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Interview mit Davor Solter: 'Lieber gleich die ganze Wahrheit sagen'

Davor Solter, Direktor am Freiburger Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Pionier von Klontechniken, kommentiert die Arbeiten der Forscher bei Advanced Cell Technology.


Spektrum der Wissenschaft: Die Firma Advanced Cell Technology preist ihre neuesten Ergebnisse als Meilenstein beim therapeutischen Klonen ...

Davor Solter: Davon kann keine Rede sein. Es ist im Mausmodell längst bewiesen, dass es bei Säugetieren möglich ist, aus Körperzellen durch Kerntransfer Embryonen zu gewinnen und aus ihnen dann embryonale Stammzellen zu züchten. Hätte das Team die Technik jetzt auch beim Menschen etabliert, wäre dies ein weiterer Schritt, wenngleich intellektuell nicht neu. Ich sehe aber gar keinen geklonten menschlichen Embryo auf den Bildern in der Publikation.

Spektrum: Bei den Versuchen mit Kerntransfer gab es aber doch bei drei "Embryonen" erste Zellteilungen.

Solter: Es ist alles andere als sicher, dass es sich wirklich um echte Zellteilungen handelt. Es könnten ebenso gut Fragmentierungen sein, bei denen keine Kernteilung stattfindet, sondern sich nur das Zytoplasma einer Zelle teilt. Das sieht mitunter sehr ähnlich aus wie ein Vierzellstadium, ist es aber nicht. Das Risiko für Fragmentierung erhöht sich, wenn Sie ältere Eizellen verwenden. Und – es ist ja vor allem nirgends gelungen, bis in Stadien vorzudringen, aus denen sich embryonale Stammzellen gewinnen lassen.

Spektrum: Immerhin lieferte die zweite Strategie, bei der Eizellen aktiviert wurden, Blastocysten.

Solter: Die Resultate überzeugen mich nicht. Menschliche Blastocysten sehen normalerweise wirklich perfekt aus. Bei denen hier in der Arbeit muss ich sagen, sie sehen hoffnungslos aus – ausgeschlossen, dass sich aus diesen Strukturen etwas Vitales entwickelt – schon gar nicht eine Kultur embryonaler Stammzellen.

Spektrum: Warum waren die Versuche nicht erfolgreicher?

Solter: Jedes Säugetier ist anders. Wir wissen heute, wie wir bei Mäusen mit großen Erfolgsraten Blastocysten nach einem Kerntransfer erzielen können, und wie wir daraus embryonale Stammzellen gewinnen. Es könnte sein, dass dies beim Menschen schwieriger ist. Wenn Sie die technischen Probleme lösen wollen, brauchen Sie auch andere Versuchsbedingungen, vor allem einen viel größeren Vorrat an Eizellen. Die Experimentatoren haben jeweils mit rund zwei Dutzend Eizellen gearbeitet. Doch unter 200 braucht man erst gar nicht zu beginnen.

Spektrum: Prinzipiell befürworten Sie aber solche Versuche?

Solter: Ich habe nichts dagegen, wenn jemand zum Beispiel eine Therapie gegen Alzheimer mit menschlichen embryonalen Stammzellen entwickelt. Solche Versuche sind sogar nötig; denn nur Stammzellen, die von einem Patienten direkt abstammen, liefern auch Gewebe, das immunkompatibel mit dem Patienten ist.

Spektrum: Warum soll das Arbeiten mit "aktivierten" Eizellen einen Ausweg aus dem ethischen Dilemma des Klonens bieten? Ist eine solche Eizelle kein Embryo?

Solter: Nein. Sie kreieren kein neues Genom wie bei der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle und das Produkt kann sich nicht zu einem Lebewesen entwickeln. Ein reproduktives Klonen von Menschen wäre also ausgeschlossen. Bei Mäusen gelingt diese Aktivierung von Eizellen seit langem und wir wissen, dass sie auch bei der Implantation in einen Uterus ganz sicher nicht heranwachsen werden.

Spektrum: Warum?

Solter: Manche Gene entfalten ihre Wirkung im Embryo nur dann, wenn sie von einem der beiden Elternteile abstammen – sie brauchen also mütterliche und väterliche Allele. Das ist hier aber nicht der Fall. Es wäre daher wohl auch nach heutiger Rechtslage in Deutschland möglich, solche Blastocysten für die Forschung zu gebrauchen. Daraus gezüchtete embryonale Stammzellen sind aber anders als jene, die aus Blastocysten nach einem Kerntransfer entstehen. Ob Sie sich weniger für klinische Zwecke eignen, bliebe abzuwarten. Ich fände es besser, man würde die Gesetze und Richtlinien ändern und die Forschung mit Kerntransfer beim Menschen auch hier zu Lande erlauben. Denn das bietet am ehesten Aussicht auf klinischen Erfolg.

Spektrum: Damit liegen Sie weit jenseits der Vorstellungen selbst der DFG. Die Debatte tobt derzeit ja erst einmal nur um die Frage, ob hiesige Forscher mit menschlichen embryonalen Zellen arbeiten dürfen, die importiert wurden.

Solter: Aber man geht dabei nur den Weg des geringsten Widerstandes. Für einen guten Teil der Grundlagenforschung würde es sicherlich ausreichen, mit solchen importierten Zellen zu arbeiten. Etwa um zu klären, wie sie überhaupt zu kultivieren sind, wie sich daraus Nervenzellen oder Pankreaszellen herstellen lassen und Ähnliches. Am Ende wird sich dann aber zeigen, dass ein wichtiges Problem nur verschoben ist.

Spektrum: Denn es bliebe die immunologische Abstoßung solcher Zellen und Gewebe?

Solter: Ja – man wird in der Praxis deshalb doch auf den Kerntransfer, das Klonen, zurückgreifen müssen. Und ich bin sicher – wenn man erst einmal zeigen kann, dass diese Therapie tatsächlich funktioniert, dann wird das Embryonenschutzgesetz in der Bundesrepublik von einem Tag auf den anderen verschwinden. Es wäre aufrichtiger, von Anfang an zu sagen, was die Anwendung dieser Technik eben bedeutet. Ich bin dafür, den Leuten die Wahrheit zu sagen: Wenn diese Therapie funktioniert, wird sie ohne das therapeutische Klonen nicht auskommen. Als Antwort auf diese These erhielt ich einmal einen Rundbrief etlicher deutscher Wissenschaftler, die darin erklärten, dass sie niemals mit menschlichen embryonalen Zellen arbeiten würden, nur mit adulten Stammzellen. Für mich ist auch das allerdings eher die Devise: Bloß keine schlafenden Hunde wecken.

Spektrum: Aber warum? Adulte Stammzellen gelten doch mittlerweile als ernsthafte Alternative. Eine Fülle jüngster Arbeiten demonstriert, dass sich aus ihnen ebenfalls vermutlich Gewebe für alle möglichen Therapien entwickeln lassen. Und das Problem der immunologischen Abstoßung wäre von Anfang an gelöst – schließlich stammen solche Stammzellen direkt aus dem Körper eines Patienten ...

Solter: Sicher, vieles an ihnen ist interessant. Bei Verbrennungen etwa könnten die Stammzellen aus der Haut ausreichen, da gibt es schon beeindruckende klinische Ergebnisse. Das Problem mit adulten Stammzellen bleibt aber ihre oft zu geringe Zahl. Wenn Sie Patienten therapieren wollen, werden Sie Milliarden von Zellen benötigen. Und mit adulten Zellen schaffen Sie es nicht, solche Mengen herzustellen. Ich gehe davon aus, dass ihnen die proliferative Fähigkeit dafür fehlt. Warum also die Hälfte der Möglichkeiten wegwerfen? Wir können aus der Erforschung beider Zelltypen viel lernen. Bis zur klinischen Anwendung ist es ohnehin noch sehr sehr weit.

Spektrum: Das therapeutische Klonen von Menschen wird indirekt auch einem reproduktiven Klonen Vorschub leisten. Der kopierte Mensch ist nicht mehr weit?

Solter: Ich bin kein prinzipieller Gegner eines reproduktiven Klonens. Heute allerdings ist es beim Menschen völlig abwegig. Das Risiko von Fehlbildungen und -geburten ist derzeit viel zu hoch, weil niemand die Technik beherrscht. Man braucht also dem, was Antinori und seine Mitstreiter vorhaben, erst gar keine Beachtung zu schenken. Die Masse der Belege zeigt, dass geklonte Tiere abnormal sind. Wenn man einen Weg findet, reproduktives Klonen so sicher zu machen wie die bisherigen Formen der Fortpflanzung, hätte ich keine Probleme damit. Es hätte keinen Einfluss auf die Gesellschaft und würde sicher auch nur von wenigen Menschen genutzt.

Spektrum: Aber das wäre doch ein radikaler Paradigmenwechsel in unserer Kultur. Ein Individuum würde seine genetische Ausstattung nicht mehr einem Zufallsprozess verdanken – sondern wäre tatsächlich die Kopie eines anderen.

Solter: Was machen Sie denn bislang bei der Wahl Ihres Partners? Sie suchen ihn aus! Nach Ihren eigenen Kriterien, oder? Ich halte den Einfluss, den die Menschen dadurch auf die genetische Ausstattung ihrer Kinder nehmen, für mindestens so groß, wie das beim Klonen der Fall wäre.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 2002, Seite 22
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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