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Künstliche Halbleiter-Nanostrukturen - Billard mit Elektronen

Mit dem Elektronen- oder dem Rasterkraftmikroskop lassen sich in Halbleiterschichten feinste Muster erzeugen, die noch bis zu hundertmal kleiner als die Strukturen heutiger Bauelemente sind. In derart winzigen Systemen können sich Elektronen bei tiefen Temperaturen wie Kugeln in einem Flipper-Automaten bewegen sowie einzeln als Informationsbits gespeichert und gezählt werden.

Mit der modernen Halbleitertechnologie lassen sich heute auf einem Silicium-Chip der Fläche eines Daumennagels etwa zehn Millionen Transistoren unterbringen. Schon jetzt werden Schaltungen mit der zehnfachen Integrationsdichte entwickelt, und es scheint nicht ausgeschlossen, daß in 10 bis 15 Jahren Silicium-Chips mit rund einer Milliarde Schaltelementen hergestellt und betrieben werden können. Überraschenderweise hat sich die Funktionsweise dieser Bauteile trotz der dramatischen Verkleinerung ihrer Abmessungen von einigen zehntel auf wenige zehntausendstel Millimeter in den 50 Jahren seit ihrer Konzeption nicht prinzipiell geändert. Noch immer handelt es sich hauptsächlich um Metall-Oxid-Silicium-Feldeffekt-Transistoren (MOSFETs).

Dabei benutzt man das elektrische Feld unter einer sogenannten Gate-Elektrode, um einen Elektronenstrom im leitenden Kanal des Transistors zu regeln. Die etwa 10000 dort gespeicherten Elektronen bewegen sich unter dem Einfluß der anliegenden Spannungen ähnlich wie eine Flüssigkeit, stoßen also immer wieder mit Unregelmäßigkeiten des Halbleiterkristalls und miteinander zusammen und berühren nur selten auch einmal die Wand des elektronischen Kanalsystems. Die mittlere freie Weglänge, die sie zwischen zwei Stößen im Durchschnitt zurücklegen, ist etwa zehnmal und ihr mittlerer gegenseitiger Abstand mit rund 20 Nanometern (millionstel Millimetern) sogar fünfzigmal kleiner als die Abmessungen des Transistors.

Bei weiterer Miniaturisierung des Bauelements ändert sich das jedoch: Die kleinsten Strukturen auf dem Transistor nähern sich den Mittelwerten für die freie Weglänge und für den Abstand der Elektronen an. Unter diesen Umständen bewegen sich die Ladungsträger zwischen den Kanalwänden ballistisch wie die Kugeln auf einem Billardtisch. Dies bedingt eine neue Art des Stromtransports und verändert damit auch das Schaltverhalten der Transistoren.

Beides versuchen meine Mitarbeiter und ich an der Universität München schon heute zu erforschen. Indem wir statt Silicium-MOSFETs Schichtsysteme aus Verbindungshalbleitern wie Galliumarsenid verwenden und sie auf Temperaturen dicht über dem absoluten Nullpunkt bei -273,15 Grad Celsius abkühlen, können wir die mittlere freie Weglänge der Elektronen auf mehr als 10 Mikrometer (tausendstel Millimeter) vergrößern. Außerdem strukturieren wir das Halbleitermaterial mit kleinsten Mustern, die ähnlich wie die Barrieren in einem Flipper-Automaten die Elektronen ablenken und einfangen.


Methoden der Nanostrukturforschung

Ein gängiges Verfahren, um derart filigrane Muster herzustellen, ist die Elektronenstrahl-Lithographie. Ein fein gebündelter Elektronenstrahl schreibt dabei wie ein Stift die gewünschte Struktur in eine dünne Lackschicht. Ähnlich wie bei der Entwicklung eines photographischen Films wird der Lack an den beschriebenen Stellen dann chemisch entfernt; die unbeschriebenen Bereiche dienen dagegen als Maske für nachfolgende Bearbeitungsschritte. So kann durch Ätzen das Muster im Lack in das darunterliegende Halbleitermaterial übertragen werden.

Vor kurzem ist es uns nun gelungen, mit einem Rasterkraftmikroskop noch kleinere Strukturen gezielt zu erzeugen. Die äußerst feine Nadel dieses Instruments dient dabei als eine Art Hammer, der winzige, nur zehn Nanometer große Löcher in die extrem dünne Plexiglasschicht treibt. Die Nadel bewegt sich dabei 200000 mal pro Sekunde auf und ab und produziert so beispielsweise ein ausgedehntes Lochmuster (Bild 1).

Obwohl solche Verfahren zunächst vor allem für die Halbleiterforschung entwickelt wurden, stellen wir damit inzwischen auch Oberflächenmuster für Kollegen mit anderen Forschungsinteressen her – beispielsweise für Testmasken zur Entwicklung von verbesserten oberflächenempfindlichen Verfahren der Röntgenstrukturanalyse oder zum Studium des Benetzungsverhaltens von Flüssigkeiten. Aus solchen Untersuchungen erfahren wir wiederum Details über die Gestalt und chemische Beschaffenheit der Muster, die mit unseren eigenen Methoden nicht zu ermitteln sind.

Uns selbst geht es zunächst darum, die Elektronenbewegung in den künstlich erzeugten Potentiallandschaften zu erforschen. Dazu verwenden wir spezielle Meßverfahren, die auch bei tiefsten Temperaturen eingesetzt werden können. In erster Linie ist dabei die empfindliche Messung der elektrischen Leitfähigkeit zu nennen. Außerdem untersuchen wir die Absorption und Emission elektromagnetischer Strahlung im gesamten Frequenzbereich zwischen Radiowellen und sichtbarem Licht.


Elektronen im Potentialgebirge

Eine relativ einfache Potentiallandschaft, die sich aber gut zum Studium des ballistischen Elektronentransports eignet, ist das Antidot-Übergitter. Es besteht aus einem regelmäßigen Muster äquidistanter Potentialberge (Bild 1) und läßt sich verhältnismäßig leicht herstellen, indem man Lackschichten mit einem entsprechenden Lochmuster versieht und dieses durch Ätzen in das darunterliegende Halbleiterschichtsystem überträgt. Die Ätzlöcher wirken auf die Elektronen wie unüberwindliche Potentialberge.

Um die Bewegung der Ladungsträger in einer solchen periodischen Potentiallandschaft zu untersuchen, legen wir senkrecht zur Halbleiterschicht ein starkes Magnetfeld an. Dieses zwingt die umherschwirrenden Elektronen auf um so engere Kreisbahnen, je stärker es ist. Der dadurch abstimmbare Durchmesser dieser Bahnen dient als eine Art Metermaß für den Nanometerbereich. Ist er nämlich ein ganzzahliges Vielfaches des Abstandes der Potentialberge, sollte bei ballistischem Elektronentransport die Leitfähigkeit minimal sein, weil die Elektronen dann ungestört kreisen können und somit kaum vorankommen.

Um dies zu prüfen, legten wir an ein Antidot-Übergitter aus parallelen Lochreihen eine elektrische Spannung an, die einen Strom senkrecht zu diesen Reihen induzierte, und maßen bei einer Temperatur von nur 30 Millikelvin (Kelvin sind Celsiusgrade über dem absoluten Temperaturnullpunkt) den elektrischen Widerstand in Abhängigkeit von der Stärke des Magnetfelds (Bild 2). Tatsächlich zeigte die Widerstandskurve charakteristische Maxima bei solchen Feldstärken, bei denen die Elektronen eine ganze Zahl von Löchern praktisch ungehindert umkreisen können. Fließt der Strom parallel zu den Lochreihen oder ist die Temperatur der Halbleiterprobe so hoch, daß die mittlere freie Weglänge der Elektronen kleiner als der Umfang einer solchen Kreisbahn ist, werden hingegen keine derartigen Oszillationen beobachtet.


Informationsspeicherung mittels einzelner Elektronen

Durch Anlegen von richtig gewählten Spannungen an feinststrukturierte Metall-Halbleiter-Systeme lassen sich auch Barrieren in Schachtelform aufbauen. Darin sind die Elektronen dann quasi eingesperrt und in einem Punkt zusammengedrängt. Da sie dadurch besondere quantenmechanische Eigenschaften erhalten, spricht man von Quantenpunkten.

Als Beispiel ist links in Bild 3 ein Doppel-Quantenpunkt gezeigt. Die obere Schachtel steht durch feine Kanäle mit der umliegenden Elektronenschicht in Verbindung, während die untere praktisch isoliert ist und nur über einen engen Kanal mit dem oberen Quantenpunkt Kontakt hat. Beide Schachteln enthalten typischerweise etwa 100 Elektronen und sind mit einer Mittenelektrode versehen, die im Bild von oben beziehungsweise unten hineinragt. Variiert man die daran angelegte Spannung, so ändert sich die effektive Größe der entsprechenden Schachtel und damit auch die Zahl der Elektronen, die hineinpassen.

Dies hat Auswirkungen auf die elektrische Leitfähigkeit über den Quantenpunkt hinweg. Normalerweise verhindert die elektrostatische Abstoßung der Elektronen in einem solchen Punkt, daß ein negatives Teilchen hinzukommt. Nur bei ganz bestimmten Spannungen an der Mittenelektrode heben quantenmechanische Effekte diese Coulomb-Blockade auf und erlauben, daß ein Elektron in die Schachtel hinein- und auf der anderen Seite wieder herausspringt. So ergeben sich die rechts in Bild 3 gezeigten Strom-Spannungskurven.

Die Coulomb-Blockade und ihre Aufhebung bei bestimmten Spannungen ermöglicht nun etwas, das bei herkömmlichen Transistoren gänzlich undenkbar ist: die in einem Quantenpunkt gespeicherten Elektronen einzeln zu zählen. Im Diagramm in Bild 3 rechts ist als zweiter Parameter die an der Mittenelektrode des unteren Punkts angelegte Spannung aufgetragen. Wird sie langsam geändert, so verschieben sich die Maxima der Leitfähigkeitskurven für den oberen Quantenpunkt normalerweise kontinuierlich. Bei bestimmten Spannungen der Mittenelektrode des unteren Quantenpunkts rücken sie allerdings sprunghaft in eine neue Position. Wie wir zeigen konnten, treten diese sich regelmäßig wiederholenden Sprünge immer dann auf, wenn der untere Quantenpunkt ein einzelnes Elektron aufgenommen oder abgegeben hat.

Das Faszinierende an diesem Befund ist der Nachweis, daß man bei geeigneten Bedingungen mit der Änderung der Elektronenzahl im unteren Speicher den Stromfluß durch den oberen schalten kann. Dazu braucht man nicht wie bei einem üblichen Transistor mehrere tausend Elektronen, sondern es genügt ein einzelnes. Mit dem oberen Quantenpunkt kann man zudem wiederholt auslesen, wieviele Elektronen im unteren gespeichert sind.

Dies demonstriert, daß es im Prinzip möglich ist, Information mit nur einem Elektron – also einer einzigen Elementarladung – zu speichern und zerstörungsfrei zurückzugewinnen. Damit ließe sich vermutlich das Äußerste an Miniaturisierung und Schaltgeschwindigkeit erreichen, das in der digitalen Elektronik überhaupt denkbar ist. Allerdings schließen die extrem tiefen Temperaturen, die bisher noch für den Vorgang erforderlich sind, einstweilen jede praktische Anwendung aus.

Die Architektur eines Quantenpunkt-Rechners wird wohl grundverschieden vom Kanalisationssystem der konventionellen Mikroelektronik sein. Eventuell eignen sich Einelektronenspeicher und -schalter besonders gut für Computer, die ähnlich aufgebaut sind wie die aus der Hirnforschung bekannten neuronalen Netze. Noch reichen die wissenschaftliche Basis und die technologisch verwertbaren Erfahrungen bei weitem nicht aus, um ballistischen Elektronentransport und Speicherung einzelner Elektronen ernsthaft als Grundlage einer künftigen Informationstechnologie vorzuschlagen. Aber die Perspektiven, die sie eröffnen, machen das Flippern mit ballistischen Elektronen zu einem nicht völlig irrelevanten Spaß für den Physiker.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1996, Seite 25
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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