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Leerlauf zwischen Wissenschaft und Wirtschaft - Experten-Dilemma oder Strukturproblem?


Jeder weiß: Deutschland braucht neue Arbeitsplätze. Es ist das Ziel der Bundesregierung sowie aller an der Kanzlerrunde beteiligten Unternehmensverbände und Gewerkschaften, bis zum Jahre 2000 – zusätzlich zur Sicherung der bestehenden Beschäftigungsverhältnisse – die Hälfte der Arbeitslosen wieder in Lohn und Brot zu bringen.

Dies wird nicht einfach sein. Ein Teil der Strategie muß es sein, die Arbeitsplatzkosten zu verringern. Rationalisierung und die Senkung der Lohnzusatzkosten über eine Reform der sozialen Sicherung sind die Schlüssel dafür. Bei der Rationalisierung sind die Unternehmen weit fortgeschritten. Bei der Reform der sozialen Sicherung stehen wir erst am Anfang.

Außerdem wird insbesondere in den Branchen und Regionen, in denen gravierende Arbeitslosigkeit herrscht, auch die Einkommenshöhe in Frage gestellt. Dies wird dort besonders deutlich, wo sich auswirkt, daß neue Konkurrenten auf dem Weltmarkt klassische Produkte erheblich billiger als deutsche Unternehmen anbieten.

Gerade dies zeigt jedoch, daß Kostensenkung nicht das alleinige Rezept sein kann. Defensive allein bedeutet Untergang auf Raten. Wir müssen unser Einkommensniveau nicht nur halten und verteidigen, wir müssen es ausbauen wollen; sonst wird auch die Sicherung der Renten trotz aller Reformansätze schwierig.

Außer Kostensenkung ist darum vor allem Innovation erforderlich. Jüngst hat auch die IBM-Studie mit dem Titel "Made in Germany 2" ergeben: Im weltweiten Wettbewerb sind diejenigen die Gewinner, die als oberste strategische Ziele Innovationsführerschaft, Qualitätsbewußtsein und Kundenfreundlichkeit nennen. Die Verlierer dagegen sind auf Senkung der Kosten fixiert. Nur mit innovativen Leistungen können Einkommen und Wohlstand in einem scharfen globalen Wettbewerb auf Dauer gesichert und ausgebaut werden. Der Deutlichkeit halber sei betont, daß dabei die Einkommen nicht der (innovativen) Leistung vorauseilen können.


Ist die Bundesrepublik ein innovationsstarkes Land?

Deutschlands aktuell noch gute Position in der technologischen Leistungsfähigkeit ist weitgehend den Zukunftsinvestitionen der Vergangenheit zu verdanken. Immer mehr aber zehrt inzwischen die deutsche Wirtschaft technologisch von der Substanz. Der jüngste Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit, erstellt im Auftrage des Bundesforschungsministers, macht dies unmißverständlich klar. Noch ist Deutschland stark in den hochwertigen Techniken; sie sind die Basis unseres heutigen Wohlstandes. In Spitzentechniken jedoch liegen die Vereinigten Staaten und Japan deutlich vor uns. In dieser Situation fahren wir unsere Forschungsausgaben paradoxerweise zurück (Bild Seite 45). Im Jahre 1994 betrug der Anteil der Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) am Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik nur noch 2,34 Prozent. Mit diesem Wert lag Deutschland erstmals knapp hinter Frankreich. Das bedeutete Platz 4 der G-7-Staaten beziehungsweise Platz 6 der OECD-Länder (mit Schweden auf Platz 1 und der Schweiz auf Platz 4 ). Insbesondere die FuE-Ausgaben der Unternehmen stagnieren nominal. Real gehen sie zurück. In dieser Situation ist es entscheidend, die vorhandenen Potentiale so gut wie irgend möglich zu nutzen. Doch schöpfen wir die Möglichkeiten aus?
Wir können uns ein Experten-Dilemma nicht leisten
Die Säulen des Innovationssystems sind Wissenschaft und Wirtschaft. Forschung und Industrie haben die Aufgabe, schnell und entschieden die technologische Basis für die Produkte von morgen und übermorgen zu verbessern. Mehr denn je kommt es auf ihr erfolgsorientiertes Zusammenwirken an, wenn die Bundesrepublik im Innovationswettlauf mithalten soll. Doch gerade hier stellt der erwähnte Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit fest, daß die Profile von Wirtschaft und Wissenschaft nicht übereinstimmen. Forschung und Industrie verhalten sich noch viel zu sehr wie zwei eigenständige soziale Systeme. Sie haben zwar einige übereinstimmende Regeln, aber sie haben auch unterschiedliche Sprachen und unterschiedliche Ziele. Manche Unterschiede sind sinnvoll, manche sind tolerierbar, und vieles muß geändert werden:
Wissenschaft und Wirtschaft haben unterschiedliche Effizienzkriterien. Sie sind auf verschiedene Märkte ausgerichtet.
Die Wissenschaft ist fixiert auf den Erkenntnismarkt, der sich aus Segmenten von jeweils relativ wenigen Fachkundigen zusammensetzt. Es zählt, eine Entdeckung als erster gemacht zu haben. Das Datum ist entscheidend. Anschließend ist die Entdeckung freies Gut, was auch immer sie gekostet haben mag. Sponsor ist in der Regel der Staat. Die Wirtschaft ist letztlich ausgerichtet auf einen kaufkräftigen Konsumentenmarkt. Es gilt, Bedürfnisse vieler gegen Bezahlung zu befriedigen. Auf diesem Markt wird entschieden, ob Güter und Dienstleistungen zu ihren Preisen (Kosten) akzeptiert werden oder aus dem Angebot verschwinden. Hier – am Markt – entscheidet sich, ob Inventionen zu Innovationen werden. Wer sich die Unterschiede vor Augen hält, die kaum krasser sein können, den wundert die endlose leidige Transfer-Diskussion nicht. Der Weg von der öffentlich finanzierten Forschung zum Unternehmen funktioniert nur in Einzelfällen, weil die Forschung regelmäßig gar nicht für die Unternehmen produziert und deswegen die Unternehmen von ihr auch nur selten etwas erwarten. In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Zwangslage sind wir jedoch viel mehr auf solche Inventionen angewiesen, die Rohstoff für Innovationen liefern. Wie bekommen wir sie? Aus der oft nur gedanklichen Kette Forschung > Unternehmen > Markt muß in verstärktem Maße die umgekehrte tatsächliche Kette Markt > Unternehmen > Forschung werden. Den bisherigen Marktgegebenheiten entsprechend sind zum Beispiel zu vielen Forschern die Publikation ihrer Ergebnisse und die Anerkennung durch Kollegen wichtiger als die Sicherung einer Erfindung durch Patente und die Umsetzung in Produkte. Wenn der Eifer von Forschern nach der Beschreibung eines neuen Prinzips auf einem großen internationalen Kongreß erlahmt und das nächste Thema auf ähnlich hohem Niveau angegangen wird, funktioniert aber der Wissens-Transfer durch Köpfe nicht. Es bringt wenig, wenn Forscher nur von einer grundlegenden Erkenntnis zur nächsten eilen, sich aber an der Umsetzung in neue Produkte oder Verfahren nicht oder nur widerwillig beteiligen. Es bringt wenig, wenn sich Forscher mit aller Energie ihrem Spezialfach widmen und sich nicht zur gleichen Zeit durch enge Kontakte zu den Unternehmen über die Anforderungen des Marktes informieren. Wir brauchen mehr Forscher, die sich erst dann richtig freuen, wenn aus ihrer Entdeckung ein nützliches Produkt geworden ist. Viele Forscher berufen sich auf den neuhumanistischen Gelehrten und Politiker Wilhelm von Humboldt (1767 bis 1835), der die erste Berliner Universität konzipierte, und fordern Unabhängigkeit der Forschung, um entsprechend eigenen Prioritäten arbeiten zu können. Selbstverständlich kann sich die Wissenschaft nur fortentwickeln, wenn – im besten Sinne des Wortes – genügend Platz für Neugierde und Wissensdurst gegeben ist. Zu erinnern ist indes an Humboldts Bildungsbegriff: die Anregung sowohl aller Kräfte, die zur Aneignung von Welt und zur Entfaltung einer sich selbst bestimmenden Individualität nötig sind, als auch solcher Kräfte, die dem "Bedürfnis des Lebens" und – so ausdrücklich – den einzelnen "Gewerben" dienen. Zur Zeit muß sicherlich ein größerer Teil der Forschungsmittel zielgerichtet und effizient zur Lösung vorgegebener Aufgaben aufgewandt werden. Wissenschaftler müssen akzeptieren: Auch Marketing ist Wahrheitsfindung.
Wirtschaft und Wissenschaft haben unterschiedliche Zeithorizonte.
Forscher würden am liebsten weit in die Zukunft denken. Sie verfolgen gern alle Ansätze, die Wege zu dem fernen Ziel zu eröffnen scheinen. Unternehmen wiederum sind zwar an dauerhaftem Wachstum interessiert und verfolgen insofern auch Langfristplanungen; diese sind allerdings nur umzusetzen, solange Produktgeneration für Produktgeneration schwarze Zahlen geschrieben werden. Die unterschiedlichen Zeitrahmen lassen sich nur dann harmonisieren, wenn Forschungsinstitutionen bei der unerläßlichen Vorlaufforschung die Anwendung im Blick behalten, die dann in konkreten und schnell zum Ziel führenden Innovationsprojekten auf den Markt gebracht wird. Forscher haben einen beneidenswerten Arbeitsplatz. Phantasie, Kreativität, entdecken, sorgfältig ergründen, diskutieren, beschreiben, weitergeben – all das kennzeichnet gute Forschung. Ein hohes Innovationstempo fordert aber auch Zielvorgaben, Marketing und Kostenkontrolle. Dazu müssen sich größere Teile der Wissenschaft bequemen, um schneller von Prinzipien über Simulationen, Labormodelle und praktisch noch nicht brauchbare Prototypen zu marktfähigen Produkten zu gelangen. Flexibilität und Kreativität sind Merkmale, die Forscher gerne für sich in Anspruch nehmen. Doch nach Jahren der Arbeit in einem Forschungsfeld sind Beziehungen aufgebaut, die leicht zum Selbstzweck werden. Die Wissenschaftler müssen sehen, daß auch sie nach Abschluß eines Projektes für neue Felder einsetzbar bleiben. Das Schlagwort "lebenslanges Lernen" gilt auch für die Wissenschaft.
Wissenschaft und Wirtschaft haben eine unterschiedliche Auffassung von Vertraulichkeit.
Wesentliche Grundlagen der Wissenschaft sind der schnelle Informationsaustausch und die fortwährende Diskussion in der Zunft. Dieser diskursive Wesenszug der Forschung ist zu einem guten Teil ihr Lebenselixier. In Kooperationsverträgen hingegen werden Regeln für den Umgang mit vertraulichen Informationen und für die Veröffentlichung von Ergebnissen vereinbart. Die bei Unternehmen gebotene Vorsicht verstärkt Verbindungen zu vertrauten Partnern und erschwert das Ausprobieren alternativer Ansätze. Dem Stil im Umgang miteinander und mit gemeinsamen Forschungsergebnissen kommt in einer Kooperation mithin große Bedeutung zu. Die Unterschiede in den Zielen, Zeithorizonten und anderen Einstellungen müssen überwunden werden. Ein Experten-Dilemma dergestalt, daß die Experten von Wissenschaft und Wirtschaft nicht zueinander finden, kann die Bundesrepublik sich nicht leisten. Wo liegt die Lösung?

Die Unternehmen müssen offensiv werden

Was innovativ ist, entscheidet – wie gesagt – der Markt. Die derzeit erforderliche stärkere Innovationsorientierung der Wissenschaft kann ihren maßgeblichen Impuls nur von denen bekommen, die Güter und Dienstleistungen verkaufen müssen, also von den Unternehmen. Wie können die Unternehmen die Impulse geben?

Zum einen: Der klarste Weg, um Einfluß zu nehmen, sind die Auftragsforschung und Kooperationen. Zunehmend auf den Kern reduzierte eigene Kapazitäten für Forschung und Entwicklung machen die Unternehmen dazu mehr und mehr bereit.

Während die Zahl des FuE-Personals in der Wirtschaft sinkt (1991 waren es 321756, aber 1994 nur mehr 284380 Beschäftigte), steigen die Aufwendungen der Unternehmen für externe Entwicklungsaufträge (1991 waren es 10,1 Prozent der Gesamtaufwendungen, für 1995 waren 13,1 Prozent geplant). Dies ist vernünftig, denn die Unternehmen können in Kooperationen die zur Entwicklung einer immer komplexeren Technik nötige große Bandbreite von Fachwissen besser und flexibler gewinnen. Dazu gehört, daß sie bei ihren Mitarbeitern, die auf dem Forschungsmarkt sozusagen neue Ideen einkaufen und kreative Wissenschaftler in Unternehmensstrategien einzubinden suchen, Offenheit und Verständnis für wissenschaftliche Vorgehensweisen fördern.

Zum zweiten: Forschung muß generell verstärkt über die Unternehmen finanziert werden. Da liegt eine Strukturaufgabe der Politik. Zurückgehende FuE-Aufwendungen der Unternehmen haben auch mit einer exorbitanten Steuerlast zu tun; Entlastung tut not, insbesondere dort, wo es um Zukunftsinvestitionen geht.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) schlägt vor, daß jedes Unternehmen einen bestimmten Anteil seiner Ausgaben für Forschung und Entwicklung einschließlich der Ausgaben für Forschungsaufträge von der Steuerschuld abziehen kann. Dieses Instrument der Forschungsförderung wäre marktkonform, es wäre erfolgsorientiert und mobilisierte brachliegende Innovationspotentiale gerade bei kleineren und mittleren Unternehmen. Die Verstärkung der Forschungsbudgets von Unternehmen durch steuerliche Bevorzugung hätte gewiß zur Folge, daß mehr Aufträge auf dem freien Markt an interessante Forschungseinrichtungen vergeben würden. Die Wirtschaft erhielte mehr Spielraum, die Potentiale im Bereich der öffentlich organisierten Forschung für unternehmerische Marktziele und damit für Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze zu mobilisieren.

Drittens: Die Unternehmen müssen lernen, die Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen von vornherein positiv zu beeinflussen. Unternehmen müssen lernen, wie insbesondere im Bereich der öffentlich finanzierten Wissenschaft Forschungsfelder in Beiräten und ähnlichen Gremien bereits im Vorfeld anwendungsorientiert konzipiert werden können. Wenn es um konkrete Innovationsprojekte geht, muß die Forscher im Laufe ihrer Arbeiten ein klares verpflichtendes Interesse der Unternehmen begleiten. Unverbindliche Äußerungen zu Verwertungsperspektiven erleichtern es Forschern, in die abstrakte Behandlung ihres Themas abzugleiten.


Die Forschungsinstitute müssen konkurrieren (dürfen und können)

Um die Etats der Industrie für Auftragsforschung und Kooperationsprojekte müssen die Forschungsinstitutionen durch Leistungswettbewerbe konkurrieren.
Forschung und Entwicklung sind zwar keine normalen Märkte. Wesentliche Bereiche der Forschung können gar keinen anderen Ertrag haben als Erkenntnisgewinn; und ob es am Ende potentiell anwendungsbezogener Forschungsarbeiten ein verwertbares Ergebnis geben wird, ist extrem unsicher. Zudem lassen sich Qualität und Kosten unterschiedlicher Anbieter von Ideen nur schwer vergleichen. Trotzdem sind weder betriebliche Forschungsabteilungen noch unabhängige Forschungsinstitute der gesellschaftlichen Umstände und Bedingungen enthoben. Marktgesetze bestimmen auch ihre Strukturveränderungen, die nicht zuletzt durch den internationalen Standortwettbewerb vorgegeben werden. Die deutsche Forschung kann in diesem Wettbewerb nicht immer mithalten. Zum Beispiel bestellen aus guten Gründen deutsche Institutionen einen Teil ihrer neuen Software bei indischen Informatikern. Noch bedenklicher ist, daß Teile der Politik und der Forschung nicht mithalten wollen. Wenn in der Bundesrepublik hohe Barrieren für neue Forschungsgebiete – wie die Gentechnik – aufgebaut werden, dann entstehen entsprechende Forschungskapazitäten woanders. Das wäre nicht nötig und hat Rückwirkungen auf Industrien, an die man auf den ersten Blick nicht denkt. Zu wenige Menschen sehen, daß sich zum Beispiel viele Umweltprobleme mit Gentechnik einfach und effektiv lösen lassen sollten. Allein mit einfachen mechanischen Geräten werden wir in der allseits als Wachstumsindustrie herbeigewünschten Umwelttechnik nicht wettbewerbsfähig bleiben. In dieser Situation ist eine möglichst gute Abstimmung zwischen den Unternehmen und den in Universitäten und anderen öffentlich finanzierten Institutionen tätigen Forschern ein entscheidender Wettbewerbsvorteil für die heimische Forschung, den sie ausbauen muß. Die Wissenschaft muß den Service für ihre Abnehmer, die Unternehmen, erhöhen. Sie darf nicht nur Konzepte präsentieren oder Fragen stellen, sie muß auch möglichst einfach umsetzbare Lösungen anbieten. Dazu muß die Forschung durch Finanzierungsregeln ermuntert und darf nicht durch Verwaltungsvorschriften gehindert werden.
Die Wissenschaft muß sich in gemeinsame Innovationsprojekte einbinden lassen. Aus Forschungsprojekten müssen verstärkt Innovationsprojekte werden.
Das Belohnungssystem in der Wissenschaft ist nur wenig leistungsorientiert und fördert die Anwendungsorientierung kaum. Wenn es in öffentlichen Forschungseinrichtungen Leistungsprämien gibt, stellen sie im Vergleich zum BAT-Grundgehalt – zumal nach Abzug aller Abgaben – keinen wirklichen Anreiz dar (BAT ist der Bundesangestelltentarif). Oft genug werden Prämien gar aufgrund der Besitzstandswahrung weitergezahlt, obwohl aktuell keine außergewöhnlichen Leistungen mehr erbracht worden sind. Hier müssen die öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen den nötigen Spielraum bekommen, um ihre Mitarbeiter für gute Leistungen und insbesondere auch für die Umsetzung von Ideen in Produkte deutlich genug zu belohnen.
Das entscheidende Mittel, um die geforderte Anwendungsorientierung der Wissenschaft zu erhöhen, sind Strukturveränderungen bei der Forschungsfinanzierung.
Heute bekommen viele Forschungsinstitute jedes Jahr einen Großteil ihrer Mittel vom Staat, ohne daß eine unmittelbare Erfolgskontrolle gegeben wäre. Ein Teil dieser Grundfinanzierung muß in Projektfördermittel umgewidmet werden, um die sich alle Forschungsinstitute bewerben können. Überdies sind die öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen zu verpflichten, mehr Aufträge direkt von der Industrie einzuwerben.

Mehr Wissenschaftler müssen Unternehmer werden

Manche marktreife Entwicklung wird in Deutschland nicht umgesetzt, weil nicht genügend Risikokapital zur Verfügung steht. Insbesondere bei kleineren und mittleren Unternehmen liegen die Probleme der Innovationsfähigkeit nicht in zu geringen technischen Fähigkeiten, sondern im Mangel an Eigenkapital. Gerade Forscher, die sich mit der Vermarktung ihrer Entwicklung selbständig machen wollen, finden nicht die besten Bedingungen vor. Deshalb fordert der BDI Steuergutschriften bei Engagements in Risikokapitalanlagen, die Steuerbefreiung re-investierter Gewinne junger Technologieunternehmen für die ersten fünf Jahre und die Steuerfreistellung von Veräußerungsgewinnen aus Beteiligungen an jungen Unternehmen.


Fazit

Insgesamt müssen wir dazu kommen, die Mechanismen der Ideenfindung, der Finanzierung, der arbeitsteiligen und interdisziplinären Forschung, der Leistungsbelohnung, der Vermarktung, der Qualifizierung – um nur die wichtigsten zu nennen – so aufeinander abzustimmen, daß aus wesentlich mehr Forschungsvorhaben Innovationen hervorgehen. Dies ist die Herausforderung, die unser Forschungssystem in den nächsten Jahren bewältigen muß.

Die mangelnde Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ist kein unlösbares Experten-Dilemma. Sie ist ein lösbares Strukturproblem.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1996, Seite 41
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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