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Leben im Tiefengestein

Überraschenderweise existieren selbst noch Kilometer unter der Erdoberfläche Mikroorganismen. Einige scheinen als Ressource keinerlei organische Substanz, sondern nur Wasser und Minerale zu benötigen; an ihnen könnte man vielleicht neue Erkenntnisse über sehr frühe Phasen des Lebens gewinnen.

Mikroorganismen gedeihen praktisch überall auf der Oberfläche unseres Planeten, ob in der Luft, im Wasser oder im Boden, im Inneren anderer Lebewesen und selbst in kochendheißen Thermalquellen. Bakterien und andere einzellige Mikroben – wie Hefepilze oder Protozoen – können anderen Organismen Nährstoffe liefern, indem sie organisches Material zersetzen, manche verursachen aber auch Krankheiten und verderben Nahrung. Der Mensch hat gelernt, vielen der schädlichen Effekte zu begegnen, und manche Mikroben läßt er sogar für sich arbeiten. So nutzt er sie seit Jahrtausenden zur Bereitung von Käse, Brot oder Wein und seit einigen Jahrzehnten als Quelle für Antibiotika und andere Medikamente, nun auch zur Proteingewinnung in größerem Maßstab. Eingesetzt werden sie sogar zur Schädlingsbekämpfung, Abwasserreinigung, Bodensanierung und zum Abbau von Ölteppichen sowie im Bergbau.

Offenbar harren unzählige Mikrobenarten noch ihrer Entdeckung. Alle möglichen Lebensräume werden nach potentiell spektakulären Mikroben durchkämmt, die man vielleicht nutzen könnte – doch kaum jemand dachte daran, auch tief im Erdinneren zu fahnden. Dort, so bis vor kurzem die offizielle Lehrmeinung, gäbe es praktisch kein Leben.

Chemische Indizien?

Den ersten Fingerzeig, daß mehrere hundert oder selbst einige tausend Meter tief liegende Gesteine vielleicht doch nicht so steril sind, lieferte der Geologe Edson S. Bastin von der Universität Chicago (Illinois) in den zwanziger Jahren. Er fragte sich, wieso Grundwasser, das aus Erdölfeldern gefördert wurde, Schwefelwasserstoff und Hydrogencarbonat enthält.

Sein Verdacht fiel nach einigen Überlegungen auf Vertreter jener Bakterien, die ohne Sauerstoff auskommen (anaerob sind) und statt dessen organische Nährstoffe mittels Sulfat veratmen, wobei die genannten Verbindungen entstehen (weil Sulfat zu Schwefelwasserstoff reduziert wird und die kohlenstoffhaltigen Biomoleküle zu Kohlendioxid oxidiert werden, das in Wasser Hydrogencarbonat ergibt). Waren in den Erdöllagerstätten etwa solche Sulfatatmer vorhanden, die sich an den organischen kohlenstoffhaltigen Molekülen des Erdöls gütlich taten?

Es gelang Bastin und dem Mikrobiologen Frank E. Greer 1926, sulfatatmende Bakterien aus Grundwasserproben von einer mehrere hundert Meter tief gelegenen Öllagerstätte zu kultivieren. Wie aber waren sie dorthin gelangt? Ihre Vorfahren könnten, so die Spekulation der beiden Wissenschaftler, vor mehr als 300 Millionen Jahren, als sich das dortige Sedimentmaterial ablagerte, mit eingebettet worden sein. Bastin und Greer hatten allerdings nicht die Möglichkeit, den vielen Skeptikern überzeugende Beweise zu bringen, da die Ölbohrverfahren nicht dafür ausgelegt waren, Verunreinigungen mit Mikroorganismen von der Oberfläche zu vermeiden. So geriet die Sache in Vergessenheit.

Ende der vierziger und in den fünfziger Jahren erwachte das Interesse an der Mikrowelt solcher Lagerstätten vorübergehend wieder, als Claude E. Zobell und seine Kollegen von der Scripps Institution für Ozeanographie in La Jolla (Kalifornien) mikrobielle Prozesse tief im Meeresboden untersuchten. In den sechziger und siebziger Jahren schlief es jedoch erneut ein. Nur wenige Experten zogen überhaupt die Möglichkeit mikrobieller Aktivität tief im Untergrund in Betracht – trotz der Bedeutung wasserleitender und wasserspeichernder Gesteinsformationen für die Trinkwasserversorgung.

Nach Vorstellung der meisten anderen Wissenschaftler unterlag Wasser zwar bei seiner Passage durch oberflächennahe Bodenschichten biologischen Einflüssen; weiter in der Tiefe jedoch würden anorganische Prozesse vorherrschen. Entsprechend hielt man Mikroben, die bei Grundwasserproben aus großer Tiefe zutage traten, automatisch für nachträgliche Kontamination.

Erst in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren begannen einige Forscher vom Geologischen Dienst und der Umweltschutzbehörde der Vereinigten Staaten aus Sorge um die Grundwasserqualität die Vorstellungen zur Grundwasserchemie zu überdenken, und daraufhin wurde erneut die Möglichkeit ins Auge gefaßt, daß Mikroorganismen in tiefen wasserführenden Gesteinsformationen lebten.

Zur selben Zeit war das US-Energieministerium mit dem Problem konfrontiert, die Produktions- und Aufbereitungsanlagen für Kernmaterial sanieren und radioaktive Abfälle sicher entsorgen zu müssen. (Während des Kalten Krieges hatte man Nuklearabfälle, ob nun kontaminierte organische Lösungsmittel, Metalle oder selbst radioaktives Material, kurzerhand vor Ort im Untergrund deponiert.) Nun sollten die Bedingungen für radioaktive Endlager im Boden erforscht werden. Ein wichtiger Aspekt dabei waren Studien, ob Behältnisse mit hoch radioaktivem Abfall in der Erde für Jahrtausende sicher versiegelt blieben.

Der Geologe Frank J. Wobber, der damals beim Energieministerium einen leitenden Posten innehatte, äußerte sich dazu in dem Sinne, daß solche Mikroben, sollte es sie denn in so tiefen Schichten noch geben, durchaus eine potentielle Gefahr darstellten. Zwar würden sie möglicherweise organische Produkte abbauen und somit entsorgen, doch sie könnten andererseits die Wände von Behältnissen mit Nuklearmaterial angreifen. Zugleich betonte er aber, daß praktische Belange wie diese überhaupt erst auf der Basis eines viel besseren allgemeinen Verständnisses der Vorgänge in der Tiefe angegangen werden könnten. Kurz, er forderte eine umfangreiche Grundlagenforschung.


Sonderprogramm "Mikrobiologie tiefer Sedimente"

Auf Wobbers Initiative hin finanzierte das Ministerium ein Projekt, in dem ein Team aus Biologen, Geologen und Chemikern systematisch nach Lebensformen tief unter der Erdoberfläche forschen und, so sich welche fänden, deren Verhalten ergründen sollte. Weil nun Wasser, das Tiefbohrungen nach oben fördern, viel zu leicht durch eingeschleppte Organismen aus dem Oberflächenbereich kontaminiert wird, wollte man stattdessen Gesteinsproben untersuchen.

Zuerst war eine besondere Technik zu entwickeln, weil man nicht verunreinigtes unversehrtes Bohrkernmaterial aus großer Tiefe brauchte. Die Bohrapparatur selbst war ein Entwurf von Tommy J. Phelps vom Oak Ridge National Laboratory (Tennessee) und W. Timothy Griffin vom Unternehmen Golder Associates. Der Clou dabei ist, daß die Proben nur minimalen Kontakt zur Schmierflüssigkeit bekommen (Bild 1). Zusätzlich entwickelten James P. McKinley vom Pacific Northwest National Laboratory von Battelle in Richland (Washington) und F. S. (Rick) Colwell vom Idaho National Engineering Laboratory Markierungs-Additive, die man der Bohrflüssigkeit zusetzen kann. So ließ sich erkennen, wenn an einer Partie der Probe Bohrflüssigkeit eingedrungen war. Solche Stellen könnten nachträglich mit Mikroorganismen kontaminiert sein.

Im Jahre 1987 wurden in Süd-Carolina nahe der Nuklearanlage Savannah River in Aiken mehrere Tiefbohrungen angesetzt. Die Arbeiten geschahen im Beisein der Wissenschaftler-Crew, die für das Protokoll rund um die Uhr zuständig war sowie dafür, daß keine mikrobielle Verunreinigung stattfand und daß regelmäßig die Markiersubstanz zugesetzt wurde. Geförderte Bohrkern-Abschnitte wurden unverzüglich verkapselt und in ein steriles Behältnis gebracht, in dem man mit eingeschweißten Operationshandschuhen arbeiten kann. Der Raum ist mit Stickstoff, einem reaktionsträgen Gas, gefüllt, damit jedwede obligatorisch anaeroben Bakterien nicht mit Sauerstoff in Berührung kommen, der sie rasch vergiften würde. Die äußere Schicht des Bohrkernstücks wurde darin abgeschält, der Rest nach einem speziellen Schema zersägt (Bild 1). Zeigten sich auch im übrigen Bereich Zeichen für eingesickerte Bohrflüssigkeit, wurde die Probe als höchstwahrscheinlich kontaminiert eingestuft.

Mutmaßlich saubere Innenquader kamen in sterile, eisgekühlte Stickstoffgefäße, die sofort zu den einzelnen Forschungslabors in Nordamerika gebracht wurden. Binnen 72 Stunden nach der Gewinnung des Gesteins waren die Proben an Ort und Stelle, wo man sie einer Batterie von Tests unterwarf, um Organismen und ihr Gesteinsumfeld zu begutachten. Extrahierte Mikroben gingen an Mikroorganismenbanken in Florida und Oregon, wo sie bei minus 96 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff lagern.


Lebensfreundliche Zonen in Sedimenten

Die ersten Erkenntnisse sind überwältigend. Es fanden sich diverse Typen von Mikroorganismen bis in die größte erbohrte Tiefe der Savannah-River-Anlage: immerhin 500 Meter. Mittlerweile wissen wir auch von etlichen Orten mit andersartigen geologischen Verhältnissen, an denen wir im Rahmen des Sonderprogramms in die Tiefe vorgestoßen sind, daß zumindest Bakterien in tiefen Gesteinsschichten allgegenwärtig sind. Hinsichtlich der Verbreitung komplexerer einzelliger Organismen, also von Pilzen oder Protozoen, sind wir uns noch nicht sicher. Unterirdische Bakterien aber fanden sich selbst bei Temperaturen von 75 Grad und noch in 2,8 Kilometer Tiefe.

Übrigens ist nicht der Druck, der auf dem Gestein lastet, für die Existenz von Leben in der Tiefe der eigentlich begrenzende Faktor (er zeigt wenig direkte Auswirkungen auf Mikroorganismen), sondern die zum Erdkern hin zunehmende Temperatur. Wo das Limit liegt, ist noch unklar. An den heißen vulkanischen Schloten am Grund der Tiefsee gedeihen Bakterien immerhin noch bei 110 Grad Celsius. Organismen tief in der Erdkruste könnten schätzungsweise sogar an die 140 Grad aushalten.

In ozeanischer Kruste, in der jeder Tiefenkilometer rund 15 Grad Temperaturzunahme bedeutet, würde mikrobielles Leben, das 110 Grad Celsius tolerieren kann, demnach im Mittel noch etwa sieben Kilometer unter dem Meeresboden möglich sein. Kontinentale Kruste – mit einer Temperatur von, sagen wir, 20 Grad an der Oberfläche – wird typischerweise mit jedem Kilometer ins Erdinnere um 25 Grad wärmer; Mikroorganismen müßten dort also bis in fast vier Kilometer Tiefe existieren können.

Die Besiedlungsdichte allerdings scheint selbst in gleicher Distanz zur Oberfläche von Ort zu Ort beträchtlich zu variieren. In Proben aus 400 Meter Tiefe beispielsweise fanden wir manchmal nur 100, manchmal aber auch 10 Millionen Bakterien in einem Gramm Gestein. Etwas höhere Mengen ermittelten John R. Parkes und seine Kollegen von der Universität Bristol (Großbritannien) in Sedimenten unter dem Meeresboden. (Zum Vergleich: Guter Ackerboden enthält mindestens eine Milliarde Mikroben pro Gramm.)

Bestimmend für die Dichte ist außer einer erträglichen Temperatur offenbar das lokale Angebot an Wachstum und Vermehrung begünstigenden Faktoren. Dazu gehört erst einmal Wasser – aber auch schlicht Platz in den Gesteinsporen. Vorhanden sein müssen ferner Makro- und Mikronährstoffe – also Quellen für Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor sowie verschiedene Spurenelemente zum Aufbau zelleigener Moleküle. Und schließlich darf eine Energiequelle, sozusagen der Treibstoff als Essenz des Lebens, nicht fehlen, wenn die Stoffwechselaktivität unbegrenzt weiterlaufen soll. (Für die meisten Organismen ist dies letztlich die Sonnenenergie; Pflanzen bauen mittels Photosynthese organische Moleküle auf, und alle in der Nahrungskette folgenden Glieder leben direkt oder indirekt davon.)

Welche Typen von Mikroben man tief in der Erdkruste findet, hängt wiederum von den lokalen Besonderheiten ab. In den meisten Sedimentgesteinen sind vielfältige Bakteriengemeinschaften anzutreffen, weil sie häufig reichlich organische Verbindungen als Nährstoffquelle enthalten. Pflanzen haben das Material einst aufgebaut; später versackte es in lockeren Sanden, Schluffen oder Tonen, aus denen die meisten Sedimentformationen bestehen; diese verdichteten sich allmählich zu festem Gestein. In den Poren aber können gewisse Bakterien sich so lange halten und sogar vermehren, wie sie dort Nährstoffe finden. Sedimentgesteine enthalten auch oxidierte Formen von Schwefel, Eisen oder Mangan, die Bakterien zur wirkungsvollen Energiegewinnung anstelle von Sauerstoff nutzen können (chemisch gesehen reduzieren sie diese, übertragen ihnen also Elektronen; Bild 2).

Während die Sedimente allmählich immer mehr überlagert und unter dem Gewicht kompaktiert werden, wird der schwindende Raum der Poren schließlich auch noch größtenteils von Mineralien auszementiert, die aus Sickerwasser ausfallen. Indem also mit zunehmender Tiefe und steigendem Druck nach und nach die Möglichkeiten rarer werden, an das für die Lebensprozesse erforderliche Material heranzukommen, verringert sich im allgemeinen auch die gesamte Stoffwechselrate der dort noch existierenden Lebensgemeinschaften – ausgenommen an solchen Stellen, wo Nährstoffe sich konzentrieren.

Schließlich kommen Mikroorganismen nur noch auf einzelne Flächen verstreut vor. Die kleinen Kolonien haben zueinander keinerlei Kontakt mehr. Selbst einzelne Zellen können völlig isoliert sein, und es ist manchmal reine Glücksache, in der Probe gerade eine belebte Stelle zu erwischen. Wie Todd O. Stevens von Battelle, ein Kollege McKinleys, feststellte, lohnt es sich aber, größere Probenmengen zu durchmustern, weil dann eben die Chancen steigen, fündig zu werden. Dies zeigte sich beispielsweise bei Bohrungen in der Nähe der Hanford-Produktionsanlagen für Kernmaterial in Richland (Bundesstaat Washington).


Autarke Lebensgemeinschaften

Unterirdische Mikroben leben jedoch noch in viel unwirtlicheren Gefilden als verfestigtem Sedimentgestein. Die Hauptmasse der kontinentalen Kruste ist erstarrtes Magma, in dem organische Kohlenstoffverbindungen so gut wie nicht vorhanden sind. Erst kürzlich entdeckten Stevens und McKinley Bakterien in Schichten von Basalt, einem dunklen, feinkörnigen Lavagestein, in bis zu 1500 Meter Tiefe (Spektrum der Wissenschaft, April 1996, Seite 22). Und Karsten Pedersen von der Universität Göteborg (Schweden) spürte Bakterien in Wasseradern in tiefen Rissen von Granit auf – einem hellen, grobkörnigen magmatischen Gestein.

Da Erstarrungsgestein anfänglich für Organismen zu heiß ist, müssen Mikroben nachträglich mit einfließendem Grundwasser hineingelangt sein. Wenn man bedenkt, daß praktisch keine organische Substanz in solches Gestein eingebettet ist, war es eine wirkliche Überraschung, daß Bakterien offensichtlich in Basalt gedeihen können. Wie Stevens und McKinley dann erkannten, handelt es sich um Gemeinschaften, denen auch sogenannte autotrophe Lebensformen angehören. In dem Falle sind es Bakterien, die (analog zu Pflanzen) aus anorganischem Material organische Verbindungen aufbauen; sie betreiben aber keine Photo-, sondern Chemosynthese.

Viele der bekannten autotrophen Bakterien entnehmen die Energie hierfür anorganischen chemischen Reaktionen unter Beteiligung von Eisen oder Schwefel. Die Energiequelle der basaltischen Typen ist aber Wasserstoffgas, das bei der Reaktion von sauerstoffarmem Wasser mit eisenhaltigen Mineralen entsteht, und ihre Kohlenstoffquelle (anorganisches) Kohlendioxid. Diese Steinfresser, wie man sie auch gern nennt, scheiden einfache organische Verbindungen aus, etwa Methan, die andere, nicht autotrophe Bakterien nutzen (Bild 2 rechts). In Anlehnung an das englische Wort für Schleim oder Schlamm wurden diese unterirdischen Biotope SLiMEs getauft (nach subsurface lithoautotrophic microbial ecosystems; unterirdische lithoautotrophe mikrobielle Ökosysteme). Es ist schon erstaunlich, daß diese Lebensgemeinschaften ohne Kohlenstoffnachschub von oben unbegrenzt weiterexistieren.

Kommen wir zurück zu der Frage, ob unterirdische Bakterienkolonien so alt sein können wie die Gesteine selbst. Mit Sicherheit trifft das nicht in jedem Fall zu. So kann eine Ablagerung mit der Zeit durch Überschichtung in so tiefe Zonen gedrückt werden, daß die Hitze schließlich sämtliches Leben darin vernichtet. Den gleichen Effekt, nur mit geringerer Reichweite, dürfte eindringendes flüssiges Magma bewirken; das Gestein im Umkreis wird dann gewissermaßen gut durchgebacken. Wenn später sterilisierte Schichten tektonisch wieder in kühlere Zonen gehoben werden beziehungsweise das Magma abkühlt, kann über das Grundwasser eine erneute Belebung erfolgen.

Das geht jedoch unter Umständen sehr langsam vor sich. Wie zum Beispiel Ellyn M. Murphy von Battelle gemessen hat, ist das Tiefengrundwasser unter der Produktions- und Verarbeitungsanlage von Savannah River seit Jahrtausenden ohne Kontakt zu Oberflächenwasser. Bei den tiefsten von uns untersuchten Stellen kommen wir mit unseren Messungen und Computermodellierungen sogar auf eine Jahrmillionen währende Isolation des Grundwassers von der Oberfläche. Da Mikroorganismen aber nicht schneller hinabgewandert sein können als Wasser sickert, bedeutet dies, daß manche der unterirdischen Mikrobengemeinschaften mindestens einige Millionen Jahre alt sind.


Alte Lebensstrategien?

Wie vermochten sich die Mikrobengesellschaften aber über so lange Zeiträume zu halten? Im Falle der beschriebenen Basalt-Ökosysteme ist dies noch einsichtig: Einige Mitglieder liefern beständig Nachschub an Nährstoffen für die anderen. In den meisten übrigen Fällen sind die Energie- und Nahrungsquellen aber eher dürftig.

Offenbar haben sich die Organismen solcher Umgebung an die recht spartanischen Verhältnisse angepaßt. Lange Hungerzeiten überstehen Bakterien (wie höhere Organismen auch), indem sie ihre inneren Reserven anzapfen. Dabei können die meisten Typen beträchtlich schrumpfen: Ein wohlgenährtes Exemplar mißt, sagen wir, einige Mikrometer (tausendstel Millimeter) im Durchmesser, ein abgemagertes hat vielleicht nur noch ein Tausendstel des normalen Volumens. Eben solche kümmerlichen Wesen fand Thomas L. Kieft vom New Mexico Institute of Mining and Technology in Soccorro in vielen der Proben aus der Tiefe.

Diese hungernden Zwergbakterien (man sagt dazu auch Ultramikro-Bakterien) haben vermutlich eine viel geringere Stoffwechselrate als gut genährte. Infolgedessen mag es sein, daß tief in der Erde lebende Bakterien sich durchschnittlich vielleicht alle 100 Jahre einmal teilen oder sogar noch seltener – im krassen Gegensatz zu oberirdischen Mikroben, bei denen die Spanne unter optimalen Bedingungen einige Minuten und unter ungünstigsten allenfalls Monate beträgt. Die unterirdischen Gesteinsbakterien haben sich auf Hungerperioden von geologisch maßgeblichen Zeiträumen eingestellt; sie können lebensfähig bleiben, indem sie ihren Stoffwechsel so gut wie abstellen.

Daß der Metabolismus so unendlich träge ist, macht es schwer zu entscheiden, wie viele der Exemplare in einer Probe überhaupt noch wirklich leben. Man kann zum Beispiel zählen, welcher Anteil im Labor kultivierbar ist – also sich bei Zugabe von essentiellen Stoffen vermehrt (Bild 3). Von Zellen aus jenen sandigen Sedimenten, in denen Wasser und Nährstoffe im allgemeinen ziemlich ungehindert zirkulieren können, pflegen es mehr als 10 Prozent zu sein. Doch nicht einmal ein zehntel Prozent sind es, wenn der Herkunftsort ein Sediment aus den Wüsten- und Halbwüsten im Südwesten der USA mit minimaler Wasserzirkulation ist.

Möglicherweise aber behandelt man die unterirdischen Mikroben nur falsch, und an sich sind noch mehr vermehrbar, nur unter den gebotenen Kulturbedingungen nicht. Die nicht kultivierbaren könnten zudem genausogut zwar noch lebens-, aber nicht mehr vermehrungsfähig sein. Vielleicht sind sie aber schon wirklich tot. Tote Zellen zersetzen sich unter den wasser- und nährstoffarmen Bedingungen in der Tiefe extrem langsam, so daß sie in manchen biochemischen Tests leicht fälschlich als lebend eingestuft würden (diese sind somit auch keine verläßliche Alternative).

Bislang hat unser Kollege David L. Bulkwill von der Florida State University in Tallahassee aus verschiedenen unterirdischen Biotopen mehr als 9000 Einzel-Isolate von Mikroorganismen katalogisiert und deponiert, hauptsächlich ein breites Sortiment von Bakterien, aber auch rund 100 Pilztypen (Kasten links). Was diese neuen Lebewesen an kommerziellen Nutzanwendungen bereithalten, muß weitgehend erst zukünftige Forschung erweisen. Schon der geringe Prozentsatz bereits gründlich untersuchter Organismen umfaßt erstaunlich viele Vertreter mit möglicherweise wertvollen Eigenschaften. Manche können giftige organische Verbindungen abbauen, manche Antibiotika bilden, andere hitzestabile Enzyme oder sogar neuartige Farbstoffe produzieren, um nur einiges zu nennen. Die Firma Pfizer durchmustert zur Zeit 3200 der Bakterien-Isolate auf neue Antibiotika; das Biotechnologieunternehmen ZymoGenetics testet mindestens 800 Isolate auf andere nützliche Substanzen.

Abgesehen vom zu erwartenden kommerziellen Nutzen ist die Erforschung unterirdischer Organismen auch rein wissenschaftlich lohnend: Sie erweitert das Bild vom Spektrum des Lebens, insbesondere unser Verständnis, wie es sich isoliert und fern der Erdoberfläche behaupten kann. Man verspricht sich von solchen Lebensgemeinschaften sogar Aufschluß über frühe Lebensabläufe vor der Entwicklung der Photosynthese. Und diese Forschung kann zur jüngst wieder aufgelebten Diskussion über die Möglichkeit außerirdischen Lebens beitragen: früher oder sogar heute noch in den Tiefen auf dem Mars oder unterhalb der eisigen Hülle einiger der größeren Monde von Planeten des äußeren Sonnensystems. Wenn man bedenkt, daß Organismen die harte Existenz tief unter der Erdoberfläche aushalten, neigt man eher zu dem Glauben, es könnten außerhalb unseres Planeten im Sonnensystem winzige versteckte Lebensformen existieren.

Literaturhinweise

- The Deep Subterranean Biosphere. Von Karsten Pedersen in: Earth Science Reviews, Band 34, Heft 4, Seiten 243 bis 260, August 1993.

– Ground-Water Microbiology and Geochemistry. Von Francis H. Chapelle. John Wiley and Sons, 1993.

– The Biosphere Below. Von Daniel Grossman und Seth Shulman in: Earth: The Science of Our Planet, Band 4, Heft 3, Seiten 34 bis 40, Juni 1995.

– Geomicrobiology. Von Henry L. Ehrlich. Marcel Dekker, 3. Auflage, 1996.

– Informationen über das Forschungsprogramm finden sich im WWW unter http://www.er.doe.gov/production/oher/EPR/subprog.html


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1996, Seite 66
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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