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Autismus: Liaison mit Hindernissen

Die Liebe ist für viele Autisten komplizierter als hohe Mathematik. Schließlich zählen Nähe, Berührungen und intensive Blicke zu den zwischenmenschlichen Signalen, die sie nur schwer lesen und verstehen können. Aber wie groß ist bei ihnen trotz sozialer Defizite das Bedürfnis nach Liebe und einer festen Partnerschaft?

Die Psychologin Sandra Strunz und ihre Kollegen von der Charité Berlin haben die Betroffenen direkt dazu befragt. Das Gros der 229 Erwachsenen mit verschiedenen Formen von hochfunktionalem Autismus und mindestens durchschnittlicher Intelligenz kannte sich in Sachen Liebe aus: Immerhin 73 Prozent von ihnen führten zum Zeitpunkt der Befragung eine feste Partnerschaft oder hatten dies in der Vergangenheit bereits getan. Ob ein Proband Erfahrung gesammelt hatte oder nicht, hing dabei keineswegs von der Schwere seiner Symptomatik ab. Auch spielte es keine Rolle, wie empathisch sich der Befragte einschätzte oder wie sehr er im Alltag auf Hilfe angewiesen war. Nur sieben Prozent der Teilnehmer wünschten sich keine feste Partnerschaft.

Wie zufrieden Autisten mit ihrer Beziehung waren, hing vom jeweiligen Partner ab: Wer mit einem anderen Betroffenen liiert war, fühlte sich in der Beziehung im Schnitt wohler als jene mit einem psychisch gesunden Partner. Lebensgefährten, die selbst autistisch sind, könnten Rückzugsphasen besser nachvollziehen, vermuten Strunz und Kollegen.

Bei den befragten Alleinstehenden sah es weniger rosig aus. So sehr sie sich auch eine Beziehung wünschten – den damit einhergehenden sozialen Kontakt empfanden 65 Prozent von ihnen als anstrengend. Fast genauso viele fürchteten, dass sie die Erwartungen eines potenziellen Partners nicht erfüllen könnten, und waren ratlos, wo und wie sie überhaupt einen solchen finden sollten. Jeder zweite Single gab an, nicht zu wissen, wie eine romantische Beziehung funktioniert, und knapp jeder vierte lehnte körperlichen Kontakt im Rahmen einer Beziehung ab.

Das Fazit der Forscher: Deutlich mehr Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung als erwartet hatten schon einmal eine romantische Beziehung geführt. In Therapie und Beratung sei es daher wichtig, das Bedürfnis nach Liebe und Partnerschaft bei dieser Patientengruppe zu erkennen und ernst zu nehmen. Den Singles unter ihnen fehlte nicht etwa der Wunsch danach, sondern die nötigen Fertigkeiten dazu – etwa um Augenkontakt und Gesichtsausdrücke zu inter­pretieren. Die Forscher glauben: Gezielte Trainings könnten den Betroffenen helfen, kommunikative Defizite und die erlebte Belastung im zwischenmenschlichen Kontakt besser in den Griff zu bekommen.

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  • Quellen
J. Clin. Psychol. 73, S. 113–125, 2017
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