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Letzte Zuflucht Zoo. Die Erhaltung bedrohter Arten in Zoologischen Gärten


Die bürgerlichen Zoos, gegründet ab dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts, wollten Stätten für populäre Volksbildung in Naturkunde und zugleich für Erholung sein. Seit einigen Jahrzehnten haben sie dazu noch eine weitere Aufgabe übernommen, die in ihrer ursprünglichen Konzeption nicht vorgesehen war, nämlich für immer mehr Wirbeltierspezies Arterhaltung zu betreiben. Möglich wurde dies, weil man nach und nach in Erfahrung gebracht hatte, wie die für die einzelnen Arten relevanten Ökofaktoren umgesetzt und die Tiere auch in Menschenobhut artgemäß gehalten werden können.

Das gilt nicht für alle, aber doch für viele Wirbeltiere und hat Bedeutung vor allem für Großsäuger und Vögel. Gerade noch rechtzeitig vor dem völligen Zusammenbruch der Populationen zahlreicher Arten konnten die Zoologischen Gärten Tierbestände aufbauen, die sich durch günstige Reproduktionsbedingungen selbst erhalten. Aus Tierkonsumenten, die Zoos seit Anbeginn waren, haben sie sich zu Tierproduzenten entwickelt. Das schafft die Basis für Arterhaltungsprogramme: Im Zoo gezüchtete Individuen gefährdeter Arten können in Schutzgebieten innerhalb ihres ehemaligen Verbreitungsgebietes wieder ausgebürgert werden.

So naheliegend dieser Gedanke zu sein scheint, rief er doch von mehreren Seiten Widerspruch hervor, auch und vor allem von engagierten Naturschützern. Dieser Diskussion widmet der britische Wissenschaftsautor Colin Tudge den Hauptteil seines Buches. Er hat sich den Stoff auf zahlreichen Reisen erarbeitet und viele Fachleute vor Ort interviewt. Im Literaturverzeichnis dominieren englischsprachige Titel, wie häufig bei angelsächsischen populärwissenschaftlichen Publikationen.

Tudge skizziert zunächst knapp die dramatischen Biotop- und Faunenverluste und versucht dann das Unternehmen, dem Aussterben zumindest von Wirbeltieren auf alle denkbaren Weisen entgegenzuwirken, ethisch zu begründen. Vor allem unter angloamerikanischen Naturschützern ist die Auffassung verbreitet, man solle, wenn schon ein Lebensraum verloren sei, seine Bewohner "in Würde aussterben lassen". Dem hält Tudge entgegen: "Unproduktivität" (man hätte im Deutschen besser "Untätigkeit" gesagt) "ist keine Tugend." Er erläutert an Beispielen, auch gestützt durch Modellrechnungen, daß aktiver Naturschutz im Feld allein hochgefährdete Arten (zum Beispiel das Java-Nashorn) nicht vor dem Aussterben bewahren kann, wohl aber, wenn er durch Vermehrung in den Tiergärten im Rahmen ausgeklügelter Erhaltungszuchtprogramme unterstützt wird.

Tudge berschreibt die heute schon historischen Fälle gelungener Wiederausbürgerungen von Davidshirsch, Wisent, Arabischer Oryxantilope und einigen weiteren Arten; eine Übersicht aller aktuellen Ausbürgerungsprojekte zu geben war offenbar nicht seine Absicht. Die dagegen vorgebrachten Einwände nimmt er durchaus ernst und setzt ihnen oft erfrischend formulierte Gegenargumente gegenüber.

Er scheut sich auch nicht, Prioritäten zu formulieren. Selbstverständlich können die Tiergärten nur für einige wenige hundert, bestenfalls für tausend Spezies Erhaltungszuchtprogramme durchführen. Aber die Erhaltung des Asiatischen Elefanten erscheint ihm wegen seiner allgemeinen Bekanntheit wichtiger als die der zahlreichen tropischen baumlebenden Käferarten. Er diskutiert auch die Risiken der Zuchtprogramme mit geringer Individuenzahl wie Inzucht und ihre Folgen oder eine Verarmung der genetischen Vielfalt.

Informativ und didaktisch gut dargeboten sind die Abschnitte, die wichtige einschlägige Begriffe aus Genetik, Molekularbiologie und Reproduktionsphysiologie erläutern, ferner die Einblicke in das züchterische und organisatorische Management, das für kontinentale oder gar weltumspannende Erhaltungszuchtprogramme erforderlich ist. Sie ermöglichen dem Leser, sich ein eigenes Urteil zu bilden über die Gewichtigkeit der Argumente für und wider den Anspruch der Zoos, an der Arterhaltung mitzuwirken. Daß und warum es auch Mißerfolge gibt, legt Tudge am Beispiel des Goldgelben Löwenäffchens dar. Anhand der Rettungsbemühungen um das Java-Nashorn erläutert er, daß man auch nationale Empfindlichkeiten berücksichtigen muß, so daß aus konservatorischer Sicht nur suboptimale Kompromisse erreicht werden können.

Interessant für den deutschen Leser ist das Plädoyer für eine Beteiligung ernsthafter privater Züchter an den Erhaltungszuchtprogrammen unter bestimmten Voraussetzungen, etwa der strikten Einhaltung der Regularien und selbstverständlich der gesetzlichen Verordnungen. Nicht nur in Großbritannien und in den USA, auch in Deutschland gibt es eine Reihe von Privatleuten, die sich als ausgezeichnete Züchter bestimmter, meist nicht einfach zu haltender Arten ausgewiesen haben; aber die restriktive, mit der Mißbrauchsgefahr begründete Praxis der zuständigen Behörden macht ihnen ihre Arbeit hierzulande oft sehr schwer.

Mit der Frage "Brauchen wir die Zoos wirklich?" überschreibt Tudge eines der letzten Kapitel seines Buches und gibt detailliert, aktuell und praxisnah die Antwort: Nicht allein deswegen, aber auch, um die Chancen für das Überleben einer Anzahl gefährdeter Wirbeltierarten zu verbessern, sind sie unentbehrlich.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1994, Seite 125
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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