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Kreislauf- oder Stoffwirtschaft?



In den letzten Jahrhunderten ist der gesamte Stoffumsatz der Menschen pro Kopf um rund das 20fache gestiegen – auf weit über 100 Tonnen jährlich. Den Hauptanteil daran haben erstens Wasser und Luft, die aber auch anthropogene Ausscheidungen wie Fäkalien, Kohlendioxid und andere organische und anorganische Emissionen transportieren. Zweitens verbraucht der Energie- und Transportsektor große Mengen an fossilen Brennstoffen, wobei treibhauswirksame Gase und Schadstoffe in die Atmosphäre gelangen. An dritter Stelle rangieren Materialien für Hoch- und Tiefbauten. Erst danach folgen die mannigfaltigen Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des täglichen Bedarfs. Verpackungsmaterialien haben also nur einen relativ geringen Anteil am gesamten Materialfluß.

Trotz des gestiegenen Umweltbewußtseins nimmt in den urbanen Regionen der Stoffumsatz weiterhin zu. Dies bedeutet, daß die Stoffmenge, die in den Verwertungsprozeß eingeht, wesentlich größer ist als diejenige, die ihn wieder verläßt. Sie schwillt beständig an.

Außerdem darf man nicht nur den derzeitigen Stoffumsatz betrachten. Viele der in der Vergangenheit gebrauchten Materialien befinden sich weiterhin im Lebensbereich des Menschen, obwohl sie ihre Funktion nicht mehr erfüllen. Abfallwissenschaftler nehmen an, daß immer noch mehr potentielle Roh- und Schadstoffe in den Städten eingebaut sind als bereits in letzte Senken – Deponien, Böden oder Sedimente – geleitet wurden.

Die Abfallwirtschaft hat zwei Aufgaben. Sie muß zunächst dafür sorgen, daß die bereits ausgebeuteten Ressourcen effizient genutzt werden. Des weiteren muß sie die langfristige Umweltverträglichkeit gewährleisten. Bei jedem Verfahren zur Verwertung von Abfällen entstehen aus thermodynamischen Gründen stets auch Emissionen und Rückstände, die – etwa im Falle des Kohlendioxids – zu verdünnen oder – wie beim Blei – sicher endzulagern sind.

Als Schlußfolgerung daraus haben die Österreicher im gesellschaftlichen Konsens in ihrem Bundesabfallwirtschaftsgesetz vier Ziele formuliert:

- Schutz von Mensch und Umwelt,

- Schonung von Rohstoff- und Energiereserven,

- geringstmöglicher Verbrauch an Deponievolumen und, gemäß dem Vorsorgeprinzip,

- kein Gefährdungspotential für nachfolgende Generationen durch Deponien.

Grundsätzlich sind diese Ziele durch Vermeidung, Verwertung und Entsorgung zu erreichen.

Die Kreislaufwirtschaft steht in Österreich nicht selbstverständlich und von vornherein an der Spitze des umweltverträglichen Handelns. Für Recycling entscheidet man sich, wenn dies die wirtschaftlichste und effizienteste Maßnahme darstellt, um die genannten vier Vorgaben zu erfüllen. Eine Priorität für stoffliche oder energetische Verwertung besteht nicht. Maßstab für den Erfolg in der Abfallwirtschaft sind folglich auch nicht in erster Linie die Recyclingraten. Statt dessen stellen wir uns unter anderem folgende Fragen: Welche Abfallmengen sind insgesamt zu bewältigen? In welchem Ausmaß lassen sich Abfälle stofflich und energetisch sinnvoll nutzen? Welche Deponievolumina werden benötigt? Wie lange ist Nachsorge für Deponien zu betreiben?

Zwar sind in der Abfallwirtschaft zum Beispiel auch Hygiene und andere Aspekte zu berücksichtigen. Maßgeblich für Entscheidungen über den Verbleib von Müll sind in Österreich jedoch die Stoffe selbst, denn diese – als einzelne chemische Elemente oder deren Verbindungen – verursachen ja die unerwünschten Emissionen, gefährden die Deponietauglichkeit bestimmter Abfallarten oder kommen als Wertstoffe für eine Wiederverwertung in Frage. Dies bedeutet, daß vorrangig die Inhaltsstoffe eines Abfalls dessen weiteres Schicksal bestimmen müssen. Während man früher eher den Gebrauchswert eines zu Abfall gewordenen Gutes im Kopf hatte – beispielsweise seine Eignung zur Verpackung (bei Kunststoffen) oder zur Informationsübertragung (bei Papier) –, betrachtet man heute seinen stofflichen Inhalt – also etwa die Tatsache, daß er aus Polyethylen oder Zellulose besteht.

Werden Sammelsysteme auf Funktionen von Gütern ausgerichtet, lassen sich die Stoffe nicht optimal nutzen. Organisiert man sie hingegen nach stofflichen Gesichtspunkten, können sie effizienter und umweltverträglicher bewirtschaftet werden. So ist zum Beispiel beim Sammeln von Papier die Reinheit und Faserlänge der Zellulose für die Wiederverwertung wesentlich wichtiger als der frühere Verwendungszweck. Bei der Optimierung sind hier also außer quantitativen auch qualitative Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

Um Ressourcen optimal und effizient zu nutzen, muß man die Maßnahmen in der Abfallwirtschaft am gesamten volkswirtschaftlichen Stofffluß messen. Konzepte zur Verwertung und Verfahren zum Schutze der Umwelt sind dann ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll, wenn sie maßgeblich dazu beitragen, insgesamt Ressourcen zu schonen und Emissionen zu mindern. Im Vergleich dazu erweisen sich isolierte, sektorale Lösungen für einzelne Teilströme oder Stofflager oft als ineffizient und damit zu teuer.

In Österreich hat es sich beispielsweise gezeigt, daß die derzeit gültige Verpackungsverordnung sich auf den gesamten Kunststoffhaushalt nur gering auswirkt; bei hohen Kosten betrifft sie lediglich rund 7 Prozent aller Kunststoffabfälle. Der weitaus größte Anteil an Kunststoff endet nach wie vor auf Deponien. Im Interesse der Ressourcenschonung und Einsparung von Deponiefläche wäre es also weitaus vernünftiger, diese rund 500000 Tonnen Erdöl-Äquivalente energetisch zu nutzen.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht muß die derzeit noch unsystematische Sammlung von Kunststoffabfällen verbessert werden. Besonders wichtig sind dabei Sortenreinheit und Sauberkeit der Abfälle, aber auch die Frage, in welcher Flächendichte sie anfallen. Dagegen spielt die Herkunft – Verpackung oder Nicht-Verpackung – eine vergleichsweise geringe Rolle. Aus Haushaltungen sollten nur noch diejenigen Kunststoffabfälle getrennt gesammelt werden, die sich kostengünstig separieren und sortenrein stofflich verwerten lassen. Der Rest kann über die vorhandenen gemeinsamen Sammelschienen für Abfälle aller Art effizienter thermisch genutzt werden. Wichtiger noch ist das Erfassen von Kunststoffen aus Gewerbemüll, weil diese meist nicht nur sortenreiner sind, sondern auch in höherer Flächendichte auftreten.

Dennoch wird es nach heutiger Kenntnis auch bei voller Ausschöpfung aller wirtschaftlich sinnvollen Möglichkeiten kaum gelingen, mehr als 30 Prozent aller Kunststoffabfälle stofflich zu verwerten.

Unsere Forderung, Konzepte und Strategien an ihrem Effekt auf das Gesamtsystem zu messen, möchte ich am Beispiel des Altpapiers verdeutlichen. Nimmt man die Menge an treibhauswirksamen Gasen als Maßstab, die insgesamt durch die Papier- und Altpapierwirtschaft erzeugt werden, so läßt sich für Österreich eine Rangliste für die Wirksamkeit zusätzlicher Maßnahmen aufstellen:

1. Verbrennung (mit energetischer Nutzung) anstelle der Ablagerung von Altpapier als Restmüll,

2. Erhöhung der Einsatzquote von Altpapier in der Papierindustrie,

3. weitere Substitution von fossilen Brennstoffen durch biogene Energieträger in der Papierindustrie.

Nun werden gegenwärtig rund 60 Prozent des Papierverbrauchs als Altpapier separat gesammelt, während Altpapier jedoch nur 40 Prozent des Ausgangsmaterials für die Papierproduktion ausmacht; den Altpapierrücklauf noch zu erhöhen hätte also weniger Zweck als den Einsatz von Altpapier in der Papierproduktion zu steigern.

Dieses Beispiel verdeutlicht, wie problematisch eine Erhöhung von Sammel- beziehungsweise Recyclingquoten um ihrer selbst willen ist. Andere Fragen sollten im Vordergrund stehen. Welche Indikatoren und Maßstäbe sind hinsichtlich Umweltverträglichkeit und Ressourcennutzung gültig beziehungsweise anzuwenden? Wie sollten sie gegeneinander gewichtet und auf ihre wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen untersucht werden? Wie steht es um die Akzeptanz der verordneten Maßnahmen? Die heute in vielen Ländern übliche Ansicht, daß eine höhere Recyclingquote beziehungsweise eine geringere Restmüllmenge a priori die bessere Lösung des Abfallproblems sei, ist zu kurzsichtig.

Da wiederverwertbare Abfälle nicht nur Wert-, sondern auch Schadstoffe enthalten, sind für das Recycling auch die logistischen und technischen Möglichkeiten zu schaffen, diese Schadstoffe wieder aus dem Produktions- und Konsumkreislauf herauszufiltern. Derzeitige Bewertungsmethoden berücksichtigen noch nicht, wie sich Spurenstoffe in einem Recyclingprozeß auf die Produkte verteilen: ob sie sich etwa konzentrieren oder verdünnen. Aus diesem Grunde sind – zusätzlich zu den üblichen technischen Qualitätskriterien für Sekundärrohstoffe – endlich ökologische Kriterien zu entwickeln, nach denen solche Recyclingverfahren belohnt werden, welche die Schadstoffe nicht in Produkten anreichern, sondern gezielt als Reststoffe ausschleusen.

Letztlich wird man nicht mehr wiederverwertbare Stoffe immer in letzten Senken – Atmosphäre, Hydrosphäre, Boden und Deponie – unterbringen müssen. Auch die Verbrennung von Abfällen einschließlich ihrer Nachbehandlung erzeugt Rückstände; wenn man diese endlagert, entstehen aber weniger Emissionen als beim Deponieren von Anfang an. Die Forderung nach einer nachsorgefreien Deponie ist damit schon beinahe erfüllt. Der hervorragende Emissionsstandard moderner Müllverbrennungsanlagen ist ein hoher Vergleichsmaßstab für alle anderen Verwertungs- und Entsorgungsverfahren.

In den Ballungsräumen wurden und werden sehr große Mengen langlebiger Stoffe angehäuft. Sie alle müssen irgendwann entsorgt werden. Damit endlich zu beginnen scheint mir wichtiger, als kleinliche Betrachtungen über die raschen Durchläufer-Mengen an Verpackungen anzustellen. Diese fallen zwar ins Auge, sind aber in ihrer Menge und Zusammensetzung vergleichsweise unproblematisch.

Die in den Lagern bereits vorhandenen Schadstoffe können nicht mehr vermieden werden, sondern sind möglichst umweltverträglich zu entsorgen. Andererseits bilden diese Altlasten auch eine potentielle Ressource. Derzeit befinden sich allein in Wien zum Beispiel Kupferbestände in der Größenordnung von 30 Milliarden Dollar, die wegen ihrer breiten Verteilung zur Zeit aber noch nicht wirtschaftlich genutzt werden können. Für bleihaltige Güter zeigen Studien von Ulrik Lohm vom interdisziplinären Institut TEMA der Universität Linköping in Stockholm, daß einige – zum Beispiel Autobatterien – bereits zu Weltmarktpreisen wiederverwertet werden können; in anderen – etwa Wasser- und Abwasserleitungen oder Kabel – ist das Blei dagegen derart verteilt, daß eine Wiedergewinnung zur Zeit nicht wirtschaftlich ist.

Meine Vision einer ökologisch richtigen und wirtschaftlich sinnvollen Abfallwirtschaft besteht darin, urbane Stofflager gezielt aufzubauen und so zu bewirtschaften, daß die langfristige Nutzung über Generationen möglich und ökonomisch wird. Dies setzt allerdings voraus, daß bei der Gestaltung von Gütern, Verfahren und Systemen vermehrt Kriterien des umweltverträglichen und ressourcenschonenden urbanen Stoffhaushaltes Berücksichtigung finden. Der Stadtbau, also die Wiedergewinnung der stofflichen Ressourcen einer Stadt, könnte so den Bergbau sinnvoll ergänzen und langfristig zu einem Großteil ersetzen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1998, Seite 81
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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