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Kommentar: Auf der Suche nach der Wahrheit

Das Verhältnis zwischen PR und Wissenschaftsjournalismus ist schwierig.


O tempora, o mores! Unvorstellbar, dass Alexander von Humboldt seine "Ansichten der Natur" zu fünfzig Prozent auf Basis von Pressemitteilungen geschrieben hätte! Doch da sind wir mittlerweile angelangt, wie die Kommunikationswissenschaftlerin Claudia Mast von der Universität Stuttgart-Hohenheim belegt. Sie spricht auch generell von einer sich seit Jahren verschiebenden Machtbalance. Bei den Journalisten sei Schmalhans Küchenmeister, dafür boome die Public-Relations-Branche. Aktueller Stand: Über alle Ressorts kommen im Mittel auf vier PR-Leute in Deutschland noch sieben fest angestellte Journalisten, während es in den USA bloß noch drei sind – Tendenz fallend.

Standen bei Humboldt authentischer Bericht und Glaubwürdigkeit obenan, regiert heute in den meisten Redak­tionsstuben der Kommerz. Zeit- und Kostendruck belasten journalistische Qualität und Rechtschaffenheit. In dieser Situation kommt die Pressemeldung gerade recht. Spalten lassen sich termingerecht füllen, vorausgesetzt, es fragt keiner nach Hintergründen oder alternativen Meinungen. So geht die lancierte Verlautbarung als journalistisches Produkt durch und wird der Öffentlichkeit für bare Münze verkauft. Auf der Strecke bleiben Objektivität, Unabhängigkeit, die eigene Meinung – und letztlich die Glaubwürdigkeit.

Denn Neutralität und Ausgewogenheit sind, einer Befragung der Agentur Kothes-Klewes zufolge, bei PR-Agenturen nur zu fünfzig Prozent zu erwarten. Von den Journalisten verlangt man gemäß der Studie immerhin über neunzig Prozent. Journalistische Qualitäten sind jedoch nur mit Zeit, Geld und guter Ausbildung zu erreichen. An der Ausbildung feilen alle – Bildungseinrichtungen genauso wie die Journalisten selbst. Doch Zeit, Geld und Personalstellen werden auf dieser Seite immer knapper.

Das gilt insbesondere da, wo das Themenspektrum von Tag zu Tag breiter und die Sachverhalte immer komplizierter werden – im Wissenschaftsjournalismus.

Vor allem Themengenerierung und Sachkompetenz stoßen in den eher kleinen Wissenschaftsressorts rasch an Grenzen. So ist man auch da immer mehr auf die Zuarbeit anderer angewiesen: auf Pressestellen, Sekundärquellen, freie Journalisten und schlecht bezahlte Praktikanten. Das belegte kürzlich auch eine gemeinsame Untersuchung von Bertelsmann-Stiftung, Volkswagen-Stiftung und BASF über den Wissenschaftsjournalismus in Zeitungen. Der Anteil selbst recherchierter Beiträge beispielsweise aus dem Themenfeld "Life Science" liegt nach Auskunft der Redakteure gerade noch bei fünfzig Prozent. Ihre Themenideen beziehen die Wissenschaftsredakteure in der Regel von Nachrichtenagenturen oder Fachveröffentlichungen, wohingegen wissenschaftlich geschulte Freiberufler noch eher originäre oder wissenschaftsnahe Quellen nutzen, etwa in Gesprächen mit Wissenschaftlern oder auf Fachtagungen.

Dazu kommt, so befürchtet Claudia Mast, dass sich heutiger Wissenschaftsjournalismus unter dem Kostendiktat leichter dem Publikumsgeschmack unterordnet und eher emotionale, metaphysische Themen bevorzugt, als wissenschaftlich korrekt und verständlich über "harte" Themen zu berichten.

Es könnte so schön sein: PR-Branche und Journalisten würden an einem Strang ziehen und der Öffentlichkeit Raum und Zeit erklären. Nach Kothes-Klewes halten über neunzig Prozent der PR-Leute die Redaktionen für Partner, die sie unterstützen. Bei den Journalisten denken umgekehrt immerhin noch 68 Prozent so über ihr Gegenüber in der Firmenpressestelle. Doch Idealismus und Materialismus sind immer schon unversöhnliche Antipoden. Einer wird auf der Strecke bleiben.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2003, Seite 83
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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