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Konversion eines Instituts der Fraunhofer-Gesellschaft


Weltweit waren für Wehrtechnikfirmen die Verteidigungsministerien beständige Auftraggeber und Absatzprobleme kein Thema; gleiches galt für entsprechende Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen. So arbeiteten am Fraunhofer-Institut für Angewandte Materialforschung (IFAM) in Bremen rund 130 hochqualifizierte Wissenschaftler, Techniker und Angestellte mehr als zwanzig Jahre lang mit modernster Ausstattung fast auschließlich für das Bundesministerium der Verteidigung (es gab noch den Bereich der Klebetechnik mit etwa 20 Mitarbeitern als kleine zivile Vertragsforschungseinheit). Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts stellte sich die schwierige Aufgabe, durch Neuorientierung auf zivile Ziele und neue Organisationsstrukturen als Institut marktfähig zu werden.

Unsere wehrtechnische Forschung und Technologie war vor allem auf zwei Arbeitsgebiete ausgerichtet: einerseits neue und verbesserte Werkstoffe, Verbundwerkstoffe und Bauweisen für Wehrmaterial, andererseits Verbesserung der Schutzmaßnahmen gegen konventionelle Munition. Ein Großteil der Projekte beschäftigte sich mit Materialien für den Panzerschutz und die Panzerabwehr.

Häufig ging es darum, Werkstoffe, Halbzeuge und Bauteile mit außergewöhnlichen Eigenschaften für besondere Anwendungen maßzuschneidern. Dazu gehörten insbesondere Werkstoffe, die höchstdynamische Belastungen vertragen, wie sie beim Auftreffen und Eindringen eines Geschosses in eine Schutzvorrichtung entstehen. Im allgemeinen waren dies metallische Werkstoffe mit hohem Schwermetall-Anteil, etwa auf der Basis von Wolfram.

Dementsprechend wurden eigens international viel beachtete Kurzzeitprüftechniken entwickelt. Diese Arbeiten berücksichtigten immer die Wechselwirkung von Geschoß und Ziel: So wurden Geschosse entwickelt, die aus Metallfaserverbunden bestehen und sich durch eine Schutzvorrichtung hindurcharbeiten können, und im nächsten Schritt dazu passende Gegenmaßnahmen.

Oft ließen sich diese Eigenschaften konventionell, beispielsweise gießtechnisch, nicht oder nicht wirtschaftlich erreichen. Ein Schwerpunkt der Forschung war deshalb die Pulvermetallurgie, von den Verfahren zur Herstellung metallischer Pulver über deren Verarbeitung bis zur Nachbearbeitung von Halbzeugen und Bauteilen. Mit solchen Verfahren lassen sich beispielsweise örtlich unterschiedliche Eigenschaften sowie höchste Festigkeit und Zähigkeit einstellen, die Entmischung unterschiedlich schwerer Komponenten einer Legierung verhindern oder die Herstellung großer Teile kostengünstig gestalten.

In engem Zusammenhang damit steht der Themenkreis Verbundwerkstoffe, wiederum für höchste Anforderungen. Ein Beispiel dafür ist ein extrem rißbeständiger Schichtverbund, das sogenannte zähe Sandwich (Bild 1). Jede Schicht behindert eine Rißfortsetzung, so daß diese für die Panzerung entwickelte Technik auch in typischen Anwendungsfeldern hochfester Stähle, etwa für Druckbehälter der Chemie, von großem Nutzen wäre.

Ebenso wurde der Verbund von metallischen mit anderen Fasern entwickelt und erprobt. Um ihre hervorragenden Materialeigenschaften verstärkt zu nutzen, waren weitere Arbeitsfelder die Auswahl und Herstellung leistungsfähiger Fasern, die Entwicklung kostengünstiger und reproduzierbarer Fertigungs- und Verarbeitungsverfahren für Matrixwerkstoffe und Bauteile sowie zuverlässige, möglichst zerstörungsfreie Fehlererkennung und Qualitätssicherung.


Die Wende

Nach der deutschen Wiedervereinigung und der Beendigung des Ost-West-Konfliktes kamen der Bund und das Land Bremen 1990 zu dem Entschluß, das IFAM als Vertragsforschungsinstitut für Werkstoffe und Fertigungsverfahren im Zuwendungsbereich des Forschungsministers fortzuführen. Max Syrbe, der damalige Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft (FhG), äußerte die Erwartung, daß die Leistungsfähigkeit des Instituts durch eine Ergänzung der Arbeitsgebiete und die Wandlung in eine Vertragsforschungseinrichtung im Rahmen des FhG-typischen Bund-Länder-Abkommens erheblich gestärkt würde.

In Kreisen der Universität Bremen wurde diese Absicht begrüßt, weil zuvor eine Zusammenarbeit mit den Grundsätzen der Universität nicht vereinbar war. Nach zähen Verhandlungen kam Ende 1991 ein Kooperationsvertrag mit zunächst fünfjähriger Laufzeit zustande.

Dieser beeinhaltet auch, daß die Institutsleiter Professoren an der Universität werden – Know-how aus der Rüstungsforschung fließt so in die zivile Forschung und Lehre ein. Ausschreibungsverfahren fanden Ende 1992 statt, die Berufungsverfahren wurden 1993 eingeleitet. Für die investive Grundausstattung dieser Professuren an der Universität sind 3,5 Millionen Mark vorgesehen.

Studien- und Diplomarbeiten von Studenten der Bremer Universität und anderer Hochschulen werden im Institut durchgeführt, Doktoranden diskutieren dort ihre Arbeiten. Früher waren solche Aktivitäten wegen der besonderen Randbedingungen, unter denen das IFAM arbeitete, in dieser Form nicht möglich.

Schließlich soll ein Neubau das Institut auf dem Universitätsgelände ansiedeln. Die Kosten dafür wurden 1990 auf 60 Millionen Mark geschätzt, heute spricht man bereits von rund 70 Millonen Mark; die Erhöhung ist aber auch durch die Aufnahme einer der beiden Außenstellen in den neuen Bundesländern bedingt: In Dresden wird die Pulvermetallurgie, in Teltow die Klebtechnik verfolgt.


Bisherige Erfahrungen

Wir waren bei dem Entschluß zum Wandel sehr optimistisch, die Konversionsphase erfolgreich zu absolvieren, weil wir uns weiterhin auf unsere Kernkompetenzen stützen können. Im Unterschied zu früher soll aber nicht mehr ein möglichst breites Forschungsspektrum für einen Hauptauftraggeber abgedeckt werden, sondern eine Konzentration und Profilbildung auf wenigen Gebieten stattfinden: in der Fügetechnik, insbesondere der Klebtechnik, in der Pulvermetallurgie beziehungsweise -technologie sowie im Werkstoff- und Bauteilverhalten. Diese Schwerpunktbildung wurde durch die Aufnahme zweier Partner aus den neuen Bundesländern – die beiden Außenstellen in Sachsen und Brandenburg – gestärkt.

Die Material- und Fertigungstechnologien, mit denen wir uns bislang beschäftigt haben, sind durchaus auch für den zivilen Markt geeignet; allerdings müssen zum Teil neue Werkstoffe entwickelt werden. Die Konversion ist darum ein gleitender Übergang. Derzeit suchen wir vor allem Vertrauen und Akzeptanz bei der Industrie aufzubauen, denn das IFAM und seine Kompetenz sind in der zivilen Wirtschaft nach zwanzigjähriger Abstinenz nicht hinreichend bekannt. Die leitenden Mitarbeiter des Instituts sind dementsprechend heute vermehrt mit der Akquisition von Projekten beschäftigt: Genügte es früher, den einen Klienten von neuen Konzepten zu überzeugen, um Aufträge zu erhalten, müssen jetzt Marketinginstrumente genutzt und eine Vielzahl potentieller Auftraggeber angesprochen werden.

Um diesen Prozeß zu unterstützen, fördert das Land Bremen die Vorlaufforschung im Übergangszeitraum von 1992 bis 1996 mit 11,3 Millionen Mark, rund 10 bis 15 Prozent des Instituts-Etats in dieser Phase. Das Bundesministerium für Verteidigung vergibt für diese Zeit noch Projektaufträge zur Werkstoffentwicklung, deren Ergebnisse zum Teil auch auf dem zivilen Markt angeboten werden können.


Aktuelle Forschungsthemen

Insbesondere die Pulvermetallurgie bietet eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Für industrielle Fertiger von komplizierten Massenbauteilen kann zum Beispiel das Metallpulver-Spritzgießen eine wirtschaftliche Alternative zu konventionellen zerspanenden Verfahren oder zum Feingießen sein. Dabei wird eine pastöse Masse aus Metallpulver und Bindemitteln mit Verfahren der Kunststofftechnik in Form gebracht. Auf den umweltverträglichen Umgang mit den Kunststoffen legen wir besonderen Wert. Wegen der geringen Investitionskosten für den Aufbau dieser Fertigungstechnologie ist sie für kleine und mittelständische Unternehmen geradezu prädestiniert.

Während wir diese Technologie gezielt für wehrtechnische Anwendungen entwickelt haben und nun in zivile überführen, basiert die neue Werkstoffklasse der metallischen Schäume zwar auf vorhandenem Know-how, wurde aber erst nach der Wende in Angriff genommen. Gleichwohl ist sie jetzt, nach nur vier Jahren, fast anwendungsreif. Für Leichtbaustrukturen werden poröse Werkstoffe meist auf keramischer oder organischer Basis, etwa Gasbeton oder Kunststoffschäume, bereits seit langem eingesetzt. Ihre spezifischen Nachteile sind geringe Dehnbarkeit und geringe thermische Stabilität. Die am IFAM bisher entwickelten Schäume (Bild 2) aus aluminiumhaltigen Pulvern haben nicht nur ein so geringes spezifisches Gewicht wie solche aus Kunststoff, sondern auch eine höhere Steifigkeit, sind bis zur Schmelztemperatur des Basismaterials stabil, dämpfen den Schall, sind leicht durch Drehen, Fräsen, Bohren und dergleichen mechanisch zu bearbeiten und überdies einschmelz- und wiederverwertbar.

In einem Arbeitsschwerpunkt Faserverbund-Kunststoffe wird die Anwendung form- und kraftschlüssiger Fügungen erforscht sowie die werkstoffgerechte Bauteilauslegung berechnet. Ein Beispiel ist die Optimierung von Rotorblättern für Windenergieanlagen – eine direkte Konversion von Erfahrungen aus vergleichbaren wehrtechnischen Aufgaben (Bild 3).

Die Abteilung Werkstoff- und Bauteilverhalten entwickelt innovative Technologien für die Bauteil- und Modellfertigung. Hauptsächlich interessieren hier fertigungstechnische Aspekte der Materialforschung. Generative Fertigungstechnologien wie das Rapid Prototyping – durch freiformenden, schichtweisen Materialaufbau ohne spätere Formgebung oder andere Umformverfahren – beschleunigen die Herstellung von Modellen, Prototypen und Bauteilen und verkürzen damit die Entwicklungszeiten neuer Produkte.

Ein anderes gänzlich neues Arbeitsthema für die IFAM-Mitarbeiter ist das Automobil-Wertstoffrecycling. Die künftig ganzheitliche Werkstoff- und Bauteil-Charakterisierung im Rahmen von Ökobilanzen und Umwelt-Controlling ist hier schon zu erkennen.

Im Oktober 1993 – das Institut bestand gerade 25 Jahre – wurde auch das neue Pulvertechnologie-Technikum der Öffentlichkeit vorgestellt. Am Um- und Ausbau hatte sich das Land Bremen im Rahmen der Konversion finanziell in erheblichem Umfang beteiligt. Seit 1991 gehört zum Institut mit dem Technikum auch ein neuer Bereich der Abteilung Werkstoff- und Bauteilverhalten. Vom Erhalt und Ausbau der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten des IFAM und anderer wissenschaftlicher Institute erwartet der Bremer Senat beschäftigungspolitische Impulse für das kleinste deutsche Bundesland.

Innerhalb der neuen Räume finden Kunden und Partner des Instituts das Anwenderzentrum für Metallpulver-Spritzguß, in dem vom computersimulierten Modell bis zum realen Bauteil alle Schritte dieser modernen Fertigungstechnik vorgeführt und erledigt werden können. In den anderen Laboratorien werden wie bisher, aber in deutlich besser strukturiertem Umfeld, meßtechnische und analytische Untersuchungen durchgeführt.

Ungünstig für die Entwicklung haben sich 1993 die Rezession in der privaten Auftragsforschung und die anhaltend niedrige Projektförderung der öffentlichen Hand ausgewirkt. Wegen der geringen Zuwachsraten bei den Erlösen überwogen, wie allgemein in der Wirtschaft, die Konsolidierung und eine weiter zunehmende Fokussierung auf die Kernkompetenzen. Den Personalabbau und eine damit verbundene Reduzierung der Arbeitstiefe kann aber die zunehmende Vernetzung innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft kompensieren.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1994, Seite 104
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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