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Korrosion in der Hochtemperaturtechnik


Die klassische Korrosion durch Flüssigkeiten ist aus dem Alltag wohlbekannt: Ionen in Wasser lassen Eisen und Stahl rosten. Weitgehend im Verborgenen verläuft hingegen die Hochtemperaturkorrosion durch heiße Gase, wie sie etwa bei Verbrennung, Verschwelung oder Vergasung auftreten. So sind in Flugtriebwerken die Oberflächen von Turbinenschaufeln nahe der Brennkammer Temperaturen von rund 1000 Grad Celsius ausgesetzt. Korrosion wird bei dieser Hitze vor allem durch schwefelhaltige Komponenten des Treibstoffs sowie Sauerstoff und Stickstoff der Verbrennungsluft ausgelöst. Spezielle Schutzschichten mit optimierter Legierungszusammensetzung sind für diese Anwendung deshalb unabdingbar.
Auspuffkrümmer und metallische Katalysatorträger von Kraftfahrzeugen können gleichfalls durch Reaktion des Luftsauerstoffs mit den heißen Metalloberflächen verzundern, also ein sprödes Metalloxid bilden. Insbesondere Katalysatorträger verlieren durch solche Abzehrung schnell ihre Funktion, bestehen sie doch aus nur einige zehntel Millimeter dicken Metallfolien.
Hochtemperaturkorrosion ist zudem ein Problem der Energietechnik, denn der thermische Wirkungsgrad der Anlagen steigt mit der Betriebstemperatur. Neuere Konzepte für Kohlekraftwerke sehen vor, den Brennstoff zunächst zu vergasen, das Brenngas dann zu verbrennen und so eine Gasturbine zu betreiben, die über einen Generator elektrischen Strom erzeugt (Bild 1). Die Verbrennung verbleibender Feststoffe liefert über ein Wärmetauschersystem überhitzten Dampf, der seinerseits eine Dampfturbine beziehungsweise einen Generator antreibt. Zudem wird an verschiedenen Stellen der Anlage Restwärme über weitere Wärmetauschereinrichtungen genutzt.
Zwar läßt sich so der Energieinhalt des Brennstoffs optimal umsetzen, doch alle heißen Bereiche wie Wärmetauscher, Gasturbine und die derzeit bei etwa 550 Grad Celsius betriebene Dampfturbine sind durch Hochtemperaturkorrosion gefährdet. Die größten Probleme treten allerdings beim Vergasen auf, wo meist sehr aggressive Atmosphären mit niedrigen Sauerstoffgehalten und gleichzeitig erhöhten Anteilen an schwefel- und/oder chlorhaltigen Verbindungen vorliegen. Ähnliche Verhältnisse findet man auch bei verschiedenen Destillations- und Vergasungsprozessen in der chemischen Industrie sowie in Vergasungs- oder Verbrennungsanlagen für Haus-, Industrie- und Sondermüll.

Grundlegende Mechanismen

Prinzipiell unterscheidet man zwei Formen der Hochtemperaturkorrosion (Bild 2). Bei Typ I bildet sich eine poröse, rissige, spröde und voluminöse Schicht von Reaktionsprodukten auf der Werkstoffoberfläche, während gleichzeitig auch die Randzone angegriffen wird. Korrosionsprodukte entstehen entlang der Kristallkorngrenzen im polykristallinen Metall und auch im Inneren der Körner, also der einkristallinen Teilbereiche des metallischen Gefüges. Je nach umgebender Atmosphäre handelt es sich dabei um Oxide, Nitride, Carbide, Chloride oder Sulfide oder auch komplexere Verbindungen. Das Gefüge wird gestört, verliert an Stabilität und Belastbarkeit.
Bei hohen Temperaturen in technischen Atmosphären korrodieren alle metallischen Werkstoffe. Doch beim Typ II bildet sich eine sehr dünne, gasdichte und nur langsam weiterwachsende Deckschicht aus Reaktionsprodukten, die darunterliegendes Metall gegen korrosive Gase abschirmt. Der Angriff setzt sich nicht nach innen fort, und auch der Metallabtrag bei der Deckschichtbildung ist gering (vergleichbar der Bildung einer Passivschicht bei wäßriger Korrosion). Im wesentlichen besteht der schützende Belag aus Aluminiumoxid, Chromoxid oder Siliciumoxid; als Reaktionspartner sind also Sauerstoff in der Prozeßatmosphäre und die entsprechenden Metalle als Bestandteil des Werkstoffs in ausreichender Menge erforderlich.

Schutzschichten aus Titanaluminium

Dieses Wissen macht man sich zunutze, um die Abzehrung der Werkstoffe gering zu halten, während man zunehmend höhere Temperaturbereiche erschließt. Bei verschiedenen industriellen Vergasungsprozessen ist der Sauerstoffgehalt in der Reaktoratmosphäre aber meist zu gering, um mit dem Chrom der für solche Anwendungen üblichen Stähle eine Chromoxid-Deckschicht zu bilden (Bild 3 links). Vielmehr entstehen poröse, rissige und abblätternde Sulfidschichten ohne jede Schutzwirkung (Bild 3 rechts). Legierungen mit hohen Anteilen an Aluminium oder Silicium, die entsprechende schützende Oxidschichten bilden würden, scheiden dagegen als Vollwerkstoffe für den Großanlagenbau aus, weil sie zu teuer und meist sehr spröde sind.
Wie bereits für Triebwerksschaufeln wurden daher neuerdings auch für preiswerte, niedriglegierte Wärmetauscherstähle intermetallische Schichtsysteme entwickelt, die schützende Deckschichten ausbilden (als intermetallische Phase bezeichnet man einen geordneten Kristallbereich aus zwei oder mehr metallischen Elementen in stöchiometrischen Verhältnissen, also beispielsweise 1:1 oder 1:2. So besteht die intermetallische g-TiAl-Phase aus jeweils 50 Atomprozent Aluminium und Titan). Obwohl die Materialien für diese Schutzsysteme bislang nur als Vollwerkstoff für leichtgewichtige Bauteile in sauerstoffreichen Atmosphären bei Temperaturen bis 700 Grad Celsius vorgesehen sind, könnte man sie vor allem auch in sehr sauerstoffarmer Umgebung verwenden.
Solche Titanaluminium-Legierungen werden zunächst als Pulver hergestellt. Um sie auf einer Oberfläche aufzubringen, schmilzt man sie in einem Plasma und beschleunigt die ionisierten Partikel mittels elektrischer Felder; man spricht vom Plasmaspritzen. Beim Erkalten entsteht die gewünschte Auflageschicht und darauf eine sehr dünne, im wesentlichen aus Oxiden bestehende schützende Deckschicht (Bild 4). An einigen Stellen findet man allerdings nach dem Einsatz unter Prozeßbedingungen Schwefel, meist als Sulfid von Eisen, das beim Plasmaspritzen eingebracht wurde; in aktuellen Arbeiten sucht man den Spritzprozeß entsprechend zu optimieren, doch selbst mit diesen Unzulänglichkeiten liegt die Grenze der Temperaturbelastbarkeit immerhin bei etwa 700 Grad Celsius, während der unbeschichtete Stahl in diesen korrosiven Atmosphären nicht einmal bis 400 Grad Celsius beständig ist. Weil sich Beschichtung und Trägerstahl unter Erwärmung ähnlich stark ausdehnen, entstehen keine die Schichthaftung mindernden mechanischen Spannungen.

Der Mikrolegierungseffekt

Die Oxidationsbeständigkeit der Titanaluminium-Phase läßt sich überraschend durch sozusagen homöopathische Dosen von eigentlich die Hochtemperaturkorrosion fördernden Elementen wie Chlor oder Phosphor noch weiter verbessern. Bereits ein hundertstel Prozent an Chlor im Werkstoff senkt nach einer kurzen Inkubationszeit die Oxidationsgeschwindigkeit um mehrere Größenordnungen. Offensichtlich katalysiert das Element die Bildung einer reinen Aluminumoxid-Deckschicht, während sonst Titanoxid beigemischt ist. Bis 700 Grad Celsius schützt zwar auch diese Mischung, doch bei höheren Temperaturen wächst der Anteil des Titanoxids immer schneller, mehr und mehr Metall wird abgetragen, und die Deckschicht bietet infolgedessen keinen Schutz mehr. Besteht sie hingegen nur aus sich langsamer bildendem Aluminiumoxid, bleibt ihre Funktion noch weit über 1000 Grad Celsius gewahrt.
Zunächst hat man Chlor in den Werkstoff einlegiert, doch minderte das dessen mechanische Eigenschaften. Derzeit wird das Element entweder aufgedampft oder aber ionisiert, beschleunigt und eingeschossen. Insbesondere diese Ionenimplantation ermöglicht, sehr präzise geringe Dosen Chlor in die Werkstoffoberfläche einzulegieren, so daß die mechanischen Vorzüge des Materials insgesamt unverändert bleiben. Zwar ist das Verfahren derzeit nicht gerade kostengünstig, doch erlauben solche Legierungen weitere Gewichtseinsparung in der Luftfahrttechnik – ihr spezifisches Gewicht ist nur halb so groß wie das der derzeit als Trägerwerkstoff für Gasturbinenschaufeln verwendeten Nickelbasislegierungen. Der Mehraufwand würde sich demnach durch geringeren Treibstoffverbrauch und verminderte Geräuschentwicklung bezahlt machen.
Immer höhere Betriebstemperaturen und größere Zuverlässigkeit in zum Teil noch aggressiveren Umgebungen – die vorgestellten Verfahren bieten dafür noch erhebliches Entwicklungspotential. Betriebstemperaturen von mehr als 1000 Grad Celsius sind mittlerweile für metallische Legierungen denkbar – wenige hundert Grad unterhalb ihres Schmelzpunkts. Noch höhere Gastemperaturen erreicht man mit Wärmedämmschichten, bei denen auf dem metallischen Oxidationsschutz zusätzlich Keramik mit schlechter Wärmeleitfähigkeit aufgebracht wird. Sie senkt die Temperatur an der Metalloberfläche um mehr als 100 Grad. Allerdings sind keramische Schichten nicht gasdicht, und letztendlich hängt die Gebrauchsdauer davon ab, wie oxidationsbeständig die darunterliegende Schutzbeschichtung ist. Korrodiert sie, verliert die Wärmedämmschicht ihre Haftung. Die Folgen sind lokale Überhitzung und stark beschleunigte Hochtemperaturkorrosion – auch hier hat die Deckschicht eine Schlüsselfunktion.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1998, Seite 100
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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