lenken, daß Uranus als nächster Planet sie gewissermaßen wie ein Staffelholz aufgreifen und an Saturn weiterreichen kann; dieser wiederum schleudert sie zu Jupiter, der sie schließlich endgültig in das innere Sonnensystem katapultiert und sie auf diese Weise zu sogenannten kurzperiodischen Kometen macht, die in weniger als 200 Jahren die Sonne einmal auf elliptischer Bahn umrunden ("Icarus", im Druck).

Dieser Mechanismus bedingt, daß die aus dem Kuiper-Gürtel stammenden kurzperiodischen Kometen gehäuft in der Ebene auftreten, in der die Planeten die Sonne umrunden. Langperiodische Kometen hingegen werden vermutlich aus der Oortschen Wolke herausgeschleudert, die das Sonnensystem kugelförmig umgibt, und können demzufolge aus jeder beliebigen Richtung in Sonnennähe gelangen.

Komet Hale-Bopp gehört zu dieser letzten Gruppe. Seine stark exzentrische Bahn steht nahezu senkrecht auf der Ekliptikebene, in der sich die Erde und näherungsweise auch die anderen Planeten bewegen. Eine solche Bahn ist normalerweise sehr stabil, weil sie weitab von den großen Planeten verläuft, deren Schwerkraft stören könnte. Die von Hale-Bopp ist jedoch gerade so orientiert, daß sie die Ekliptikebene just in Jupiter-Entfernung schneidet. Der Riesenplanet kann also den Kometen sehr wohl umlenken, wenn er sich zufällig in der Nähe dieses Schnittpunktes befindet. Bei der diesmaligen Passage, die im März 1996 stattfand, war er zwar 0,9 Astronomische Einheiten von diesem Punkt entfernt, dennoch hat dies ausgereicht, die Kometenbahn nachhaltig zu beeinflussen: Betrug die Umlaufszeit von Hale-Bopp vor der Störung etwa 4200 Jahre, so wird er jetzt bereits in ungefähr 2500 Jahren erneut in Sonnennähe erscheinen; und der sonnenfernste Punkt seiner Bahn – das Aphel – ist nun nicht mehr 300, sondern nur noch 185 Astronomische Einheiten von unserem Zentralgestirn entfernt. (Eine Astronomische Einheit, kurz AE, entspricht der mittleren Entfernung Erde – Sonne, also knapp 150 Millionen Kilometern. Zum Vergleich: der mittlere Abstand von Jupiter zur Sonne beträgt 5,2, der von Pluto 39,9 AE.)

Als die beiden amerikanischen Amateurastronomen Alan Hale aus New Mexico und Thomas Bopp aus Arizona in der Nacht vom 22. auf den 23. Juli 1995 den nun nach ihnen benannten Kometen als diffusen Lichtfleck im Sternbild Schütze entdeckten, war er – wie nachfolgende Berechnungen ergaben – 7,2 AE oder eine Milliarde Kilometer von der Sonne entfernt, befand sich also noch außerhalb der Jupiterbahn. Dies überraschte die Fachwelt, denn im Fernrohr erschien er bereits als Objekt 11. Größenklasse; er war demnach in dieser Entfernung schon 250fach heller als der wohl bekannteste Komet Halley, der sich alle 76 Jahre der Sonne nähert und dabei meist eine spektakuläre Erscheinung abgibt.

Entscheidend für die Helligkeit eines Kometen ist die Gas- und Staubmenge, die sein Kern unter dem Einfluß der Sonnenstrahlung ausströmt – und gewöhnlich ist es sublimierendes Wassereis, das die Aktivität hervorruft. Die verdampfte Materie bildet zunächst eine Koma genannte Hülle um den Kern, deren Durchmesser bei weiterer Annäherung an die Sonne auf mehrere hundertausend Kilometer ansteigen kann; wenn der Druck des Sonnenwindes schließlich ausreicht, das Komamaterial wegzublasen, bilden sich ein oder mehrere Schweife aus.

Weil C/1995O1 – so die offizielle astronomische Bezeichnung von Hale-Bopp – sich im Juli 1995 noch nicht nahe genug an der Sonne befand, um Wassereis zu verdampfen, mußte eine leichter flüchtige Substanz Ursache der extrem starken Aktivität sein. Wie zwei Forschergruppen durch Beobachtungen von Molekülbanden im Radiobereich feststellten, gaste der Kometenkern pro Sekunde etwa eine Tonne Kohlenmonoxid aus ("Science", Band 271, Seite 1110, 23. Februar 1996, und "Nature", Band 380, Seite 137, 14. März 1996). Zweifellos rissen die ausströmenden Dämpfe Unmengen von Staub mit – so viel wie bei keinem anderen der bisher bekannten Kometen.

Diese Besonderheit löste sogleich Spekulationen aus, unter den Experten ebenso wie in den Medien: Wenn Hale-Bopp bereits jenseits der Jupiterbahn so unvergleichlich aktiv war, wie hell mußte er dann erst in den Tagen und Wochen vor und nach der Passage seines sonnennächsten Bahnpunktes – des Perihels – erscheinen, den er am 1. April 1997 durchläuft? Die Vermutung, daß seine Helligkeitsentwicklung sämtliche Rekorde brechen würde, lag nahe.

Doch die meisten Fachleute dämpften voreiligen Enthusiasmus. Nicht auszuschließen war, daß Hale-Bopp im Sommer 1995 lediglich einen längeren Helligkeitsausbruch erlitt, wie er ähnlich schon bei mehreren Kometen beobachtet worden war. Schließlich sind Kometen sozusagen die enfants terribles des Sonnensystems, und nicht ohne Grund kursiert unter Astronomen das Sprichwort, sie seien ebenso eigensinnig und unberechenbar wie Katzen: Mehrmals in den letzten Jahren erfüllten sich allzu euphorische Erwartungen nicht. Bekanntestes Beispiel ist der Komet Kohoutek (C/1973E1), der zum Jahreswechsel 1973/74 – gemessen an den vollmundigen Prognosen – ein geradezu jämmerliches Erscheinungsbild bot. Was man damals noch nicht wußte: Kometen, die erstmals ins innere Sonnensystem vorstoßen – was bei Kohoutek offenbar der Fall war –, steigern ihre Helligkeit oft weitaus langsamer als solche, die bereits mehrere Sonnenpassagen hinter sich haben.

Erst im Frühherbst 1996 sollte die Sonneneinstrahlung auf Hale-Bopp – bei einem Abstand von etwa 3 AE – intensiv genug sein, um nennenswerte Mengen von Wassereis zu verdampfen. Doch schon viele Wochen vor diesem Zeitpunkt waren starke Emissionen von Hydroxyl-Radikalen (OH), zweiatomigem Kohlenstoff (C2) und Cyan (CN) nachzuweisen, was tatsächlich für eine respektable Helligkeit im Frühjahr 1997 spricht.

Bereits seit letzten Sommer ließ sich Hale-Bopp am dunklen Nachthimmel mit bloßem Auge beobachten. Bis Anfang Februar stieg seine Helligkeit auf die 2. Größenklasse an. Realistisch dürfte demnach eine weitere Zunahme auf die 0. Größenklasse Ende März/Anfang April sein. Hale-Bopp wäre somit 100-fach heller als die hellsten Sterne im Sternbild Andromeda, in dem er sich zu diesem Zeitpunkt am Himmel befinden wird (Bilder 1 und 3). Freilich verteilt sich seine Lichtintensität – anders als bei den punktförmigen Sternen – auf eine gewisse Fläche, was den Helligkeitseindruck etwas relativiert.

Andererseits sind es gerade die ausgedehnte Koma und der sich bis Anfang April stetig vergrößernde Schweif, die Hale-Bopp zu einem eindrucksvollen Naturschauspiel machen werden (Bild 2). Anfang Februar war der Schweif mit 0,5 Grad Bogenlänge noch relativ kurz. Das lag an den ungünstigen geometrischen Verhältnissen; denn der Komet stand von der Erde aus gesehen auf der anderen Seite der Sonne, von welcher der Schweif naturgemäß weggerichtet ist. Bis Anfang April wird Hale-Bopp sich unserem Zentralgestirn auf 0,914 AE nähern, und der Schweif könnte durchaus eine scheinbare Länge von etwa 30 Grad erreichen.

Bereits am 22. März kommt der Komet der Erde am nächsten; er ist dann 1,315 AE von ihr entfernt. Bis Anfang Mai befindet sich Hale-Bopp nördlich der Ekliptikebene, weshalb er von der nördlichen Erdhalbkugel aus hervorragend zu sehen ist. Erst Anfang Mai durchstößt er diese Ebene zu südlichen Breiten. Dieser sogenannte absteigende Knoten liegt übrigens nur 0,15 AE außerhalb der Erdbahn; hätte der Komet diesen Bahnpunkt fünf Monate früher durchlaufen, wäre er der Erde entsprechend nahegekommen – sein Erscheinungsbild wäre dann noch um ein Vielfaches eindrucksvoller gewesen als in diesem Frühjahr.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1997, Seite 26
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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