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Kommentar: Sie sollten BSE im Kopf behalten!



BSE – wissen Sie noch? Das war die Rinderseuche, die in Form der neuartigen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit mit großer Wahrscheinlichkeit auch den Menschen befällt. Inzwischen wurde der BSE-Erreger bei über hundert deutschen Rindern gefunden und die Zahl steigt weiter. Aber das nimmt kaum mehr jemand zur Kenntnis. Bis jetzt ist schließlich nichts passiert und man hat ja inzwischen andere Dinge im Kopf.

Auch die Politiker. Die deutsche Wirtschaft lahmt, da ergreift sie eher Sorge um Arbeitsplätze in Schlachthöfen als um Verbraucher. Auf EU-Ebene muss man sich an Zeitpläne halten, auch wenn die eifrig beschworenen Agrar-Reformen dann etwas langsamer vorankommen; frühestens im kommenden Jahr will EU-Agrarkommissar Franz Fischler nun die Marktordnungen in den Mitgliedsländern überprüfen. Unterdessen diskutiert man darüber, Tiermehl aus "BSE-freien" Ländern wieder zur Verfütterung an Schweine, Geflügel und Fische freizugeben. Erinnern Sie sich, dass Deutschland noch vor gar nicht langer Zeit auch "BSE-frei" war? Dabei hapert es selbst bei den dringendsten Notmaßnahmen:

- Bis auf Finnland hat bis jetzt kein Land bei der EU-Kommission den geforderten Bericht über die Kontrollen der Verfütterung von Tiermehl eingereicht. Die Frist hierfür war bereits Ende Mai abgelaufen.

- Englische Kontrolleure zogen in diesem Jahr zum wiederholten Mal Rindfleisch aus deutschen Schlachthöfen aus dem Verkehr, weil es BSE-Risikomaterial enthielt.

- Forscher bezweifeln, dass die Sicherheitsvorkehrungen in den Schlachthöfen überhaupt ausreichen, selbst wenn sich die Betreiber genau an die Vorschriften halten.

Und die Verbraucher? Während des Höhepunkts der Krise um die Jahreswende war der Rindfleisch-Konsum auf etwa zehn Prozent des vorherigen Niveaus eingebrochen. Damals schlugen die Gefühlswellen hoch, misstrauisch beäugten besorgte Kundinnen im Kühlregal die Joghurts und nahmen ihren Kindern die Gummibären-Tüten wieder weg. Öko-Läden hatten Hochkonjunktur. Inzwischen essen die Deutschen wieder fast so viel Rindfleisch wie früher: Auf 70 bis 80 Prozent des Niveaus von vor BSE schätzten Fleisch verarbeitende Betriebe in Deutschland den Konsum in den vergangenen Wochen.

Dabei hat sich, wie gesagt, an der Lage im Grunde nichts geändert. Im Gegenteil: Zusätzlich zu neuen BSE-Fällen vermeldet die Forschung immer wieder neue beunruhigende Ergebnisse. So unterscheidet sich bei Mäusen die Inkubationszeit für BSE je nach genetischer Disposition. Wenn das für den Menschen auch zutrifft, steht uns vielleicht die größte Zahl von Creutzfeldt-Jakob-Toten noch bevor. Aber Psychologen konstatieren kühl, die Bedrohung durch BSE sei eben zu wenig real, um das Verhalten der Menschen dauerhaft zu beeinflussen. Auch schützten sich die Menschen durch Verdrängung gegen eine zu komplexe Umwelt. Man hat ja so vieles im Kopf.

Daher für alle, die ihren Lieben wieder ein Stück Lebenskraft vom Rind servieren wollen, zur Erinnerung einige Fakten:

In England wurden bis heute mit mehr als 180000 Tieren über 90 Prozent aller an BSE erkrankten Rinder gezählt. In England gibt es mit mehr als 100 Toten mit Abstand die meisten Opfer der neuen Variante von Creutzfeldt-Jakob. Nach wie vor weiß niemand sicher, woher der BSE-Erreger stammt. Unklar ist ebenso, wie der BSE-Erreger sich ausbreitet – nur über Tiermehl oder etwa auch über Milchersatz bei der Kälberfütterung? Oder gar auf noch völlig unbekannte Weise? Die Forscher wissen nicht, welche Tierarten er befallen kann. Noch immer ist nicht bekannt, wie leicht und auf welchen Wegen sich Menschen überhaupt anstecken können. Fleischtests identifizieren Rinder erst im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung. Noch immer gibt es keine Therapie für die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit.

Vielleicht sollte man das im Kopf behalten, bevor er irgendwelche Schäden nimmt.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2001, Seite 95
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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