Konservierte DNA als Grippe-Impfstoff
Das Kreuz mit Grippeviren ist ihre Wandlungsfähigkeit: Die Erreger verändern immer wieder die Erbinformation für ihre Oberflächenmoleküle und unterlaufen so einen durch Antikörper vermittelten Schutz, wie er sich im Laufe einer Infektion oder nach einer Impfung aufbaut. Konservativ sind sie hingegen bei ihren inneren Molekülen; nur sind die eben für Antikörper schlecht zugänglich.
Über die Erbinformation für solche Moleküle haben nun zwei amerikanische Forschergruppen die zweite Verteidigungslinie des Immunsystems mobilisiert: die cytotoxischen T-Zellen. Diese im Thymus reifenden Lymphocyten töten bereits virusbefallene Körperzellen ab, wenn sie auf deren Oberfläche Fragmente viraler Proteine erkennen, die im Zellinneren produziert worden sind.
Den Virusbefall haben die beiden Gruppen – die eine bei Vical, einem kalifornischen Biotechnologie-Unternehmen, die andere an den Merck-Forschungslaboratorien in West Point (Pennsylvanien) – auf ungewöhnlich simple Weise simuliert: Sie injizierten die in DNA umgeschriebene Erbinformation für das Nucleoprotein des Influenza-A-Virus Mäusen lediglich in den Oberschenkelmuskel; die DNA gelangt auf noch unbekannte Weise in die Zellen und wird dort ausgeprägt ("Science", Band 259, 19. März 1993, Seite 1745). Daß diese Methode, die keinerlei trickreiche gentechnische Vorkehrungen zum Einschleusen erfordert, überhaupt funktioniert, ist erst seit drei Jahren bekannt.
Von den mit DNA sozusagen geimpften Mäusen überlebten dann 90 Prozent eine hohe Dosis Influenza-Viren, von den ungeimpften nur 20 Prozent. Dabei handelte es sich um einen Stamm, der 34 Jahre nach jenem aufgetreten war, der die evolutiv kaum abgewandelte – konservierte – Erbinformation für das Nucleoprotein geliefert hatte. Die Strategie ließe sich möglicherweise auch auf andere sehr wandlungsfähige Viren anwenden, speziell den AIDS-Erreger HIV.
Bevor allerdings Impfstoffe aus nackter DNA an Menschen erprobt werden können, sind erst einige Sicherheitsfragen zu klären; die Moleküle könnten sich immerhin in das Erbgut der Zellen einbauen und – wenn dies an falscher Stelle geschieht – womöglich Krebs auslösen. (I. H.)
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1993, Seite 19
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben