Direkt zum Inhalt

Kunst und Maschine. 500 Jahre Maschinenlinien in Bild und Skulptur


Noch nie bestanden so enge Verbindungen zwischen Kunst und Maschine wie heute, im Zeitalter des Computers und der Medien. Das ist sicherlich ein guter Grund, sich der Beziehungen zwischen den beiden einander scheinbar fernstehenden Begriffen aus historischer Sicht anzunehmen.

Der Anstoß zu diesem Buch kam allerdings von anderer Seite: aus einem kunsthistorischen Seminar über Hoch- und Tiefdruck. Der Autor, Uhrmachermeister, Restaurator, Kunsthistoriker und künftiger Leiter des Deutschen Museums Bonn, stieß auf eine Maschine zum Gravieren von Linien mit konstantem Abstand. Die dürftigen Angaben forderten zu Archivforschungen heraus, und in einer schrittweisen Erweiterung des Themas ergab sich daraus zuerst eine Seminararbeit, dann eine Magisterarbeit und schließlich eine Dissertation, die nun in Form dieses Buches vorliegt.

Vier Jahre lang hat sich Peter Frieß seinem Thema gewidmet und dabei eine Fülle von Material zusammengetragen, das selbst für Fachkreise neu ist. Er stöberte in Depots verschiedener Sammlungen und entdeckte dort bisher unbeachtete Apparaturen. Um ihre Möglichkeiten zu erkennen, setzte er sie in Bewegung, in anderen Fällen baute er sie zunächst nach zeitgenössischen Beschreibungen auf.

Das Buch beginnt mit einer historischen Behandlung der Begriffe des Werkzeugs und der Maschine. Speziell im Fall der Kunst liegt der Unterschied darin, daß "der Künstler das Handwerkszeug in seiner Linie führt, während er beim Arbeiten mit der Maschine in einer fremden Linie geführt wird". So definiert, sind nicht nur die (ornamentale Linien ziehende) Guillochiermaschine und der Computer, sondern auch das Lineal und der Zirkel zu den Maschinen zu zählen.

Für Frieß ist die Linie das Element der bildenden Kunst; als Umriß definiert sie die Gestalten, als Schraffur den Raum und die Farbe. Dieser Unterscheidung gemäß ist der erste große Abschnitt des Buches den "Perspektiv-Maschinen" gewidmet, wie sie etwa von einigen Zeichnungen Albrecht Dürers (1471 bis 1528) bekannt sind. Frieß vermutet, daß Dürer sie nicht selbst erfunden, sondern auf Reisen nach Italien und in die Niederlande gesehen habe.

Ähnliche Fragen werfen die aus dem deutschen Raum des 16. Jahrhunderts bekannten geometrisch präzisen Polyeder-Darstellungen auf. Wie kamen sie zustande? Auch hier gibt es einige Indizien, die auf technische Hilfsmittel italienischer Herkunft hinweisen.

Ein zweiter großer Teil der Arbeit ist den "Raster-Maschinen" gewidmet. Sie produzieren ein Linienraster, das durch variable Abstände oder Strichdicken wechselnde Hell-Dunkel-Werte erzeugt. Die Geschichte dieser graphischen Hilfsmittel beginnt bei verschiedenen Arten von Spezialzirkeln, beispielsweise zur Generierung von Spiralen. Über Jahrhunderte fanden Bilder, die aus einer einzelnen, in der Dicke wechselnden Spirallinie bestehen, besondere Aufmerksamkeit (Bild auf der vorigen Seite). Ein Meister dieser Technik war der Kupferstecher Claude Mellan (1598 bis 1688), der lange in Aix-en-Provence lebte; doch auch Albrecht Dürer hat diese Methode benutzt und ein dafür geeignetes Instrument beschrieben. Über mehrere Varianten und Geräte für Sonderzwecke entwickelten sich die Raster- und Linienmaschinen bis hin zu der "Universalmaschine" eines gewissen Marquardt, mit der sich (nach dessen eigener Beschreibung von 1836) die verschiedensten Arten und Kombinationen von Linien und Kurven erzeugen ließen.

Bis hierher präsentiert sich das Buch "Kunst und Maschine" als ausgezeichnete wissenschaftliche Arbeit, die eine Fülle von Details wiedergibt und Querverbindungen zwischen verschiedenen Entwicklungen herstellt. Es ist nur logisch, daß sich der Autor auch der neuesten Entwicklung annimmt, und zwar mit einem Kapitel "Die Bit-Maschine". Allerdings war der Sprung ins Computerzeitalter keineswegs so abrupt wie der Übergang zu diesem Kapitel; verschiedenste Zwischenglieder wie Photographie, Film und Video wären der Erwähnung wert gewesen.

So steht der Abschnitt über Computerkunst beziehungslos im Raum und wird der Situation nicht gerecht, denn für Frieß ist der Computer nichts anderes als ein Werkzeug der Simulation alter Methoden. Mit der Computer-Animation wird aber keine alte Methode simuliert; vielmehr ist es erstmals möglich geworden, dynamische Prozesse, die der menschlichen Phantasie entspringen, ohne die Umstände des Zeichentricks zu realisieren. Und die Interaktivität der digitalen Systeme führt völlig neue Momente in die Kunstentwicklung ein, deren Konsequenzen noch gar nicht abzusehen sind. Außerdem bewirkt der Computer eine Integration verschiedener Künste, beispielsweise des bewegten Bildes mit der Musik (in der ja der Begriff der "Kunstmaschine" in idealer Weise verwirklicht ist). Hier wäre der Begriff des Automaten nützlich gewesen, denn das Wesentliche des Computers im Gegensatz zur klassischen Maschine liegt in den unbeschränkten Möglichkeiten der Steuerung.

Hinzu kommt eine kaum verhehlte Abneigung des Autors gegen die Computerkunst. In der Einleitung erwähnt er zwei Werke als wichtig, den Aufsatz "Bit-Art" von Rudolf von Waldeck im "Kursbuch" 99 (Berlin 1990) sowie mein Buch "Leonardo 2000 – Kunst im Zeitalter des Computers" (München 1987). Unter anderen Umständen würde ich mich freuen, zitiert zu werden (auch wenn mein Vorname mehrfach falsch mit "Horst" angegeben ist), doch gerade zur Auseinandersetzung um die Computerkunst sind sowohl von mir wie auch von anderen weitaus ausführlichere Darstellungen erschienen als dieses kurze, populär geschriebene Büchlein, und selbst von diesen nimmt Frieß keine Notiz.

Ohne hier den Streit um den Kunstcharakter der Computerkunst erneut aufgreifen zu wollen, sei immerhin angeführt, daß sämtliche von Frieß vorgebrachten Argumente gegen den Computer als Kunstmaschine genausogut die von ihm beschriebenen Systeme treffen. Dadurch wird die Ablehnung der Computergraphik wie auch der in ihr oft zum Ausdruck kommenden Mathematik völlig unverständlich.

Nun sollte allerdings ein einzelnes aus dem Rahmen fallendes Kapitel das Gesamtbild nicht übermäßig beeinträchtigen: Die historische Aufarbeitung der verschiedenen Geräte, die den Künstlern als Werkzeuge dienen, ist eine wichtige und gelungene Arbeit, die kein Interessierter ignorieren darf.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1994, Seite 142
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.