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Logistik und Telematik


Zwischen den traditionellen Wirtschaftsräumen der Europäischen Union sowie zwischen ihnen und den neu erschlossenen Märkten Osteuropas nehmen die Güterströme zu. Außerdem suchen Industrie- und Handelsunternehmen auf Lager weitgehend zu verzichten, lassen also Vorprodukte und Waren kurzfristig anliefern; häufigere, aber kleinere Sendungen sind die Folge. Überdies nutzt das produzierende Gewerbe immer stärker externe Zulieferer. Und je mehr geschlossene Stoffkreisläufe entstehen, desto mehr verbrauchte Materialien und Güter müssen zu Sammelstellen sowie Demontage- und Recycling-Anlagen geschafft werden. Bis zum Jahre 2010 rechnet man dementsprechend im Straßengüterverkehr mit einer Steigerung der Tonnage gegenüber heute um 70 bis 100 Prozent.

Schon gegenwärtig entstehen aber durch Staus auf den Straßen Europas Kosten von ungefähr 1,9 Milliarden Mark jährlich. Da die Verkehrsinfrastruktur aus ökologischen und wirtschaftlichen Gründen nicht beliebig durch weitere Straßen, Kanäle und Flughäfen erweitert werden kann, schon gar nicht in Städten und Ballungsräumen, bedarf es neuer, integrativer Konzepte. Das Ziel ist, unnötige Fahrten und Leerfahrten von Lastwagen zu vermeiden, ihre Auslastung zu erhöhen und sie effizienter mit umweltverträglicheren Verkehrsmitteln wie Schiff und Bahn zu koppeln. Dabei gilt es, Forderungen der Wirtschaft wie die nach geringeren Kosten, kurzen Durchlaufzeiten, kleinen Lagerbeständen und effektivem Service sowie hoher Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit ebenfalls zu berücksichtigen.

Erreichen läßt sich das nur, sofern ein durchgängiger Informationsweg zu jedem Gut entlang der gesamten logistischen Prozeßkette eingerichtet wird, von der Erteilung eines Auftrags über den Transport bis zur Auslieferung. Am wirksamsten dürften Kommunikation und Kooperation aller am Güterverkehr Beteiligten von der Telematik unterstützt werden können, der Symbiose aus Telekommunikation und Informatik. Ihre vier technischen Grundlagen sind:

- Mobilfunknetze, die es ermöglichen, Fahrzeuge und sogar Transportbehälter auch unterwegs zu erreichen, so daß beispielsweise Aufträge mit Kundendaten direkt an einen Auslieferwagen zu übermitteln sind oder jederzeit Auskunft über den Verbleib einer Sendung gegeben werden kann;

- die satellitengestützte Positionsbestimmung mit dem amerikanischen System GPS oder dem russischen GLONASS, mit der sich auch bewegte Objekte weltweit auf wenige Meter genau lokalisieren lassen (Spektrum der Wissenschaft, Januar 1996, Seite 102);

- die digitale Abbildung der Umwelt, etwa in Form von Straßenkarten für Navigationssysteme, mit denen sich optimale Touren planen lassen, oder als Basis geographischer Informationssysteme, die günstige Standorte oder Verbindungen ausweisen, sowie

- weltweite Datennetze mit einfachen Zugangsmöglichkeiten wie insbesondere das Internet, über das schon jetzt beispielsweise Angaben zu Sendungen an Endkunden gegeben oder Frachtpapiere elektronisch und kostengünstig ausgetauscht werden.

Moderne Logistik hat schon in einzelnen Unternehmen Rationalisierungspotentiale erschlossen, die bis zu 30 Prozent des Aufwands ausmachten. Mit Telematiksystemen lassen sich solche Ansätze und Denkweisen auf ganze Wirtschaftsregionen übertragen. Im folgenden beschreiben wir einige Konzepte, die am Fraunhofer-Institut für Materialfluß und Logistik und am Forschungsinstitut für Logistiksysteme in Ballungsräumen entwickelt worden sind und derzeit in die Praxis umgesetzt werden.

Regionalverkehr

Ballungsräume wie das Ruhrgebiet werden typischerweise von mittelgroßen Speditionen bedient. Insbesondere Verzögerungen durch wechselnde, kurzfristig auftretende Staus und spontan gewählte ungünstige Wege ließen sich durch eine telematische Unterstützung verringern. In naher Zukunft könnte der Tagesablauf eines Disponenten in einer solchen Firma so beginnen:

Er wählt sich morgens in einen regionalen Informationsrechner ein und erhält Auskunft über Baustellen, Straßensperrungen und Verkehrsstörungen. Außerdem werden ihm Umleitungen für Lieferfahrzeuge unter Berücksichtigung der aktuellen Situation sowie eine Prognose des Verkehrsaufkommens für den ganzen Tag übermittelt. Die Informationen, automatisch in das Touren- und Routenplanungsprogramm übernommen, helfen nicht nur, unnötige Standzeiten und Irrfahrten zu vermeiden, sondern auch, die operativen Kosten zu mindern und durch geringeren Kraftstoffverbrauch die Umwelt zu entlasten.

Ein derartiges System, basierend auf einem geographischen Informationssystem, wird seit einiger Zeit für den Güter- und Wirtschaftsverkehr im Duisburger Raum aufgebaut. Es enthält ein digitales Straßennetz zur Navigation, in dem alle öffentlichen Verkehrswege bis hin zum adressierbaren Fußweg sowie Beschränkungen wie Einbahnstraßen, Abbiegegebote und Durchfahrthöhen erfaßt sind. Hinzu kommen Logistik- und Verkehrsdaten. Erstere sind beispielsweise solche über Standorte von Unternehmen und Service-Einrichtungen sowie die technische Ausstattung der Anlieferbereiche, etwa die Höhe von Rampen. Die Verkehrsdaten umfassen statistische Informationen wie die durchschnittliche tägliche Verkehrsdichte auf wichtigen Streckenabschnitten sowie jeweils aktualisierte Angaben etwa über Baustellen – allein im Stadtgebiet von Duisburg gibt es pro Tag etwa 500.

Möglich wurde dieses Vorhaben durch enge Zusammenarbeit von Kommune, Universität und Privatwirtschaft im Rahmen eines von der nordrhein-westfälischen Landesregierung geförderten Projekts für ein dezentrales Güterverkehrszentrum in der Region Duisburg/Niederrhein. Auch anderwärts wird man neue Telematikansätze zunehmend institutionen-übergreifend planen und umsetzen müssen. Das System soll im Oktober dieses Jahres online erreichbar sein. In der dreimonatigen Pilotbetriebsphase werden alle interessierten Unternehmen die Daten noch kostenfrei abrufen können; danach wird der Dienst kostenpflichtig sein.


City-Logistik

Ein besonders kritischer Abschnitt der Distributionskette ist das Ausliefern von Waren und Gütern in den Innenstädten. So wie Fahrgemeinschaften unnötige Personenfahrten vermeiden, kann das rationelle Bündeln von Gütertransporten den Lieferverkehr drastisch reduzieren; man spricht dann von City-Logistik.

Zur Zeit existieren in Deutschland mehr als 80 derartige Projekte, die alle (mit zum Teil unterschiedlichen Akzenten) folgende Ziele haben:

- Güter und Waren mit möglichst wenigen und stadtgerechten Fahrzeugen auf dem ökonomischsten wie auch umweltverträglichsten Weg in einer Stadt zu sammeln und zu verteilen;

- dabei Schnittstellenverluste, also Einbußen an Zeit, Qualität und Information zu minimieren,

- Komponenten und Elemente der City-Logistik (Telematiksysteme, geeignete Lastwagen, Verkehrsleit- und Verkehrsinformationssysteme, Kooperationen von Unternehmen, Terminals als Knotenpunkte von Straße, Schiene und gegebenenfalls Wasserstraße) mit der kommunalen Stadt- und Verkehrsplanung bestmöglich zu koppeln sowie

- Waren- und Güterströme für die Problemzone Innenstadt zu bündeln.

Die von einem von uns (Jünemann) geleiteten Institute haben dafür im Rahmen des europäischen Forschungsprogramms Life City-Logistik Duisburg ein Managementsystem entwickelt, das ein ortsansässiges Unternehmen derzeit umsetzt und in der Pilotbetriebsphase testet. Hauptaufgabe dieses City-Logistik-Managers (Bild) ist es, betriebs- und branchenübergreifende Verkehrsströme zwischen Nah- und Fernverkehr sowie zwischen Straße, Schiene und Wasserstraße optimal zu koordinieren, so daß eine merkliche Zahl von Fahrten entfallen kann. Weitere wichtige Funktionen sind unter anderem das Verfolgen der Sendungen, das Planen von Routen, eine bessere Auslastung von Fahrzeugen und Infrastruktur sowie der Aufbau eines Abrechnungssystems für die Logistik-Dienstleistungen. Der Handel kann dabei auf vielfache Weise profitieren:

- Die Warenanlieferung mit dem erforderlichen Aufwand etwa an Personal, Umschlaggeräten und Rampenplätzen läßt sich flexibler einplanen;

- Bestelldaten können kurzfristig in das System eingespeist, Lieferungen also nach Bedarf geordert werden; die Vorratshaltung ist so auf den Logistik-Dienstleister übertragbar, und teure Lagerflächen in der Stadt lassen sich besser nutzen oder entfallen gänzlich;

- das zeitaufwendige und umständliche Hantieren mit Lieferpapieren läßt sich reduzieren, denn die Sendungsdaten sind bereits vor Eintreffen des Fahrzeugs abrufbar;

- der Empfänger vermag, falls ihn eine Sendung nicht erreicht, den Verbleib seiner Ware zu lokalisieren.

Die Vernetzung von regional und überregional anliefernden Speditionen und die Nutzung dezentraler statt zentraler Verteilungspunkte sollen zusätzlich die Straßen entlasten. Zuerst wurde die gebündelte Zustellung in die Innenstadt realisiert. Ein neutraler Dienstleister, der nicht mit den im Projekt zwar kooperierenden, aber ansonsten konkurrierenden Speditionen im Wettbewerb steht, fährt die beteiligten Partner an, übernimmt dort die Sendungen und verteilt sie mit zwei abgasarmen Fahrzeugen.

Vereinfachend gesagt, soll jeder Warentransport auf den Verkehrswegen von einem Datentransport auf dem Kommunikationsnetz begleitet werden. Dies spart bis zu 40 Prozent Kosten, weil vorauseilende Information einen wirtschaftlicheren Einsatz der Betriebsmittel erlaubt und die manuelle Eingabe von Transportdaten entfällt. Gleichzeitig können durch die verbesserte Disposition die Fahrzeuge und Ladeeinheiten effektiver genutzt werden und Lastwagen schneller ans Ziel gelangen.


Virtueller Marktplatz – realer Güterverkehr

Das Internet ist mit derzeit etwa 50 Millionen Nutzern weltweit das größte Online-Netz. Über diesen und andere Dienste versandte elektronische Post dürfte im vergangenen Jahr bereits manche Transportaufwendungen erspart haben: In den USA wurden 1995 erstmalig mehr E-Mails als Briefe verschickt. Möglicherweise entfallen künftig auch Tonnen an Werbematerialien durch die Repräsentation von Unternehmen im World-Wide-Web.

Doch kann dieses neue Kommunikationsmittel auch zusätzlichen Güterverkehr auslösen. Beispielsweise entwickelt sich das Internet auch zum virtuellen Kaufhaus – dem größten der Welt. Damit der Konsument selbst in einem abgeschiedenen Dorf Wein aus Kalifornien, Feinkost aus München oder Kleidung aus Singapur ordern kann, bereiten sich viele große Handelshäuser auf die weitgehende Kommerzialisierung des Netzes und globale Direktdistribution vor.

Doch schon jetzt senden Kunden 40 Prozent der per Katalog bestellten Waren wieder zurück, und Versandunternehmen werben mit besonderen Service-Leistungen wie mehrfachem Anfahren der Adresse, wenn der Käufer nicht beim ersten und zweiten Mal angetroffen wurde. Es stellt sich deshalb die Frage, ob das neue Medium zwar den Güterverkehr in Innenstädten reduziert, dafür aber in Wohngebiete verlagert.

Aufgrund dieser Ambivalenz bedarf es sicherlich neuer Instrumente, um Telematiksysteme im Güterverkehr unter ökonomischen und ökologischen Aspekten zu bewerten. Ein erstes Beispiel gab das amerikanische Verteidigungsministerium: Als Kriterium für den erfolgreichen Einsatz von Telematik setzte es eine Einsparung an Reisezeit um 15 Prozent fest.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1996, Seite 106
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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