Direkt zum Inhalt

Leckagendetektion bei Abwasserkanälen

Mit Untersuchungen der Bodenluft kann man nicht nur Undichtigkeiten in der Öffentlichen Kanalisation nachweisen, sondern auch ermitteln, wieviel Abwasser austritt und wie stark es Boden und Grundwasser gefärdet. Die Ergebnisse bilden eine Grundlage für Entscheidungen über Sanierungsmaßnahmen.


In Deutschland versickern jährlich mehrere 100 Millionen Kubikmeter Abwasser aus beschädigten Kanalisationen. Weil dadurch Boden und Grundwasser erheblich verunreinigt werden, sind in vielen Bundesländern regelmäßige Überprüfungen des Abwassersystems und die Sanierung defekter Kanalrohre gesetzlich vorgeschrieben.

An diesen Maßnahmen besteht zudem ein wirtschaftliches und politisches Interesse. Zum Beispiel kann bei Kanalisationsnetzen im Bereich schwankender Grundwasserstände (etwa in Küsten- und Flußnähe) auch umgekehrt Grundwasser in defekte Kanäle eindringen. Dies verteuert Transport und Behandlung des Abwassers, was wiederum höhere Gebühren nach sich zieht.

Bislang werden Abwasserkanäle routinemäßig mit ferngesteuerten Fernsehkameras inspiziert (siehe auch Spektrum der Wissenschaft, März 1995, Seite 100). Mit dieser visuellen Methode läßt sich allerdings nicht ermitteln, wieviel Wasser aus einem Leck tatsächlich austritt und in welchem Ausmaß es Boden und Grundwasser gefährdet. Andererseits erzwingen die begrenzten Mittel der Kommunen vielerorts, vorrangig nur die gravierendsten Mängel zu beheben. Dies wiederum setzt eine detaillierte Schadensbewertung voraus, die auch das Rohrumfeld, die Zusammensetzung des Abwassers und den Grundwasserstand einbezieht.

Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie geförderten Forschungs- und Entwicklungsprojektes "Leckagendetektion bei alten Kanälen und Kanalisationsnetzen im Bereich schwankender Grundwasserstände" haben wir am Lehrstuhl für Angewandte Geologie der Universität Karlsruhe in enger Zusammenarbeit mit dem Tiefbauamt der Stadt Rastatt neue Methoden entwickelt, angewandt und überprüft, mit denen man – bei vertretbaren Kosten – den Grad der Undichtigkeit feststellen und die Ausbreitung von Schadstoffen verfolgen kann. Untersucht wurden weiterhin das Ausbreitungsverhalten versickernder Abwässer und ihre Einflüsse auf Boden und Grundwasser.

Für die erste Phase wählten wir aus dem Kanalisationssystem von Rastatt zunächst einen nachweislich stark beschädigten Kanalabschnitt am Rheinauer Murgdamm. Mit der ferngesteuerten Fernsehkamera waren zahlreiche, teils beträchtliche Mängel wie Rohrbrüche, Ablagerungen, Korrosion, Wurzeleinwüchse, offene Muffen und Risse zu erkennen (Bild 1): Um das tatsächliche Ausmaß der Undichtigkeiten zu ermitteln, führten wir chemische Analysen des Kanalwassers, der Kanalsedimente und des Bodens durch; so ließen sich kontaminierte Bereiche eingrenzen.

Entscheidend für die Schadstoffausbreitung sind Fließwege, die das Sickerwasser leicht passieren kann und auf denen es vom umgebenden Material kaum aufgesogen wird. Um sie aufzuspüren, wandten wir eine ganze Palette von geologischen, hydrogeologischen, geophysikalischen, bodenphysikalischen und chemischen Untersuchungen an. Anschließend bewerteten wir die Methoden nach ihrer Tauglichkeit sowie nach günstigen Kombinationsmöglichkeiten. Als besonders schnell, einfach durchführbar und aussagekräftig erwiesen sich dabei die von uns erstmals erprobten Bodenluftmessungen von der Oberfläche aus. Optimale Ergebnisse lieferten sie in Kombination mit geophysikalischen Methoden sowie einer Multisensorkanalsonde.

In der zweiten Untersuchungsphase wurde ab April 1993 auf dem Pumpwerksgelände im Rastatter Ortsteil Plittersdorf eine Teststrecke aus einem Schmutz- und einem Regenwasserkanal errichtet, auf der wir die verschiedenen Detektionsverfahren gezielt erproben und weiterentwickeln konnten. Da sie direkt mit dem städtischen Kanalisationssystem verbunden ist, läßt sie sich außer mit Regen- oder speziell präpariertem Testwasser auch mit normalem städtischem Abwasser fluten; dies erlaubt nahezu realistische Versuchsbedingungen. Beim Verlegen der Rohre im Schmutzwasserabschnitt wurde absichtlich eine Muffe nicht abgedichtet und eine künstliche Leckage am Rohrboden geschaffen; beim Regenwasserkanal ließen wir zwei Muffen ohne Dichtung.

Nachdem die Baugrube geschlossen war, brachten wir in ihrem Umkreis verschiedene Meßeinrichtungen an. Dazu gehörten insbesondere 18 Bodenluftmeßstellen, bestehend aus 2,50 Meter langen, geschlitzten PVC-Rohren, die gegen die Atmosphäre abgedichtet waren (Bild 2). Sie ragten senkrecht in den Boden und erlaubten, im horizontalen Abstand von jeweils zehn Zentimetern Bodenluftproben zu entnehmen. Da wir die Baugrube mit gewaschenem mittelsandigem Feinkies verfüllt hatten, gab es keine Unhomogenitäten im Erdreich, die die Deutung der Messungen erschwert hätten.

Um Basis-Vergleichswerte zu erhalten, fluteten wir im August 1993 zunächst den Regenwasserkanal mit reinem Leitungswasser. Beim eigentlichen Experiment einen Monat später füllten wir dann zunächst den Schmutzwasserkanal mit Leitungswasser, in dem Kochsalz gelöst war, und anschließend den Regenwasserkanal mit normalem Abwasser, dem wir zusätzlich künstliche Farbstoffe (Eosin, Pyranin und Naphthionat) als Markierungssubstanzen zugegeben hatten.

Beispielhaft seien hier nur die Bodenluftuntersuchungen beschrieben. Der Gasaustausch zwischen Boden und Atmosphäre vollzieht sich proportional zum Druckgefalle hauptsächlich durch Diffusion: Die Bodengase migrieren dabei durch Klüfte, Risse und Poren; außerdem, können sie in gelöster oder chemisch gebundener Form vom Sicker- und Grundwasser mitgeführt werden.

Entscheidend für die Detektion von Leckagen sind lokale Abweichungen in der Zusammensetzung der Bodenluft. Vor der eigentlichen Messung sollten deshalb die wesentlichen Komponenten des normalen örtlichen Bodengases bestimmt werden; anderenfalls könnten das Eindringen atmosphärischer Luft in die Deckschichten, eine gesteigerte Gasproduktion durch Mikroorganismen in der Bodenkrume, Änderungen von Luftdruck und Feuchtigkeit oder anthropogene Einflüsse Anomalien vortäuschen oder auch verdecken.

Die Hauptbestandteile der Bodenluft im Bereich von Abwasserkanalleckagen sind Kohlendioxid, Sauerstoff und Stickstoff. Methan, Schwefelwasserstoff und Kohlenwasserstoffe lassen sich dagegen meist nur bei Undichtigkeiten in Industrieabwasserkanälen nachweisen. Kohlendioxid entsteht ganz allgemein bei der Zersetzung organischer Substanzen und liegt im Boden in Bereichen besonders starker Bioaktivität in erhöhter Konzentration vor. Da Abwasser oft nährstoffreich ist und so die mikrobielle Tätigkeit fördert, kann ein gesteigerter Gehalt der Bodenluft an Kohlendioxid also als Hinweis auf ein Leck dienen. Parallel dazu ist dann gewöhnlich der Sauerstoffanteil erniedrigt, weil dieses Gas bei der Zersetzung verbraucht wird. Schwefelwasserstoff entsteht – zusammen mit Methan und Kohlendioxid – in Sumpfgasen sowie in Wässern mit Sauerstoff-Defizit durch Sulfatreduktion; da in den obersten Bodenschichten oxidierende Bedingungen herrschen, ist er jedoch nur sehr selten nachzuweisen.

Die Bodenluftproben wurden mit einem Infrarotmeßsystem der Firma Meta in Altenberge bei Münster auf Kohlendioxid, Sauerstoff, Schwefelwasserstoff und Methan analysiert. Zudem ermittelten wir mit einer Kombination aus Gaschromatograph und Massenspektrometer aus Proben, die mit besonderen Verfahren wie der Anreicherung in Aktivkohle gewonnen worden waren, auch seltenere Gase.

Während und nach den Flutungsversuchen änderte sich die Zusammensetzung der Bodenluft im Bereich der Kanalleckagen deutlich (Bild 2). Indem wir die Abweichungen zeitlich und räumlich verfolgten, konnten wir Erkenntnisse über das Ausbreitungsverhalten der Bodengase gewinnen, Undichtigkeiten eindeutig nachweisen und auch die jeweils entweichenden Abwassermengen annähernd quantitativ bestimmen. Insbesondere in Kombination mit geophysikalischen Meßgeräten, die an die TV-Kamera angekoppelt werden, liefern Bodenluftuntersuchungen somit wertvolle Daten, um Sanierungsmaßnahmen gezielter und effizienter vorzunehmen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1995, Seite 21
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Kennen Sie schon …

Spektrum Kompakt – Das alte Rom - Leben und Gesellschaft in der antiken Metropole

Bis zu eine Million Menschen lebten im alten Rom. Wie sah damals ihr Alltag aus, wie war die Gesellschaft strukturiert? Schließlich stand die antike Metropole vor ähnlichen Herausforderungen wie Megacitys heute - doch unter anderen technischen Voraussetzungen.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.