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Konzentrierte Polymerdispersionen - Beziehungen zwischen Struktur und Eigenschaften


Polymerdispersionen sind technisch besonders interessante kolloidale Systeme. Ehemals dem Latex des Naturkautschuks nachempfunden, bestehen sie aus winzigen Polymerteilchen, die in einem flüssigen Medium gleichmäßig verteilt (dispergiert) sind.

Annähernd 30 Prozent aller Kunststoffe werden heute in Form von Dispersionen hergestellt oder verarbeitet. Die dazu unter anderem benutzte Emulsionspolymerisation ist eines der umweltfreundlichsten Polymerisationsverfahren. Dabei werden die Monomere zunächst in Wasser gelöst oder in Form feinster Tröpfchen in einem zumeist wäßrigen Medium emulgiert. Nach dem Starten der Polymerisationsreaktion, bei der sich die Monomere zu langen Kettenmolekülen aneinanderlagern, wachsen die Tröpfchen auf Kosten der gelösten Monomere und härten zu 0,05 bis 1 Mikrometer (tausendstel Millimeter) kleinen kugelförmigen Teilchen aus.

Chemisch handelt es sich je nach Verwendungszweck um Kunststoffe auf der Basis von Styrol, Butadien, Acrylsäurederivaten oder Vinylestern, um nur die wichtigsten Ausgangssubstanzen zu nennen. Das Anwendungsgebiet derartiger Dispersionen reicht von Lack- und Beschichtungssystemen über Haftklebstoffe und teildurchlässige Folien bis zur Papier- und Textilveredlung und umfaßt zahlreiche weitere Spezialgebiete.

Vor allem bei den Anstrich- und Klebstoffen ist der Trend von lösungsmittelhaltigen Produkten zu umweltfreundlicheren wasserverdünnbaren Dispersionen unübersehbar. Um die geforderten Eigenschaften von Anstrichlacken zu erhalten, braucht man Polymere mit hohem Molekulargewicht. In Lösung sind solche Makromoleküle freilich schon bei geringer Konzentration hochviskos und lassen sich nur dann gut verarbeiten, wenn man sie mit großen Mengen organischer Lösungsmittel verdünnt; diese verdampfen jedoch beim Trocknen des Lacks und entweichen so in die Umwelt. Dispersionsfarben sind dagegen frei von organischen Lösungsmitteln und können noch mit Feststoffgehalten bis zu 70 Prozent fließfähig hergestellt werden.

Eine technisch wichtige Eigenschaft solch konzentrierter Dispersionen ist ihre Stabilität gegenüber Sedimentation und Koagulation. Große Bedeutung hat aber auch ihr Fließverhalten. Und schließlich ist entscheidend, unter welchen Bedingungen sich Filme bilden und welche Eigenschaften sie haben. Aufgabe der Dispersionsforschung ist es deshalb, allgemeingültige Zusammenhänge zwischen diesen makroskopischen Eigenschaften einer Dispersion und internen Parametern wie der Konzentration und Größe der Teilchen sowie den Wechselwirkungen zwischen ihnen zu ermitteln, um dann das Eigenschaftsprofil einer Polymerdispersion gezielt zu beeinflussen. Dabei zeigt sich eine erhebliche Lücke zwischen dem fortgeschrittenen Kenntnisstand der kolloid- und polymerwissenschaftlichen Grundlagenforschung und seiner praktischen Umsetzbarkeit beim Entwickeln von anwendungsreifen Dispersionen. Diesem Problem widmen wir uns am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung in Teltow.


Strukturmodelle

Weil die Polymerpartikel hydrophob (wasserabweisend) sind, neigen sie in wäßriger Umgebung dazu, sich zusammenzulagern (zu koagulieren), um die Grenzfläche zum Wasser gering zu halten. Man muß sie daher stabilisieren, indem man ihre Oberfläche elektrisch auflädt, so daß sie einander abstoßen, oder sie mit einer Schutzschicht – beispielsweise aus Tensiden – umhüllt, die zwischen Partikeln und Wasser vermittelt.

Wie die Energie zweier Dispersionsteilchen von ihrem Abstand abhängt, läßt sich theoretisch berechnen. Kompliziert wird die Situation jedoch beim Übergang von der verdünnten zur konzentrierten Dispersion; denn dann treten viele Teilchen gleichzeitig in Wechselwirkung. In diesem Falle ist die Struktur des Systems entscheidend; sie läßt sich mit Licht-, Röntgen- oder Neutronenkleinwinkelstreuung experimentell bestimmen und theoretisch durch die radiale Verteilungsfunktion beschreiben (Bild 1).

Sind die Partikel in Form und Größe sehr einheitlich, bilden sich regelmäßige Strukturen, die theoretisch besonders leicht zu behandeln sind. Unter diesen Umständen werden die Teilchen durch ihre gegenseitige Abstoßung wie in einem Kristall auf feste Gitterplätze gezwungen; gegen die normalerweise vorherrschende regellose Brownsche Bewegung setzt sich somit eine Fernordnung im System durch (Bild 2).

Wegen ihrer einfachen Struktur bilden solche Dispersionen ideale Modellsysteme, um die Ergebnisse theoretischer Berechnungen zu überprüfen. Beispielsweise läßt sich für monodisperse Polymerlatices (wäßrige Dispersionen von Polymerteilchen, die in Form, Größe und chemischer Zusammensetzung übereinstimmen) ein Zusammenhang zwischen der Potential-Abstands-Funktion zweier Partikel und dem Verhalten der Dispersion gegenüber Scherkräften (ausgedrückt im elastischen Schermodul) herleiten. Diese Beziehung konnten wir durch rheologische Messungen bestätigen.

Fließverhalten

Generell befaßt sich die Rheologie mit der Deformation und dem Fließen von Stoffen bei mechanischer Beanspruchung. Damit ist sie für die Herstellung und Anwendung von Polymerdispersionen höchst bedeutsam. Solche Dispersionen verhalten sich nämlich oftmals nur bei sehr hohen und sehr niedrigen Scherbeanspruchungen wie Newtonsche Flüssigkeiten, deren Viskosität unabhängig von der Fließgeschwindigkeit ist (Bild 3). Bei mittlerer Beanspruchung nimmt die Viskosität meist mit zunehmender Scherung ab. Das ist für viele Anwendungen durchaus erwünscht; denn dadurch lassen sich die Dispersionen gut streichen, spritzen, pumpen oder durch Rohrleitungen transportieren.

Für manche Dispersionen gibt es andererseits eine Fließgrenze: Ähnlich wie Zahnpasta verformen sie sich bei minimaler Beanspruchung elastisch wie ein Festkörper. Dies macht man sich bei den sogenannten festen Dispersionsfarben zunutze. Desgleichen kann die Viskosität bei größeren Beanspruchungen mitunter sprunghaft zunehmen. Diese Scherverdickung oder Dilatanz macht sich beispielsweise auf schnell laufenden Beschichtungsmaschinen bisweilen störend bemerkbar.

Ein weiterer wichtiger Effekt für Anwendungen von Polymerdispersionen ist die sogenannte Viskoelastizität. Sie tritt auf, wenn die zugeführte mechanische Energie beim Fließen nicht vollständig in Wärme umgewandelt, sondern teilweise elastisch gespeichert wird. Ob viskose oder elastische Eigenschaften überwiegen, hängt dabei von der Zeitskala ab, in der sich der Vorgang abspielt. Während beim langsamen Fließen meist rein viskoses Verhalten auftritt, ist bei schnell ablaufenden Prozessen wie dem Verspritzen von Autolacken die elastische Komponente nicht zu vernachlässigen.

Alle beschriebenen Fließphänomene stehen offenbar in engem Zusammenhang mit dem Aufbau, der Zerstörung oder der Umorientierung innerer Strukturen des kolloidalen Systems und lassen sich auf diese Weise auch qualitativ erklären. Wir bemühen uns jedoch, die Abhängigkeit der Viskosität von Konzentration und Beanspruchung bei konkreten Polymerdispersionen möglichst quantitativ zu beschreiben. In einigen Fällen ist uns dies bereits durch eine mathematische Modellierung gelungen. Grundlage der Berechnungen bildete das Konzept der effektiven Volumenkonzentration. Dabei dienen die Größenverteilung der Dispersionsteilchen und die Dicke der wirksamen Grenzflächenschicht an der Teilchenoberfläche als wichtigste Eingangsgrößen, die zunächst sorgfältig experimentell bestimmt werden müssen. Die Ergebnisse helfen Herstellern und Verarbeitern von Polymerdispersionen, Viskositätsniveau und Fließverhalten ihrer Produkte gezielt einzustellen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1994, Seite 100
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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