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Hirschhausens Hirnschmalz: Komplimente und Komplexe

Eckart von Hirschhausen

Wie viele schüchterne Personen haben Sie in Ihrem Bekanntenkreis? Genau das ist das Problem. Man lernt sie so schwer kennen! Dabei sind unter ihnen sehr viele liebenswerte und liebesfähige Menschen. In meinem Bühnenprogramm bitte ich oft alle Schüchternen, sich einmal hinzustellen und laut zu sagen: "Ich bin schüchtern!" Das klappt meistens nicht so gut. Als Nächstes lasse ich alle, die sich angesprochen fühlen, einfach im Dunkeln summen – so dass keiner genau weiß, wer mit eingestimmt hat. Und plötzlich merkt der ganze Saal, wie viele das sind! Dabei haben sich die richtig Schüchternen nicht einmal getraut mitzusummen. Und die Superschüchternen kommen erst gar nicht ins Theater, weil ihnen andere Menschen per se unheimlich sind.

Wie kann man diese zurückhaltenden Naturen dann treffen – vielleicht online? Eine naheliegende These: Wer sich nicht traut, Leute Face-to-Face anzusprechen, stupst sie lieber digital an. Zum Beispiel auf Facebook. Doch dem widerspricht eine aktuelle Studie. Die Kommunikationsforscherin Pavica Sheldon von der University of Alabama spürte Probanden auf, die nicht bei Facebook aktiv sind. Sie waren im Schnitt schüchterner und fühlten sich einsamer als Nutzer des sozialen Netzwerks. Offenbar setzen vor allem diejenigen, die in der realen Welt viele Freunde haben und leicht Leute kennen lernen, diese Fähigkeit auch online ein. Und wer echten Menschen gegenüber gehemmt und unsicher ist, mutiert im Internet nicht plötzlich zum Aufreißer (siehe auch Artikel ab S. 14 in diesem Heft). Das Netz macht ja auch die Schlauen schlauer, während Bildungsferne kaum von der Informationsfülle profitieren.

Psychotest

Wie schüchtern sind Sie?

  1. A) kaum
  2. B) so mittel
  3. C) muss ich meine Mutter fragen
  4. D) paar aufs Maul?

Allen Schüchternen möchte ich fürs "Real Life" eine Übung anbieten, die funktioniert und Spaß macht. Viele haben Angst, jemanden anzusprechen, weil sie ja abgewiesen werden könnten. Also muss man üben, mit der Abweisung zu punkten. Wie beim Basketball: durch Körbesammeln! Dazu braucht man einen Freund oder eine Freundin, die mitspielt. Wer an einem Abend zuerst zehn Körbe beisammen hat, gewinnt. Einfach auf jemanden zugehen und sagen: "Können Sie mir helfen, ich habe gerade gewettet, dass Sie mir einen Korb geben, würden Sie das bitte für mich tun?" Wer da nicht zumindest lächelt, den will man doch gar nicht erst kennen lernen. Durch den neuen Kontext ist man viel entspannter – was soll schon passieren, außer dass man punktet?

Was allerdings nie funktioniert: ein einstudiertes Kompliment nach dem Motto "Dein Vater muss ein Dieb sein, dass er die Sterne vom Himmel stahl, um sie in deine Augen zu packen!" Viel besser klappt es mit scheinbar banalen Dingen. Einfach unverfänglich gefragt: "Was liest du?", und wenn der andere antwortet: "Den Zweitwagen über die Firma, warum?" – zack, schon wieder einen Punkt gesammelt! Auf einem großen Fest versuchte ich es einmal mit der klassischen Eröffnung: "Und, wen kennst du hier, wer hat dich eingeladen?" Und bekam die Antwort: "Ich bin der Gastgeber." Dann am besten gleich ein schlagfertiges Kompliment hinterherschieben, etwas wie: "Ach so!"

Schüchterne tappen leicht in eine logische Falle: Sie denken, ihre Mitmenschen wüssten, dass sie schüchtern sind. Dabei sehen die nur, dass da jemand rumsteht und nicht mit anderen redet. Die gleichen Symptome gelten aber auch für ein Arschloch. Wir machen uns viel zu viele Gedanken darüber, was andere über uns denken, dabei denken die gar nicht so viel über uns nach, sondern denken vor allem an das, was wir gerade über sie denken könnten. Da hilft nur aktiv werden und den, der allein in der Ecke steht, ansprechen. Dann weißt du schnell: schüchtern oder Arschloch. Oder schüchternes Arschloch. Das gibt es auch. Ist aber selten.

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