Lianen: Die Gauner des Regenwalds
Der Tag von Boris Bernal Vargas beginnt mit einem 40-minütigen Arbeitsweg. Von seinem Dorf Las Pavas in Panama läuft er über eine Weide zu einem hölzernen Steg am Gatúnsee. Von dort fahren er und ein Dutzend weiterer Arbeiter in einem Motorboot ein paar Kilometer zur Insel Barro Colorado hinüber. Das Eiland ist ein Refugium im tropischen Regenwald; mancherorts wurde hier seit Hunderten von Jahren kein Holz mehr geschlagen. Unter dem Blätterdach nehmen die Männer einen ansteigenden Pfad und waten durch knöcheltiefes Laub, bis sie eine Reihe von PVC-Rohren erreicht haben, die im Boden stecken und eine Grenze markieren.
Jenseits dieser Linie ist jeder Baum, der dicker ist als ein kleiner Finger, mit einer sechs- oder siebenstelligen Nummer versehen. Etwa 350 000 Exemplare stehen auf dem 50 Hektar großen, abgeteilten Gebiet. Seit 40 Jahren messen Arbeiter wie Vargas das Wachstum jedes einzelnen davon – im Auftrag des Smithsonian Tropical Research Institutemit Sitz in der Nähe von Panama City.
Seit 2016 nehmen Vargas und die anderen noch eine weitere, lange übersehene Pflanzengruppe in den Blick: Lianen. Deren holzige Ranken winden sich schraubenförmig an den tropischen Bäumen hinauf, dem Sonnenlicht entgegen. Innerhalb des abgesteckten Areals markieren die Arbeiter jede solche Kletterpflanze, die eine festgelegte Mindestdicke erreicht hat. Monatelang hat Vargas sämtliche Lianen dort begutachtet, den Durchmesser ihres Stamms gemessen und die Ergebnisse auf einem Klemmbrett notiert. Die Ranken sind so verschlungen, dass er oft nur ein paar Dutzend pro Tag vermessen kann. Immer wieder unterbricht er die mühsame Tätigkeit – wegen Angriffen von zentimetergroßen Riesenameisen, vorbeischleichender Pumas oder aufgeregter Brüllaffen, die von Ästen herunter ihren Urin versprühen …
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