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Konversion - wirtschaftliche und soziale Folgen

Die weitreichenden Veränderungen der weltpolitischen Lage – vor allem der Abbau von Spannungen zwischen den NATO-Ländern und den Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes – haben einen Großteil der angehäuften Arsenale obsolet werden lassen. Militärische Einrichtungen werden geschlossen, rüstungstechnische Entwicklungsarbeiten eingestellt, Aufträge für neue Waffensysteme nicht mehr vergeben. Konversion, die Umstellung der Rüstungsgüterproduktion auf alternative Leistungen und Produkte, ist geboten. Welche Probleme gilt es dabei zu bewältigen? Wie reagieren die Rüstungsindustrie und vormals auf Militärprojekte spezialisierte Forschungseinrichtungen auf die neue Situation?

Noch vor wenigen Jahren beschäftigte sich nur ein kleiner Kreis von Experten ernsthaft mit dem Abbau von Militär und Rüstung. Die Diskussion blieb auf wissenschaftliche Studien beschränkt, die das Thema weitgehend abstrakt und theoretisch abhandelten; die politische Debatte war eher rhetorisch zu verstehen und blieb ohne praktische Auswirkungen. Die waffenproduzierende Industrie und das Militär sahen die möglichen Folgen von Rüstungskontroll- und Abrüstungsvereinbarungen allenfalls in einer fernen Zukunft auf sich zukommen.

Der weltpolitische Umbruch Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre hat die Situation verändert: Das Ende des Kalten Krieges zwischen Ost und West, der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Auflösung des Warschauer Paktes, der Abschluß von bi- und multilateralen Verträgen zum Abbau konventioneller, chemischer und nuklearer Waffensysteme sowie das Intensivieren friedenserhaltender und friedensschaffender Maßnahmen der Vereinten Nationen haben neue Möglichkeiten für Abrüstung geschaffen und die Voraussetzungen für Konversion erheblich verbessert.

Übereinstimmung besteht darin, daß die unter dem Einfluß des Ost-West-Konflikts angehäufte Arsenale überdimensioniert sind und schrumpfen müssen. Dies bedeutet empfindliche Einbußen für die Rüstungsindustrie. Konver-sion beinhaltet jedoch noch mehr: das Umwidmen von Finanzen, die Umorientierung von Forschung und Entwicklung, die Reintegration von Soldaten, die alternative Nutzung von Kasernen, Liegenschaften und anderen militärischen Infrastruktureinrichtungen sowie die zivile Verwendung oder Verschrottung militärischen Geräts.

Diese Prozesse haben unter den veränderten Bedingungen bereits eingesetzt – dies bedeutet allerdings nicht, daß nun im großen Stil die Requisiten des Kalten Krieges für immer weggeräumt würden oder daß neue friedenspolitische Konzepte oder der Wille zur Abrüstung die treibende Kraft wären. Vielmehr läßt sich erkennen, daß es die Finanz- und nicht die Verteidigungs- und Außenministerien sind, die in den neunziger Jahren die Dynamik militärischer Aktivitäten einschränken und die Sicherheitspolitik bestimmen.

Das lange anhaltende Wachstum der Militärhaushalte ist vorbei. Der Wandel der sicherheitspolitischen Verhältnisse – vor allem in Europa – hat diese Entwicklung zwar ermöglicht, beschleunigt wurde sie aber von der Finanznot der öffentlichen Haushalte. Auf dem Höhepunkt der Rüstungsdynamik 1987 gaben die Regierungen der Welt nahezu eine Billion (1000 Milliarden) Dollar für militärische Zwecke aus. Seitdem gehen die Ausgaben real um knapp vier Prozent pro Jahr zurück; 1993 waren es schätzungsweise etwas weniger als 800 Milliarden Dollar.

Die eingesparten Mittel – die sogenannte Friedensdividende – lassen sich in nicht-militärische Programme investieren. Aber auch die Abrüstung kostet Geld: Beispielsweise muß die Rüstungsindustrie Anlagen abschreiben, läßt sich nicht jede aufgegebene Militärbasis sofort und sinnvoll anderweitig verwenden und kann nicht jeder Arbeitsplatz im Rüstungssektor ersetzt werden. Kurz- und mittelfristig fallen Kosten an, die Abrüstungs- und Demilitarisierungsprozesse behindern können. Langfristig jedoch stellen Aufwendungen etwa für die Umschulung von Personal, die Sanierung von Rüstungsaltlasten oder die Verschrottung von Waffen eine bedeutende Investition in die Zukunft dar.


Die Umorientierung militärischer Forschung und Entwicklung

Die militärische Forschung und Entwicklung war eine der Kräfte, die den Rüstungswettlauf zwischen Ost und West angetrieben haben; sie spielt noch immer eine zentrale Rolle bei der Modernisierung von Waffensystemen. Ein beachtliches wissenschaftliches Know-how und Ingenieurpotential ist in diesem Bereich gebunden. Wenngleich nur ungefähre und global kaum vergleichbare Zahlen vorliegen, schätzt eine Studie der Vereinten Nationen, daß von den weltweit fünf bis sieben Millionen Forschern Ende der achtziger Jahre etwa 1,5 Millionen für das Militär arbeiteten.

Ungefähr zwölf Prozent aller Rüstungshaushalte – mithin etwa 110 Milliarden Dollar – wurden 1990 für militärische Forschung und Entwicklung aufgewendet; 80 Prozent dieser Summe entfielen allein auf die Vereinigten Staaten und die ehemalige Sowjetunion. Wegen der wirtschaftlich katastrophalen und politisch unsicheren Lage in Rußland und den anderen Nachfolgestaaten der UdSSR waren die Folgen des Umschwungs dort nicht gradueller, sondern grundsätzlicher Art: Den ehemals privilegierten militärischen Forschungseinrichtungen und Waffenlabors ist buchstäblich der Geldhahn zugedreht worden. Die Wissenschaftler und Ingenieure suchen intensiv, doch bislang ohne sonderlich überzeugende Perspektiven und wenig erfolgreich nach zivilen Alternativen. Die USA haben zwar ebenfalls die staatlichen Mittel für die großen Waffenlabors und Entwicklungsabteilungen der Rüstungsindustrie stark gedrosselt, und auch in vielen anderen Industrieländern sanken in den letzten fünf Jahren die Ausgaben dafür; dennoch entfallen noch immer erhebliche Anteile der staatlichen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung auf die Bereiche Rüstung und Militär (Bild 1).

Die Kürzungen der Mittel haben mehrere Auswirkungen. Zunächst einmal wird der sogenannte Spin-off-Effekt reduziert: Technologien, die im Rüstungsbereich entwickelt, aber auch für zivile Zwecke angewendet werden können, gibt es künftig weniger. Dies ist indes durchaus positiv zu werten, denn trotz mancher Beispiele für gelungenen Spin-off läßt sich grundsätzlich feststellen, daß der Umweg über Rüstungsforschung aufwendiger und damit kostspieliger ist als die direkte Förderung ziviler Projekte. Die militärische Forschung und Entwicklung bindet zudem qualifizierte Arbeitskräfte sowie materielle und finanzielle Ressourcen. Durch Einschränken der Rüstungsforschung werden diese Kapazitäten frei, die sich sodann für neue gesellschaftliche Herausforderungen nutzen lassen.

Für Wissenschaftler und Ingenieure war die Mitarbeit an der Entwicklung neuer Waffensysteme aus drei Gründen besonders reizvoll: Sie waren aufgrund ihrer Tätigkeit in vieler Hinsicht privilegiert, finanzielle Mittel standen reichlich zur Verfügung, und die aufwendigen Rüstungsprojekte stellten technisch interessante Aufgaben dar. Eine Umorientierung ist nun dadurch erschwert, daß die Forscher auf militärische Anwendungen spezialisiert sind und ihre Forschungsergebnisse früher häufig nicht veröffentlichen durften, sich also nicht der Konkurrenz am Markt stellen mußten, und des weiteren dadurch, daß die von ihnen entwickelten Produkte überhöhte Leistungsmerkmale erfüllen mußten, die auf dem zivilen Markt nicht erforderlich sind. Einem großen Teil des Fachpersonals kann darum – wenn überhaupt – schwerlich ohne weiteres eine Tätigkeit in ziviler Forschung und Entwicklung geboten werden; oft bleibt gegenwärtig nur die Wahl zwischen Arbeitslosigkeit und Abwandern in andere Länder. Um den zu Tausenden betroffenen Wissenschaftlern und Ingenieuren Arbeitsmöglichkeiten in anderen Bereichen zu eröffnen, sind Programme zur Umorientierung, Umschulung und Reintegration unerläßlich.


Umstellen der Rüstungsindustrie

Vor allem in den USA und in Westeuropa sind seit Ende der achtziger Jahre zahlreiche Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie verlorengegangen. Allein in Deutschland nahm nach Angaben der betroffenen Firmen die Zahl der Beschäftigten in den letzten drei Jahren von 280000 auf etwa 180000 ab. Dennoch sind – global betrachtet – beträchtliche Überkapazitäten vorhanden, zumal manche Länder wie Australien, Japan, Südkorea, Taiwan und die Türkei ihre Rüstungsproduktionsstätten ausbauen oder modernisieren.

In Rußland und in der Ukraine, wo die meisten der ehemals sowjetischen Rüstungsbetriebe stehen, ist zwar die Produktion der Waffen drastisch zurückgegangen; mangels Alternativen gelang es aber bis jetzt nicht, die Fabriken gezielt auf zivile Fertigung umzustellen oder die Zahl der Beschäftigten drastisch zu senken. Obgleich Konversionsmaßnahmen vereinzelt eingeleitet wurden, scheiterten umfassende Programme jedoch bereits im Ansatz – insbesondere aufgrund der allgemein instabilen Situation in Wirtschaft und Politik sowie der Schwierigkeiten bei der Transformation der zentralen Planungsbürokratie in ein anderes, sich dem westlichen sozialen Kapitalismus annäherndes Wirtschaftssystem.

Ausschlaggebend für die Krise der Rüstungsindustrie generell sind die rückläufigen Beschaffungsausgaben in den meisten Ländern und ein kontinuierlicher Rückgang des Waffenexports seit 1987, der sich im letzten Jahr auf einem wesentlich niedrigeren Niveau zu stabilisieren begann.

Weltweit beschäftigte diese Branche Anfang der neunziger Jahre ungefähr 15 Millionen Arbeitskräfte – etwa so viele wie zehn Jahre zuvor, aber etwa eine Million weniger als Mitte der achtziger Jahre. Inzwischen dürfte die Beschäftigtenzahl weiter beträchtlich geschrumpft sein. Von den damit verbundenen Problemen sind hauptsächlich solche Länder betroffen, die große Produktionskapazitäten aufgebaut haben: Etwa 80 Prozent aller Rüstungsfachkräfte sind in den Industriebetrieben der früheren Sowjetunion, Chinas, der USA und der westeuropäischen Staaten Großbritannien, Frankreich und Deutschland tätig (Bild 2).

Freilich hat der Verlust von Arbeitsplätzen erst begonnen. Einer Studie des Internationalen Friedensforschungsinstituts SIPRI in Stockholm zufolge sind von 1993 bis 1998 drei bis vier Millionen Beschäftigte von Entlassung bedroht. Sollte sich die wirtschaftliche Situation in Rußland nicht stabilisieren, wird diese Zahl sich noch erhöhen, denn bislang wurden in der dortigen Rüstungsindustrie kaum Arbeitskräfte freigesetzt, weil entsprechende Alternativen in anderen Sektoren fehlen.

Die Unternehmen reagieren auf die Krise mit unterschiedlichen Strategien. Einige verkaufen ihre auf Rüstung spezialisierten Betriebe und Tochterfirmen oder ziehen sich gänzlich aus dieser Branche zurück. Andere diversifizieren, um die Abhängigkeit von militärischen Aufträgen zu verringern, oder entlassen Beschäftigte. Die größeren Firmen schließen sich immer häufiger zu internationalen Konsortien zusammen, um ihren Anteil am kleiner werdenden Finanzvolumen zu erhöhen. Der derzeitige Schrumpfungsprozeß geht darum vor allem zu Lasten kleiner und mittlerer Betriebe. Die Internationalisierung bringt zudem zusätzliche Probleme bei der Exportkontrolle mit sich.

Um den künftig noch dringlicheren Anpassungsprozeß wirtschaftlich und sozial zu erleichtern, sind wirksame Konversionsprogramme erforderlich, vor allem in den osteuropäischen Ländern und Rußland. Denn dort, wo es keinen funktionierenden Markt gibt, kann auch nicht dessen regulierendes Kräftespiel greifen.


Demobilisierung militärischen Personals

Weltweit stehen in regulären Streitkräften, paramilitärischen Verbänden und Oppositionsstreitkräften noch 32 Millionen Soldaten unter Waffen. Ein großer Prozentsatz davon wird abgebaut. Ebenso verlieren Millionen Zivilbeschäftigte (deren Gesamtzahl nicht einmal annähernd bekannt ist) ihren Arbeitsplatz. Mehr als drei Millionen Soldaten wurden bereits zwischen 1990 und 1993 demobilisiert (Bild 3); in den nächsten Jahren dürften es offiziellen Ankündigungen zufolge noch einmal so viele sein.

In einigen Regionen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas wurden nach vielen Jahren Krieg, innergesellschaftlicher Konflikte, Menschenrechtsverletzungen sowie sozialer und wirtschaftlicher Krisen Friedensverträge geschlossen oder Waffenstillstandsabkommen getroffen, wenn auch nicht immer erfolgreich implementiert. In Europa hingegen – vor allem in Rußland und im vereinigten Deutschland – sind die Demobilisierung von Soldaten und die Entlassung von Zivilangestellten eine Folge von völkerrechtlich bindenden Abkommen sowie von Einsparungen in den öffentlichen Haushalten.

In Deutschland werden rund 60 Prozent des von den deutschen und ausländischen Streitkräften abhängigen Personals abgebaut; etwa 1,2 Millionen Arbeitsplätze sind betroffen. Hinzu kommt noch eine nicht genau bekannte Anzahl von Arbeitsplätzen, die indirekt von Kasernen und anderen militärischen Einrichtungen abhängen (Bild 4).


Nutzung militärischer Einrichtungen für zivile Zwecke

Ein Teil der militärischen Infrastruktur wie Kasernen, Übungsplätze und Kommunikationsmittel wird frei und läßt sich zivil nutzen. Allein in Deutschland sind dies mehr als 1000 Einrichtungen. Etwa 9200 Quadratkilometer – eine Fläche halb so groß wie Sachsen – wurden auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges in den damals beiden Teilen Deutschlands militärisch genutzt; allein im Land Brandenburg entfielen acht Prozent der Fläche auf Militärstandorte.

Größe und Art der frei werdenden militärischen Flächen und Einrichtungen variieren sehr stark, so daß Verallgemeinerungen nicht möglich sind. Der Verlust vieler Arbeitsplätze hat aber wirtschaftliche Folgen: Das Einkommen sowie dadurch auch der Konsum in der Region sinken, während die Arbeitslosigkeit steigt, sofern keine Kompensationsarbeitsplätze angeboten werden. Durch Multiplikatoreffekte können sich diese Auswirkungen noch verstärken.

Das Ausmaß der wirtschaftlichen Schwierigkeiten wird aber häufig überschätzt. Erfahrungen mit der Schließung von Militärstandorten in den USA haben gezeigt, daß die Prognosen oft zu pessimistisch sind. Insbesondere die kompensatorischen Beschäftigungsmöglichkeiten wurden vielfach unterschätzt. Der Erfolg von Konversionsmaßnahmen bei der Aufgabe oder der Verkleinerung von Militärbasen hängt vom Zustand der regionalen Wirtschaft, ihrem Grad an Abhängigkeit von militärischen Aktivitäten und der Flexibilität aller Beteiligten ab.

Frei werdende Anlagen wurden bisher recht unterschiedlich genutzt. Weil ihre Anzahl sehr groß ist, sind die Kommunen bestrebt, mit Subventionen Investoren anzulocken. Am häufigsten hat man die Areale in Freizeiteinrichtungen, Industrieparks, Lagerhallen und zivile Flugplätze umgewandelt.

Ob und inwieweit die freigegebenen Flächen saniert werden müssen, läßt sich noch nicht überschauen. Oftmals sind die Reste technischer Einrichtungen, Lagergebäude, Boden und gar das Grundwasser verseucht, oder es wurden Munition und Kampfstoffe zurückgelassen. In jedem Einzelfall sind detaillierte Risikoanalysen erforderlich, bevor mit dem Dekontaminieren, dem Ausheben der Erde, dem Abpumpen von Wasser beziehungsweise mit physiochemischen oder mikrobiologischen Behandlungen begonnen werden kann, um überhaupt die Voraussetzung für eine alternative Nutzung zu schaffen.

Wohin mit den Waffen?

Viele Waffenkategorien werden reduziert, zum Teil in starkem Umfang. Die Vereinigten Staaten und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion verhandeln außerdem über die Abrüstung, Verschrottung und sichere Entsorgung nuklearer Waffen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei, daß keine Komponenten von Atomsprengkörpern oder Trägersystemen in unbefugte Hände gelangen und keine Nuklearexperten in andere Länder abwandern. Chemische Waffen sollen langfristig völlig beseitigt werden. Bei der umweltgerechten Entsorgung der riesigen Bestände an Massenvernichtungsmitteln sind nicht nur technische Probleme zu bewältigen, sie ist auch sehr teuer und wird sich über mehrere Jahrzehnte erstrecken.

Im Bereich der konventionellen Waffen sind allein durch ein entsprechendes Abkommen im Rahmen der Konferenz über Sicherheit in Europa (KSE) fast 40000 Systeme abzubauen (Bild 5). Die Anzahl der weltweit überschüssigen Waffensysteme ist nicht einmal annähernd bekannt. Es ist auch nicht zu ermitteln, welche dieser Waffen in Kriegs- oder Konfliktgebiete geliefert werden – daß sie dort selbst nach Ende der Kampfhandlungen den Wiederaufbau behindern können, zeigen vor allem die Millionen von Landminen, die in zahlreichen Ländern noch vergraben sind und unter der Zivilbevölkerung unermeßliches Elend durch Tod oder Verletzungen anrichten.

Wie problematisch es sein kann, wenn kurzsichtig orientierte Politik der Maßstab für die Beseitigung obsolet gewordener Waffensysteme ist, zeigt in Deutschland der Umgang mit der Hinterlassenschaft der Nationalen Volksarmee. Etwa 80 Prozent dieser Waffen und Geräte benötigt die Bundeswehr nicht: unter anderem 52000 Lastkraftwagen, 25000 Anhänger, 1500 Motorräder, 295000 Tonnen Munition, 1,2 Millionen Handfeuerwaffen, 4500 Tonnen Raketen-Flüssigtreibstoff und 760000 Uniformen. Ein Teil dieses Materials wurde exportiert, und zwar in die Türkei, nach Indonesien und Uruguay, in skandinavische Länder, nach Frankreich, Großbritannien und in die USA. Hierzulande haben aber die Schiffslieferungen nach Indonesien und vor allem die Exporte in den NATO-Partnerstaat Türkei eine heftige politische Kontroverse ausgelöst, weil der Einsatz dieser militärischen Güter in den dort ausgetragenen Konflikten nicht zu verhindern wäre.

Solche Transfers sind sicherlich die kostengünstigste Möglichkeit eines Staates, sich überschüssiger Waffensysteme zu entledigen. Man spart nicht nur die ansonsten aufzubringenden Kosten für die Verschrottung, sondern erzielt sogar noch Deviseneinnahmen. Doch ist der politische Preis hoch, wenn der Abbau militärischer Potentiale in Europa mit dem Anheizen des Rüstungswettlaufs in anderen Regionen der Welt erkauft wird.

Welche Alternativen gäbe es? Die Lagerung überschüssiger Systeme wäre die einfachste, jedoch keine erstrebenswerte Methode, weil ausgemusterte Waffen reaktiviert werden können. Verschiedene Rüstungskontrollvereinbarungen – etwa START und KSE – verbieten sogar ausdrücklich die Lagerung.

Die Verschrottung oder zumindest das Unbrauchbarmachen für den militärischen Einsatz wäre teuer und mit ökologischen Risiken verbunden; denn nicht nur bei nuklearen Waffen, sondern auch bei konventionellen Systemen ist die technische Verwertung aufwendig und kompliziert. Zudem sind die Kosten der Verschrottung häufig höher als der erzielbare Materialpreis.

Wegen finanzieller Schwierigkeiten praktizieren deshalb manche Länder unfreiwillig eine andere Methode: Sie verzichten auf Wartung und Reparatur der Waffensysteme und lassen sie einfach verschleißen. Die russische Flotte beispielsweise rostet buchstäblich vor sich hin. Eine solche Handlungsweise ist jedoch bedenklich, nicht nur wegen der großen Versuchung, die Waffen letztlich doch zu exportieren, sondern auch, weil nicht absehbare Umweltprobleme auftreten können.

Die letzte Möglichkeit schließlich ist eine zivile Nutzung – entweder direkt oder nach Umbau. Sie läßt sich aber nur in begrenztem Maße realisieren. Immerhin sind vor allem Radarsysteme, Hubschrauber, Satelliten und Lastwagen für friedliche Zwecke zu nutzen, manchmal auch Panzer (Bild 6).


Kurzfristige Kosten – langfristiger Nutzen

Rüstungskontrolle und Abrüstung haben sowohl positive wie auch negative wirtschaftliche und soziale Folgen (Bild 7). Kurzfristig dominieren die Probleme: Arbeitsplätze gehen verloren, die Industrie leidet unter Auftragsrückgängen, die Verschrottung von Waffen ist kostspielig, Schadstoffe belasten die ehemals militärischen Areale, und die Demobilisierung von Soldaten verursacht gesellschaftliche Schwierigkeiten und in manchen Ländern auch politische Spannungen. Die für die Bewältigung dieser Probleme erforderlichen logistischen, technischen und finanziellen Mittel lassen sich insbesondere unter schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen nur schwer aufbringen.

Langfristig jedoch zahlen sich Friedensdividenden aus: Belastungen durch militärische Aktivitäten entfallen, mit hohem Aufwand ausgebildete spezifische Fähigkeiten und das Kreativitätspotential des Personals sowie finanzielle und materielle Ressourcen lassen sich umwidmen, so daß sich völlig neue wirtschaftliche Optionen eröffnen. Damit wird der Abrüstungsprozeß zu einer bedeutenden Investition für die Zukunft.

Anfang der neunziger Jahre hat sich der Demilitarisierungsprozeß beschleunigt. Mit Konversion – hier als operativer Bestandteil der Abrüstung verstanden – haben jedoch erst einige Staaten begonnen. Insbesondere in vielen Entwicklungsländern, welche die Demobilisierung von Soldaten zu bewältigen haben, hat dieser Prozeß noch nicht eingesetzt. Gezieltes und geplantes Vorgehen bei der Abrüstung ist für den Übergang erforderlich, um politische Rückschläge, soziale Instabilität und negative Auswirkungen auf die Wirtschaft zu vermeiden.

Konversion ist nicht unumstritten. Die Umstellung der Rüstungsproduktion auf zivile Güter könne, so heißt es gelegentlich, nicht funktionieren. Als Beleg führen die Kritiker Beispiele aus Rußland an, wo man – in völliger Verkennung der wirtschaftlichen und technischen Realitäten – Raketen- in Kinderwagenfabriken umzuwandeln suchte. Dies ist sicherlich kein Beleg für die Unmöglichkeit von Konversion, sondern für falsch verstandene Politik. Spitzentechnologie-Unternehmen kann man nicht damit beschäftigen wollen, simple Konsumgüter herzustellen. Das Ergebnis wäre allenfalls ein überteuertes Produkt.

Als zweiter Kritikpunkt wird mitunter angeführt, Konversion sei ein kurzfristiger Prozeß, der durch die Marktkräfte geregelt werde. Auf manche Anpassungen wie etwa den Abbau der Arbeitskräfte in der Rüstungsindustrie mag dies zutreffen. Die sozialen und wirtschaftlichen Kosten ließen sich allerdings reduzieren, wenn dieser Prozeß von positiven Strukturmaßnahmen begleitet wäre. Andere Anpassungen hingegen sind mit den Kräften des freien Marktes nicht regulierbar, sondern erfordern planerischen Eingriff – so etwa bei der Dekontamination verseuchter Liegenschaften. Die Erfahrungen der letzten drei Jahre in der Bundesrepublik haben gezeigt, daß es eher Jahrzehnte als Jahre dauern wird, die Altlasten des Kalten Krieges abzubauen.

Literaturhinweise


– Arms Industry Limited. Herausgegeben von Herbert Wulf. SIPRI/Oxford University Press, 1993.

– Conversion. Opportunities for Development and Environment. Herausgegeben von A. Brunn, L. Baehr und H.-J. Karpe. Springer, Heidelberg 1992.

– Kleinere Bundeswehr und weniger Rüstung. Von M. Grundmann und M. Matthies. Lit-Verlag, Münster und Hamburg 1993.

– Economic Aspects of Disarmament: Disarmament as an Investment Process. Von K. Hartley und anderen. Dokument A/47/150. United Nations, New York 1993.

– Rüstung und Konversion. Politische Voraussetzungen und wirtschaftliche Folgen für die Bundesrepublik. Herausgegeben von L. Köllner und B. Huck. Campus, Frankfurt am Main 1990.

– Economic Adjustment after the Cold War: Strategies for Conversion. Von M. Renner. UNIDIR, Aldershot und Dartmouth 1992.

– Conversion: Economic Adjustment in an Era of Arms Reduction. Disarmament Topical Papers, Heft 5. United Nations, New York 1991.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1994, Seite 96
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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