Musterländle auf dem Weg ins Niemandsland: Kommentar: Krebsregister am Ende
"Wir können alles – außer Hochdeutsch" rühmt sich Baden-Württemberg in einem Werbeslogan. Doch ganz offensichtlich liegt es hier nicht nur mit der Sprache im Argen. Das wurde spätestens klar, als die Landesregierung kürzlich bekannt gab, ihr Krebsregister schließen zu wollen.
Die Registrierung von Krebsfällen dient der epidemiologischen Statistik. Nur so lässt sich feststellen, wie schädlich etwa Rauchen oder bestimmte Medikamente für die Bevölkerung sind, oder ob das Atomkraftwerk um die Ecke tatsächlich das Krebsrisiko erhöht.
Um zuverlässige Aussagen machen zu können, ist, so sagen Experten, eine Registrierung von mindestens neunzig Prozent der Neuerkrankungen notwendig. Das jedoch sei dem Baden-Württembergischen Krebsregister in den zehn Jahren seit seiner Gründung nicht gelungen, behauptet das Stuttgarter Sozialministerium und begründet damit seine Ausstiegspläne. Eine unzulässige Argumentation, wie Wolf Ulrich Batzler vom Epidemiologischen Krebsregister Baden-Württemberg kontert: Denn die Krebsregistrierung verlief im Südwesten Deutschlands von Anfang an mehr als zaghaft. 1994 wurde mit lediglich drei Landkreisen gestartet, erst vor drei Jahren kamen weitere 16 Kreise hinzu – übrigens erfolgreicher, als die Landesregierung jetzt glauben macht. Dazu kommt, dass im Gegensatz zu einigen anderen Bundesländern leider keine Meldepflicht für neue Krebsfälle besteht – obwohl Epidemiologen dies seit langem fordern. Auf freiwilliger Basis ist aber nun mal kaum eine flächendeckende Registrierung zu erwarten.
Das Argumentationskonstrukt klingt also verdächtig nach faulem Zauber und nach Vorwänden, mit denen eine Entscheidung begründet werden soll, der wahrscheinlich etwas völlig anderes zugrunde liegt: schnöder Mammon. Denn auch Baden-Württemberg muss den Gürtel enger schnallen. Doch angesichts der Haushaltslöcher wirken die 750000 Euro, die das Krebsregister das Land jährlich kostet, geradezu lächerlich. Ganz zu schweigen von den Therapiekosten, die ein gut geführtes Krebsregister durch die verbesserte Vorsorge einsparen würde.
Von den unsinnigen Sparplänen besonders dramatisch berührt ist die vielfach geforderte Qualitätssicherung bei der Mammografie, die ohne Krebsregistrierung kaum denkbar ist. Warum aber sollte man anderswo in die Weiterbildung von medizinischem Personal und in verbesserte Geräte investieren, wenn an einer ihrer wichtigsten Grundvoraussetzungen, nämlich der epidemiologischen Statistik, gespart wird?
Die Regierung im Ländle steuert also in Sachen Krebsmedizin einen fatalen Rückschritt an – und droht die gesamte Republik mit sich zu ziehen. Denn durch einen Ausstieg Baden-Württembergs würde das drittgrößte Bundesland zum statistischen Niemandsland, das ein geplantes bundesweites Krebsregister vor das Aus stellt. Zumal zu befürchten ist, dass auch andere Landesregierungen es den sparsamen Schwaben gleichtun. So werden wir – falls Stuttgart mit dem Kahlschlag Ernst macht – wohl nie an Skandinavien oder die USA anschließen können. Dort wird Krebsregistrierung schon lange und sehr erfolgreich betrieben.
Höchste Zeit also, dass Baden-Württemberg umdenkt und sich Bundesländer zum Vorbild nimmt, die – statt am falschen Platz zu sparen – lieber auf die Verbesserung ihrer Krebsregister setzen. Mit Kehrwoche und dreizackigen Sternen allein ist noch kein Musterländle zu machen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2003, Seite 92
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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