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Konzentration: Bleib bei der Sache!

Sich für längere Zeit auf eine Aufgabe zu konzentrieren, erfordert ein hohes Maß an Selbstkontrolle. Hirnforscher kennen inzwischen eine Reihe neuronaler Schaltkreise, die unsere Aufmerksamkeit steuern – und haben Ratschläge, wie man sie gezielt beeinflusst.
Student lernt spätabends in der Bibliothek

Im Lesesaal der Universitätsbibliothek Heidelberg herrscht konzentrierte Stille. Hier und da hört man leises Tippen, Buchseiten rascheln, irgendwo seufzt jemand. Tag für Tag kommen Studierende hierher, um für eine Prüfung zu lernen, ein Referat vorzubereiten oder an der Abschlussarbeit zu schreiben. »In meiner WG bin ich ständig abgelenkt«, erzählt Hannah, die gerade in den letzten Zügen ihrer Hausarbeit steckt. Die bedächtige Atmosphäre in der Bibliothek hilft ihr dabei, sich auf den Stoff zu fokussieren.

Dabei sind die Verlockungen, etwas anderes zu tun, groß. Allein das Smartphone bietet gigantische Ab­lenkungsmöglichkeiten: Was gibt es Neues auf Social Media? Kam nicht gerade eine Eilmeldung von »Spiegel Online« rein? Und sollte ich nicht noch schnell der ­besten Freundin antworten? Dazu kommen mancherorts endlos Reize aus der Umgebung – Gesprächsfetzen, klingelnde Handys, der Trubel draußen vor dem Fenster.

Das hat auch Florian während seines Studiums der Betriebswirtschaftslehre gemerkt. Der heute 35-Jährige blickt mit Unbehagen auf diese Zeit zurück: »Tag für Tag saß ich an meinen Übungsblättern oder Hausarbeiten. Sobald ich einen Absatz – oder auch nur einen einzigen Satz – geschrieben hatte, dachte ich ›Jetzt erstmal zu Facebook!‹. Und plötzlich war schon wieder eine Stunde rum.«

»Unser Gehirn kann nur ganz wenige Sinnesinformationen gleichzeitig aufnehmen und verarbeiten«, erklärt die Neurowissenschaftlerin Sabine Kastner, die mit ihrem Team an der Princeton University im US-Bundesstaat New Jersey die neuronalen Grundlagen von Wahrnehmung erforscht. Damit die Reize diesen Flaschenhals nicht nach dem Zufallsprinzip passieren, hat das Gehirn ein System entwickelt, das wir Aufmerksamkeit nennen. »Das sind eine Reihe von neuronalen Mechanismen, die die ankommenden Informationen selektieren.« Was gerade wichtig ist, wird durchgelassen, der Rest einfach ausgeblendet. Das kann zum Beispiel räumlich geschehen: »Im Moment richte ich meine Aufmerksamkeit auf Sie«, sagt Kastner, die mich während unseres Videotelefonats auf Ihrem Computerbildschirm sieht. »Die Vögel draußen vor dem Fenster nehme ich nicht wahr.«

Das Aufmerksamkeitsfenster kann man sich vorstellen wie einen Scheinwerferkegel. Was sich außerhalb befindet, wird nicht verarbeitet. Fachleute sprechen auch von einer »mexican-hat«-Verteilung. Wie bei einem Sombrero befindet sich die höchste Stelle, also diejenige mit der intensivsten Wahrnehmung, in der Mitte. Drumherum ist eine Senke, also ein Bereich, in dem die Wahrnehmung unterdrückt ist.

Diese Art von neuronalem Filter befindet sich auf einer der ersten Verarbeitungsstufen der Sinnesreize im Gehirn – in den frühen sensorischen Arealen. Im weiteren Verlauf, im Scheitellappen und im frontalen Kortex, liegen so genannte Aufmerksamkeitsnetzwerke, die die neuronalen Filter steuern. »Das Frontalhirn bestimmt, wo die Spitze des mexikanischen Huts sein soll«, erklärt Kastner.

Wie eine Gruppe um den Neurowissenschaftler Michael Halassa vom Massachusetts Institute of Technology 2019 herausfand, bewertet der präfrontale Kortex, wie relevant die Reize sind. Erachtet er sie als unwichtig, schickt er über die Basalganglien ein hemmendes Signal an einen Teil des Thalamus – ein Kerngebiet im Zwischenhirn –, der den Informationsfluss stoppt. Dabei ist der Filter nicht auf Sehinformationen beschränkt: Lesen wir zum Beispiel einen Text in der Unibibliothek, unterdrückt er die Geräusche, etwa das ...

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